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6 Teilansicht des jüdischen Friedhofs in Nienburg mit Grabsteinen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, 2014.
Foto: Michael Malte Wiedemann.
doch drei seiner Geschwister wurden ermordet. Sein
Schreiben begann mit dem Hinweis, dass er bereits
im Frühjahr 1951 den Stadtdirektor über seinen
Eindruck von der „unvorstellbaren Verwahrlosung
des Friedhofs" in Kenntnis gesetzt hatte und endete
mit einer Bitte: „In Ermangelung einer hiesigen
jüdischen Gemeinde bitte ich daher inständigst, dass
die Stadt Nienburg sich baldmöglichst für die Wieder-
instandsetzung und Pflege des jüdischen Friedhofes
einschalten möge."15 Zwei Monate später erhielt er ein
Antwortschreiben in dem der Stadtbaurat ausführte,
„daß es vornehmste Aufgabe des Stadtbauamtes und
des Bauhofs sein wird, die Vernachlässigungen zu
beseitigen." Weiter führte der Stadtbaurat aus, dass
es eine Besichtigung des Friedhofes geben solle, um
den Umfang der Arbeiten festzulegen. Allerdings wies
er auf die knappen Finanzmittel der Stadt hin sowie
auf eine politische Priorität, die der Sanierung des
Friedhofs im Wege stehen könnte: „Die Sorge um die
Unterbringung der Flüchtlinge machte es notwendig,
alles nur Mögliche noch vor dem Winter zu tun, um
diese Ärmsten vor den zu erwartenden Witterungs-
Unbilden zu schützen." Bereits eine Woche später traf
ein weiterer Brief des Stadtbaurates ein, der nach einer
zwischenzeitlich erfolgten Ortsbesichtigung einige
wesentliche Mängel zu Papier gebracht hatte: Im
Eingangsbereich und auf den vorderen Gräberflächen
müsste gemäht und das Unkraut beseitigt werden,
die Gräber der russischen Gefangenen müssten
instand gesetzt und die Wege in dem „hinteren, zum
mit den schönen alten Grabsteinen bestandenen
Friedhofsteil" [...] „nach Möglichkeit bekiest und mit
Rasen und Wegekanten versehen" werden. Außerdem
wies der Stadtbaurat auf die Notwendigkeit von
Reparaturarbeiten und Säuberungen der Bethalle
hin. Zum Schluss seines Briefes forderte er Ernst
London-Lottorf zur finanziellen Beteiligung an der
Friedhofssanierung auf: „Sollte es Ihnen, verehrter
Herr London-Lottorf möglich sein, Geldmittel für die
erste Instandsetzung und Pflege bereitzustellen, so
könnte ich versprechen, Ihren Friedhof noch in diesem
Jahr in einen Zustand zu bringen der jedem Freude
bereiten würde."
Aus dem Antwortschreiben, das Ernst London-Lottorf
am 27. Oktober verfasste, ging hervor, dass er bei
einem erneuten Besuch des Friedhofs das Ergebnis
der ersten „Instandsetzungs-Arbeit" auf dem Fried-
hof gesehen hatte und darüber „sehr erfreut und
auch befriedigt" gewesen war. Im Übrigen teilte
er mit, dass er zu seinem Bedauern keine Mittel für
die Friedhofspflege bereitstellen könne. Er sehe je-
doch die Stadt in der Pflicht, die „notwendigsten
Arbeiten" durchzuführen, damit „die dem Ort ent-
sprechende Würde wiederhergestellt wird und er-
halten bleibt." Ein handschriftlicher Vermerk eines
städtischen Bediensteten auf dem Brief trägt das
Datum 29. Oktober und hält den zeitlichen Umfang
der zur Friedhofspflege geleisteten Tätigkeit fest: „ Die
Arbeiten liefen über vier Tage [...]"
Fazit
In den Briefen der Stadtverwaltung Nienburg an den
Überlebenden Ernst London-Lottorf wurden die Wi-
dersprüche sichtbar, die das Verhalten gegenüber
den Juden in der frühen Bundesrepublik prägten.
