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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Der Rammelsberg — Hannover: Inst. für Denkmalpflege, Heft 9.1992

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Einordnung der Übertageanlagen in den Denkmalbestand des deutschen Bergbaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.51149#0036
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Sonderstellung innerhalb dieser Architektur-
gattung: Es sind dies die bereits erwähnten
Bauten des Kohlebergwerkes Zollverein 12 in
Essen sowie die Manganerz- und Dolomit-
grube Dr. Geier in Waldalgesheim bei Bingen.
In den Jahren 1927 bis 1932, also drei Jahre
vor dem Rammeisberg, errichteten ebenfalls
Fritz Schupp und Martin Kremmer mit der Ze-
che Zollverein 12 in Essen-Katernberg eine
weitere Anlage, die zu den Marksteinen der
deutschen Zechenarchitektur zählt (Abb. 113,
114). Die gesamte Anlage ist auf ein mächtiges
Doppelbock-Fördergerüst ausgerichtet. Die
Eingangsachse führt exakt auf dieses Gerüst
zu. Zwei Pförtnerhäuschen, vier große Be-
triebsgebäude und die mächtige Schachthalle
mit Fördergerüst umschließen einen großen
Hof, von dem aus eine zweite Achse ausgeht,
die zum Kesselhaus mit dem ehemals dahinter
aufragenden hohen Schornstein führt. Die
kubischen Stahlskelettbauten gestalteten
Schupp und Kremmer mit vorgehängtem, zie-
gelausgemauertem Stahlfachwerk. Sämtliche
lagernden Baukörper erhielten horizontale, die
aufragenden Baukörper zur Betonung ihrer
Höhe vertikale Lichtbänder. Die Zeche Zollver-
ein 12 mit ihrem eindrucksvollen architektoni-
schen Gesamtbild ist die bedeutendste deut-
sche Zechenanlage funktionalistischer Aus-
prägung. Sie wurde am 31. Dezember 1986
stillgelegt.
Die Übertageanlagen der ehemaligen Mangan-
erz- und Dolomitgrube Dr. Geier bei Waldalges-
heim in der Nähe von Bingen wurden von den
beiden Darmstädter Architekten Eugen Sei-
bert und Georg Marquart entworfen und zwi-
schen 1916 und 1920 errichtet.30 Das beson-
dere Kennzeichen der Übertageanlagen dieser
in einem Zuge erstellten Zechenanlage ist der
beabsichtigte Eindruck vorindustrieller Palast-
und Sakralarchitektur. Um einen geräumigen
Innenhof mit Springbrunnenanlage wurden
sämtliche Gebäude als verputzte Ziegelbauten
in neobarocken Formen aufgeführt. Die groß-
artige Gesamtanlage mit ihrem repräsentativen
Charakter ist in ihrer baukünstlerischen Ausge-
staltung den Tagesanlagen des Rammelsber-
ges durchaus gleichwertig.31
Neben diesen Gesamtanlagen lassen sich
zwar noch einige hochrangige einzelne Bau-

denkmale des deutschen Bergbaus nachwei-
sen, wie z. B. die in den Jahren 1902-1904 von
Bruno Möhring errichtete Maschinenhalle der
Zeche Zollern ll/IV in Dortmund-Bövinghau-
sen. Nach dem Abriß großer Teile der ehemali-
gen Gesamtanlagen sind die verbliebenen
hochrangigen Einzeldenkmale jedoch vielfach
räumlich isoliert. In derartigen Bauten lassen
sich nicht mehr die komplexen Betriebs- und
Arbeitsabläufe, die insbesondere einem Berg-
werk eigen sind, nachvollziehen. Gerade diese
unmittelbare Ablesbarkeit von betrieblichen
Abläufen, von technischen Einrichtungen, und
damit verbunden, den Arbeitsverhältnissen,
zum Beispiel der ehemaligen Bergleute, ist die
besondere Qualität eines Industriedenkmales.
Das mitsamt seiner kompletten innerbetriebli-
chen Ausstattung vollständig als Gesamtan-
lage erhaltene Erzbergwerk Rammeisberg ist
somit auch ein Dokument vergangener Ar-
beits- und Produktionsmethoden.
Nach der Einordnung in die deutsche Berg-
bauarchitektur kann ohne Einschränkung fest-
gestellt werden, daß die Übertageanlagen des
Rammeisberges zu den Höhepunkten der
deutschen Zechenarchitektur zählen. Rainer
Slotta, der wohl den besten, fachlich fundier-
ten Überblick über die Denkmale des deut-
schen Bergbaus besitzt, stellt fest, „... daß die
Tagesanlagen der Grube Rammeisberg die
überragenden technischen Denkmäler des
Metallerzbergbaus in der Bundesrepublik
Deutschland sind. Keine andere Grube besitzt
eine derart einheitliche, harmonisch-homogene
und beeindruckend-großzügige Bebauung,
die auf einheimischen Baugewohnheiten auf-
bauend einen Kulminationspunkt in der Ent-
wicklung der Zechenarchitektur darstellt. Die
Anlagen der Aufbereitung und des unteren
Zechenplatzes sind derart bedeutend, daß
man sie mit dem Begriff einer ,Musteranlage‘
nur unzureichend beschreiben kann.“32

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