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Klein, Dieter; Dülfer, Martin; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Dülfer, Martin [Ill.]
Martin Dülfer: Wegbereiter der deutschen Jugendstilarchitektur — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 8: München: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.63235#0025

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recht skeptisch gegenüber, wie ein Brief des Architekten
Theophil Hansen an Maximilian II. zeigt, in dem Hansen auf
die Bemühungen des bayerischen Königs Bezug nimmt, ei-
nen neuen Stil zu kreieren: „Sollte künstlerische Eisenkon-
struktion zur Anwendung kommen, so vermöge nur ein gro-
ßes Genie den rechten Weg anzugeben, auf welchem ein
stilgemäßes Resultat zu erreichen wäre; erst aus einer Rei-
he solcher gelungener Fälle könne allmählich ein festes
Prinzip hervorgehen“.332)
Nur langsam setzte sich die Erkenntnis durch, daß die neu-
en Baustoffe ein neues Schönheitsempfinden, ein neues
Gefühl für Proportionen erforderten: „Die Frage lautet nicht
mehr: Wie bilden wir das Eisen, damit es unseren Empfin-
dungen entspreche, sondern: Wie bilden wir unser Empfin-
den, daß es dem Eisen entspreche?“333)
Die überlieferte Empfindung für Proportionen sträubte sich
gegen die rechnerisch bewiesene Tragfähigkeit der dünnen
eisernen Träger.334) Man traute dem Eisen nicht genügend
„Körperhaftigkeit“ zu, um „monumental“ zu wirken: „Die
Schlankheit der Eisensäule gewährt den ästhetischen Ein-
druck der Festigkeit nicht, der eine gewisse sichtbare Brei-
te der stützenden Masse verlangt... das ästhetische Gefühl
ist abhängig von der Erfahrung. Eine hölzerne Stütze
scheint uns völlig sicher, wenn eine steinerne von gleichen
Dimensionen uns höchst gefahrdrohend vorkommt...“335)
Aus diesem Grund wurden Eisenstützen von gußeisernen
Säulen oder Steinnummantelungen verdeckt oder zumin-
dest dunkel, „steinartig“ gestrichen. Erst viel später er-
kannte man, daß durch Behandlung des Eisens mittels
„Schliff, Vergoldung und farbiger Bemalung“ ein „Eisen-
stil“ durchaus in greifbare Nähe rückte.336)
Zu Eisen und Glas kam als drittes neuentdecktes Baumate-
rial der für die Architektur des 20. Jahrhunderts so bestim-
mende Eisenbeton337); bewehrte Eisenbetonbauten waren
in Deutschland bereits seit den siebziger Jahren bekannt,
sie wurden jedoch durch „die Ängstlichkeit der Behörden“
fast 25 Jahre in ihrer Verbreitung behindert, während sie
in Amerika und Frankreich schon selbstverständlich wa-
ren.338)

Grundlagen für Dülfers Eklektizismus
Ausbildungszeit in Hannover, Stuttgart und Berlin, Breslau
und München
Entscheidende Einflüsse auf Dülfers späteres Wirken sind
seinem Hannoveraner Lehrer Conrad Wilhelm Hase zuzu-
schreiben339), der „die unlösbare Verbindung von Werk- und
Kunstform zu folgerichtiger Durchbildung zu bringen“ ver-
suchte, dabei aber auch „Hauptformen von Nebengebil-
den“ trennte.340) Auf Hase ging die Wiederaufnahme des
mittelalterlichen, norddeutschen Backsteinbaueszurück341);
er legte großen Wert auf die Beachtung einer „wohnlich-un-
regelmäßigen Gestaltung der Räume“ und bildete das
Dach zu einem wesentlichen Teil seiner Gebäude aus.342)
Demnach zu schließen, scheinen die später als „englisch“
bezeichneten Einflüsse also in Hannover bereits relativ früh
vorhanden gewesen zu sein.343) Auch die Forderung nach
„Wahrheit und Echtheit.... nach künstlerischer Form im Zu-
sammenhang mit der Konstruktion und dem Baustoff“ wur-

