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Uwe Meiners
„Die Gunst des Augenblicks" -Zur Gründungsgeschichte
des Museumsdorfs Cloppenburg in den 1930er Jahren
Die am 20. August 1934 vollzogene Grundsteinlegung
für das Museumsdorf Cloppenburg,1 das seit 1961 in-
folge der erweiterten Form der Stiftungs-Trägerschaft
auch den Titel „Niedersächsisches Freilichtmuseum"
im Namen führt, ist ohne die Berücksichtigung der
Ideen der Heimatschutzbewegung nur unzureichend
erklärt. Auf diese stützte sich der Museumsgründer,
der aus dem westfälischen Greven stammende Gym-
nasiallehrer Dr. Heinrich Ottenjann (1886-1961),2 als
er im Jahre 1922 die Gründung des „Heimatmuse-
ums für das Oldenburger Münsterland" erfolgreich
auf den Weg brachte und damit dem späteren Clop-
penburger Freilichtmuseum die Richtung wies. Er war
der Motor für die Umsetzung der Museumsinitiative,
die im Südoldenburgischen bereits zu Beginn des 20.
Jahrhunderts existierte, durch den Ausbruch des Ers-
ten Weltkriegs aber nicht zum Zuge kam.
Heimatmalerei, Heimatkunst und Heimatliteratur, der
Unterstützung heimischer Architektur und heimischen
Kunstgewerbes.7 Dieser generelle Ansatz verknüpfte
sich nicht nur mit den Idealen regionaler Identitätsbil-
dung, sondern alsbald auch mit Vorbehalten gegen-
über allem Fremdem und Andersdenkenden sowie mit
dem Versuch, die Besonderheit des Kulturraums durch
einen überzeitlichen, germanisch-deutschen Zusam-
menhang zu begründen. Damit wurde die Heimatbe-
wegung insgesamt offen für völkisches Gedankengut
und deren Vorstellungen von Volkstum und „Rasse".8
Bis zur Instrumentalisierung durch die Kulturpolitik der
Nationalsozialisten, die sich im Oldenburger Land in
der propagandistischen Förderung regionaler Kultur-
und Theaterbühnenprojekte (z. B. „Stedingsehre" auf
dem Bookholzberg bei Delmenhorst) widerspiegelte,
war es letztlich nur noch ein kleiner Schritt.9
Die Museumsgründung in Cloppenburg ist ein zeit-
bedingtes Produkt jener Bemühungen gewesen, die
Ende des 19. Jahrhunderts große Teile der bürgerli-
chen Mittelschicht erfasste und zum Aufbegehren
gegen Industrialisierungs- und Verstädterungsprozes-
se führte.3 Die heraufziehende Moderne wurde als
Bedrohung empfunden und forcierte verschiedene
Versuche, das eigene kulturelle Umfeld in seinen ver-
schiedenen Formen und Ausprägungen zu bewahren.
Bei der verbreiteten „Suche nach Geborgenheit" fiel
dem ländlichen Raum eine besondere Rolle zu.4 Auf
der Grundlage seiner traditionellen Strukturen glaubte
man, die vertrauten Werte sichern und gleichzeitig
Reformbestrebungen initiieren zu können. Agrarro-
mantische Vorstellungen flössen in diese Bewegung
mit ein, deren Fürsprecher sich ab den 1880/90er Jah-
ren unter dem Begriff „Heimat" versammelten und
zukünftig als Sachwalter von Heimatkunst und Hei-
matkunde, von Heimatsprache und Heimatdichtung
auftraten.5
Im Gebiet des ehemaligen Großherzogtums Olden-
burg stieß die Heimatbewegung auf breite Akzep-
tanz,6 obwohl die Menschen hier eher nur am Rande
vom dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Wan-
del betroffen waren, der große Teile Europas in dieser
Zeit erfasste. Im Oldenburgischen fiel der Heimat-
schutzgedanke nicht nur in den bildungsbürgerlichen
Kreisen auf fruchtbaren Boden, er wurde sogar mit
öffentlichen Mitteln gefördert. Die von der Bewegung
ausgehende gesellschaftliche Dynamik lässt sich rück-
blickend ablesen an der Gründung von Verbänden,
Vereinen und Museen, an der offiziellen Förderung der
Auch die Maßnahmen zur Errichtung des Museums-
dorfs Cloppenburg stehen in diesem Zusammenhang,
wenn auch sein inhaltlich zuständiger Begründer
Dr. Heinrich Ottenjann ideologischen Vereinnahmun-
2 Museumsleiter Dr. Heinrich Ottenjann (1886-1961),
August 1934. Foto: R. Engels.