6 Teilansicht des jüdischen Friedhofs in Nienburg mit Grabsteinen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, 2014.
Foto: Michael Malte Wiedemann.
doch drei seiner Geschwister wurden ermordet. Sein
Schreiben begann mit dem Hinweis, dass er bereits
im Frühjahr 1951 den Stadtdirektor über seinen
Eindruck von der „unvorstellbaren Verwahrlosung
des Friedhofs" in Kenntnis gesetzt hatte und endete
mit einer Bitte: „In Ermangelung einer hiesigen
jüdischen Gemeinde bitte ich daher inständigst, dass
die Stadt Nienburg sich baldmöglichst für die Wieder-
instandsetzung und Pflege des jüdischen Friedhofes
einschalten möge."15 Zwei Monate später erhielt er ein
Antwortschreiben in dem der Stadtbaurat ausführte,
„daß es vornehmste Aufgabe des Stadtbauamtes und
des Bauhofs sein wird, die Vernachlässigungen zu
beseitigen." Weiter führte der Stadtbaurat aus, dass
es eine Besichtigung des Friedhofes geben solle, um
den Umfang der Arbeiten festzulegen. Allerdings wies
er auf die knappen Finanzmittel der Stadt hin sowie
auf eine politische Priorität, die der Sanierung des
Friedhofs im Wege stehen könnte: „Die Sorge um die
Unterbringung der Flüchtlinge machte es notwendig,
alles nur Mögliche noch vor dem Winter zu tun, um
diese Ärmsten vor den zu erwartenden Witterungs-
Unbilden zu schützen." Bereits eine Woche später traf
ein weiterer Brief des Stadtbaurates ein, der nach einer
zwischenzeitlich erfolgten Ortsbesichtigung einige
wesentliche Mängel zu Papier gebracht hatte: Im
Eingangsbereich und auf den vorderen Gräberflächen
müsste gemäht und das Unkraut beseitigt werden,
die Gräber der russischen Gefangenen müssten
instand gesetzt und die Wege in dem „hinteren, zum
mit den schönen alten Grabsteinen bestandenen
Friedhofsteil" [...] „nach Möglichkeit bekiest und mit
Rasen und Wegekanten versehen" werden. Außerdem
wies der Stadtbaurat auf die Notwendigkeit von
Reparaturarbeiten und Säuberungen der Bethalle
hin. Zum Schluss seines Briefes forderte er Ernst
London-Lottorf zur finanziellen Beteiligung an der
Friedhofssanierung auf: „Sollte es Ihnen, verehrter
Herr London-Lottorf möglich sein, Geldmittel für die
erste Instandsetzung und Pflege bereitzustellen, so
könnte ich versprechen, Ihren Friedhof noch in diesem
Jahr in einen Zustand zu bringen der jedem Freude
bereiten würde."
Aus dem Antwortschreiben, das Ernst London-Lottorf
am 27. Oktober verfasste, ging hervor, dass er bei
einem erneuten Besuch des Friedhofs das Ergebnis
der ersten „Instandsetzungs-Arbeit" auf dem Fried-
hof gesehen hatte und darüber „sehr erfreut und
auch befriedigt" gewesen war. Im Übrigen teilte
er mit, dass er zu seinem Bedauern keine Mittel für
die Friedhofspflege bereitstellen könne. Er sehe je-
doch die Stadt in der Pflicht, die „notwendigsten
Arbeiten" durchzuführen, damit „die dem Ort ent-
sprechende Würde wiederhergestellt wird und er-
halten bleibt." Ein handschriftlicher Vermerk eines
städtischen Bediensteten auf dem Brief trägt das
Datum 29. Oktober und hält den zeitlichen Umfang
der zur Friedhofspflege geleisteten Tätigkeit fest: „ Die
Arbeiten liefen über vier Tage [...]"
Fazit
In den Briefen der Stadtverwaltung Nienburg an den
Überlebenden Ernst London-Lottorf wurden die Wi-
dersprüche sichtbar, die das Verhalten gegenüber
den Juden in der frühen Bundesrepublik prägten.