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"Unter der GrasNarbe" <Veranstaltung, 2014, Hannover>; Schomann, Rainer [Hrsg.]; Schormann, Michael Heinrich [Hrsg.]; Wolschke-Bulmahn, Joachim [Hrsg.]; Winghart, Stefan [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; VGH-Stiftung [Hrsg.]; Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur [Hrsg.]; Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Unter der GrasNarbe: Freiraumgestaltungen in Niedersachsen während der NS-Diktatur als denkmalpflegerisches Thema : Dokumentation der Tagung vom 26.-29. März 2014 in Hannover — Petersberg: Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG, Heft 45.2015

DOI Artikel:
Kirchner, Jörg: Alt Rehse und die „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft" 1934-1939: Geschichte und denkmalpflegerische Praxis
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51271#0224
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Jnter der GrasNarbe


2 Alt Rehse, Blick über den Teich zur Bebauung am Dorfanger, 2011. Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklen-
burg-Vorpommern, Foto: A. Bötefür.

der Kreisgebietsreform des Landes Mecklenburg-
Vorpommern von 2011 Teil eines flächenmäßig sehr
großen Landkreises geworden ist.
Das Dorf Alt Rehse bietet ein ganz anderes Bild aus der
Zeit des Dritten Reiches als die genannten Beispiele
Prora und Peenemünde. In den Jahren 1934 bis 1939
entstand auf dem Anwesen eines 487 Hektar großen
Ritterguts, das kurz zuvor enteignet worden war, ein
ganzes Dorf samt Wohnhäusern, Alleen, Sportanlagen,
neuen Straßen sowie Plätzen und Wirtschaftsbauten.
Im südlichen Bereich, anstoßend an den Tollensesee,
befindet sich der Landschaftsgarten des Ritterguts,
der die vereinzelten Bauten für die Schulung auf-
nimmt. Ein Sport- und Aufmarschplatz gehört eben-
falls dazu. Im nördlichen Bereich und mit engerer
Bebauung versehen, befinden sich das Dorf und der
Wirtschaftshof. Innerhalb nur weniger Jahre wurde
ein Schulungsort nationalsozialistischer Gesundheits-
und Rassenpolitik mehr oder weniger aus dem Boden
gestampft (Abb. 1).
Nur wenige Bauwerke, die das frühere Rittergut
ausgemacht hatten, sind erhalten geblieben, darunter
das so genannte Neue Gutshaus. Die meisten Bau-
ten wurden neu errichtet. In den ehemaligen eng-
lischen Landschaftsgarten wurden die Bauwerke für
den Unterricht und für die Unterkunft der Gäste in
annähernd runder Anordnung integriert. Die so ge-
nannte Führerschule setzte sich aus drei Bereichen
zusammen: dem weitläufigen Schulungsgelände, dem
daran anschließenden Dorf, in dem eine große recht-
eckige Freifläche den Mittelpunkt und Anger bildet
sowie dem östlich davon gelegenen Wirtschaftshof.

Gelegen in einer reizvollen Endmoränenlandschaft
am Tollensesee und umgeben von einer idyllischen
Dorfanlage sollten Ärzte, Apotheker und Hebammen
in Alt Rehse ideologisch, parteipolitisch und organi-
satorisch auf Führungsaufgaben in Praxis und Ver-
waltung vorbereitet werden. Es ging um die Schu-
lung von Parteigenossen für Führungspositionen,
nicht darum, praktische Anleitung für Ärzte in Kon-
zentrationslagern zu vermitteln.
Die Gesamtplanung für Alt Rehse folgte in der
städtebaulichen Grundstruktur und in den Einzel-
formen den Prinzipien traditionalistischer Architektur,
wie sie sich in der Heimatschutzbewegung im An-
fang des 20. Jahrhunderts entwickelt hatten.
Dies galt sowohl für das Dorf wie auch für das
Schulungsgelände und den Wirtschaftshof. Ländliche
Bauformen und -materialien, Fachwerkkonstruktionen
und mit Rohr gedeckte Satteldächer herrschten vor.
Als die Anlage 1935 durch höchste Funktionäre der
Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei
(NSDAP), darunter Rudolf Hess und Martin Bormann,
eröffnet wurde, war der größte Teil des Vorhabens
fertig gestellt. Ein insgesamt idyllisch anmutender
Komplex in heimatlich erscheinenden Formen war das
Ergebnis, als die Arbeiten 1939 beendet waren.
Die überkommene Dorfanlage ist bis heute weit-
gehend erhalten (Abb. 2). Großzügige Räume be-
stimmen die Grundstruktur des Dorfes, so der an-
gerförmige Platz gegenüber dem Kirchhof ebenso
wie der heute wieder hergestellte Dorfteich, der in
den 1930er Jahren zugeschüttet und zu einer Art
Thingstätte umgestaltet worden war. Durchblicke und
eine fließende Anordnung der Bauwerke bestimmen
 
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