Uwe Meiners
„Die Gunst des Augenblicks" -Zur Gründungsgeschichte
des Museumsdorfs Cloppenburg in den 1930er Jahren
Die am 20. August 1934 vollzogene Grundsteinlegung
für das Museumsdorf Cloppenburg,1 das seit 1961 in-
folge der erweiterten Form der Stiftungs-Trägerschaft
auch den Titel „Niedersächsisches Freilichtmuseum"
im Namen führt, ist ohne die Berücksichtigung der
Ideen der Heimatschutzbewegung nur unzureichend
erklärt. Auf diese stützte sich der Museumsgründer,
der aus dem westfälischen Greven stammende Gym-
nasiallehrer Dr. Heinrich Ottenjann (1886-1961),2 als
er im Jahre 1922 die Gründung des „Heimatmuse-
ums für das Oldenburger Münsterland" erfolgreich
auf den Weg brachte und damit dem späteren Clop-
penburger Freilichtmuseum die Richtung wies. Er war
der Motor für die Umsetzung der Museumsinitiative,
die im Südoldenburgischen bereits zu Beginn des 20.
Jahrhunderts existierte, durch den Ausbruch des Ers-
ten Weltkriegs aber nicht zum Zuge kam.
Heimatmalerei, Heimatkunst und Heimatliteratur, der
Unterstützung heimischer Architektur und heimischen
Kunstgewerbes.7 Dieser generelle Ansatz verknüpfte
sich nicht nur mit den Idealen regionaler Identitätsbil-
dung, sondern alsbald auch mit Vorbehalten gegen-
über allem Fremdem und Andersdenkenden sowie mit
dem Versuch, die Besonderheit des Kulturraums durch
einen überzeitlichen, germanisch-deutschen Zusam-
menhang zu begründen. Damit wurde die Heimatbe-
wegung insgesamt offen für völkisches Gedankengut
und deren Vorstellungen von Volkstum und „Rasse".8
Bis zur Instrumentalisierung durch die Kulturpolitik der
Nationalsozialisten, die sich im Oldenburger Land in
der propagandistischen Förderung regionaler Kultur-
und Theaterbühnenprojekte (z. B. „Stedingsehre" auf
dem Bookholzberg bei Delmenhorst) widerspiegelte,
war es letztlich nur noch ein kleiner Schritt.9
Die Museumsgründung in Cloppenburg ist ein zeit-
bedingtes Produkt jener Bemühungen gewesen, die
Ende des 19. Jahrhunderts große Teile der bürgerli-
chen Mittelschicht erfasste und zum Aufbegehren
gegen Industrialisierungs- und Verstädterungsprozes-
se führte.3 Die heraufziehende Moderne wurde als
Bedrohung empfunden und forcierte verschiedene
Versuche, das eigene kulturelle Umfeld in seinen ver-
schiedenen Formen und Ausprägungen zu bewahren.
Bei der verbreiteten „Suche nach Geborgenheit" fiel
dem ländlichen Raum eine besondere Rolle zu.4 Auf
der Grundlage seiner traditionellen Strukturen glaubte
man, die vertrauten Werte sichern und gleichzeitig
Reformbestrebungen initiieren zu können. Agrarro-
mantische Vorstellungen flössen in diese Bewegung
mit ein, deren Fürsprecher sich ab den 1880/90er Jah-
ren unter dem Begriff „Heimat" versammelten und
zukünftig als Sachwalter von Heimatkunst und Hei-
matkunde, von Heimatsprache und Heimatdichtung
auftraten.5
Im Gebiet des ehemaligen Großherzogtums Olden-
burg stieß die Heimatbewegung auf breite Akzep-
tanz,6 obwohl die Menschen hier eher nur am Rande
vom dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Wan-
del betroffen waren, der große Teile Europas in dieser
Zeit erfasste. Im Oldenburgischen fiel der Heimat-
schutzgedanke nicht nur in den bildungsbürgerlichen
Kreisen auf fruchtbaren Boden, er wurde sogar mit
öffentlichen Mitteln gefördert. Die von der Bewegung
ausgehende gesellschaftliche Dynamik lässt sich rück-
blickend ablesen an der Gründung von Verbänden,
Vereinen und Museen, an der offiziellen Förderung der
Auch die Maßnahmen zur Errichtung des Museums-
dorfs Cloppenburg stehen in diesem Zusammenhang,
wenn auch sein inhaltlich zuständiger Begründer
Dr. Heinrich Ottenjann ideologischen Vereinnahmun-
2 Museumsleiter Dr. Heinrich Ottenjann (1886-1961),
August 1934. Foto: R. Engels.