den von Hase schon lange vor den Reformbestrebungen
des Jugendstils erhoben.344)
Während seiner Stuttgarter Studienzeit scheint Dülfer
durch Christian v. Leins zumindest beeinflußt worden zu
sein; im Gegensatz zu Hase, der gotische Elemente bevor-
zugte, schätzte Leins vor allem der Renaissance naheste-
hende Stilrichtungen.345) Ähnliche Einflüsse sollten Dülfer
auch während seines Berliner und Breslauer Praktikums
begleiten: er arbeitete im Büro von Kayser & Großheim346),
das in der neureichen deutschen Hauptstadt Berlin ganze
Stadtviertel in üppigem, oft etwas protzig wirkenden
Neurenaissance- oder Barockdekor errichtete.
Nicht weniger „wilhelminisch“ waren die Bauten der Firma
Brost & Grosser in Breslau347); von allen diesen seinen Leh-
rern übernahm Dülfer zwar die Formensprache, vermied
aber jede Protzigkeit.
Ein Vergleich des Dülferschen Frühwerkes (Bernheimer-
Haus und Hotel Kaiserhof, Abb. 9 und 10) mit Kayser &
Großheims Bauten zeigt eine deutliche Affinität, beweist
aber auch Dülfers sicheres Formempfinden, das ihn bei al-
len seinen Bauten vor einem „Zuviel“ an Dekor bewahrte.
Von besonderer Bedeutung für Dülfers Karriere war die
Ausbildungszeit bei Friedrich Thiersch in München; wenn
auch kein direkter Einfluß auf seine Formensprache festzu-
stellen ist — Thiersch hat in keiner Beziehung eine deutlich
erkennbare Schule begründet —, so wurde Dülfer doch von
seinem Lehrer in den ersten Jahren seiner Berufspraxis
sehr gefördert.348) Die Architekturkritiker jener Zeit erkann-
ten bald, daß „Thiersch’s bedeutendster Schüler... von wei-
tertragender Bedeutung und umfassenderem Einfluß als
der Lehrmeister selber werden sollte“.349)
Wie Dülfer gelangten auch andere Thiersch-Schüler (Pfann,
Fischer, Grässel, später Rank, Tessenow und Troost, um
nur die wichtigsten zu nennen) zu revolutionärer Überwin-
dung des Historismus, letztlich der Grund, warum in Mün-
chen kein „revolutionärer Umsturz durch den Jugendstil“
stattfand.350) Dülfers Mitarbeit am „Großen Panorama von
Rom“ war insofern von einiger Wichtigkeit, als dort einer
der Ursprünge seiner „heimlichen Liebe zur Antike“ zu su-
chen sein dürfte, wie sich vor allem an seinen Großbauten
immer wieder zeigen sollte; auch in späteren Jahren sprach
er noch gerne über diese Tätigkeit.351)
Architektur der Gründerzeit in München
Zeitweise war die Münchner Baukunst für ganz Deutsch-
land richtungsweisend352); „... der Münchner Stilton, der
sich aus süddeutschen und tiroler Renaissance-Elementen
und süddeutschen Putzbarock-Formen zusammensetzte,
verband natürliche Einfachheit und Behaglichkeit“.353) Be-
merkenswert an der Architektur Münchner Prägung war,
daß sie sich den meisten Bedürfnissen der bürgerlichen
Baukunst mühelos anpassen konnte.354) Ihr wurde deshalb
„so etwas wie ein konsequenter Stil“ zuerkannt355), wäh-
rend es von den anderen Städten hieß, sie seien — zumin-
dest in ihren neuen Vierteln — „einander ähnlich gleichgül-
tig und langweilig“, weil auf „Bodenständigkeit der Archi-
tektur“ zu wenig Wert gelegt worden war.356)
Ein charakteristischer Zug der „Münchner Heimatkunst“,
wie sie auch genannt wurde, war, daß sie weit hergeholte
Baumaterialien ablehnte und trotzdem auf „Nachahmung
in unechtem Stoff“ verzichtete.357)

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