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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 21.1905

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Heft 12
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Pfeifer, Hermann: Stimmungswerte der Dachformen
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https://doi.org/10.11588/diglit.44852#0101

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1905

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 12


Bau zwar einen
stolzeren Eindruck
macht, gleichzeitig
aber eine starke
Einbuße erleidet
an deutscher Be-
haglichkeit und an
malerischem Reiz
der Umrißlinie.
Umgekehrt wür-
den wir die römi-
schen Villen Bor-
ghese, Pamfili, Al-
bani etc. durch
Aufsetzen von stei-
len Dachmassen
sicherlich zu einer
Dissonanz mit
ihrer italienischen

Der Gegensatz von Dach
und Wand wird durch das
Hauptgesims vermittelt, wel-
ches gleichzeitig die Wand-
fläche vor dem Traufwasser
zu schützen hat (Abb. 12 a).
Der Hauptgesimsausladung,
welche bei steilem Dach
nicht sehr groß sein darf,
entspricht der Aufschieb-

(9) Portalbau der Abtei Knechtsteden
(Rheinland).


ling des Dachfußes, wodurch der starre Eindruck der völlig
ebenen Dachfläche gemildert wird.
Der zwischen Aufschiebling und Sparren entstehende
Knick K (siehe Abb. 12a, Schnitt) wird bei Ziegel- oder
Schiefereindeckung schon durch das Material selbst etwas ge¬

rundet, kann aber durch ein Vermittlungsstück MN noch besser
ausgeglichen werden, wodurch zugleich die Gefahr von Lücken
in der Eindeckung vermieden wird. Zur Vermittlung von

Wand und Dach dienen ferner auch die kleinen Dachflächen

(7) Haus in Schianders Aufnahme von Professor Umgebung um-
(Südtirol). H. Pfeifer in Braunschweig-.
6 stimmen.
Die Meister der deutschen Renaissance und des deutschen
Barockstiles haben den klassischen Bauformen des Südens ge-
rade durch die Zutat des steilen Daches das Heimatsrecht auf
deutschem Boden erworben. (Vergl. Abb.9:
Portalbau der Abtei Knechtsteden [Rhein¬
land], wo durch ein steiles Mansardendach
der italienische Triumphbogen in einen
deutschen Torbau übersetzt ist.) — Im
19. Jahrhundert war man ängstlicher in
der Nachahmung historischer Stilformen,
dadurch aber auch schwächlicher im Stim¬
mungsgehalt. Wir dürfen z. B. wohl an¬
nehmen, daß der an sich schöne Bau des
Polytechnikums in Zürich von G. Semper
noch harmonischer mit dem Grundton
des ganzen Stadtbildes zusammenklingen
würde, wenn der dachlose Mittelbau und
die flachgedeckten Flügelbauten etwa im
Sinne der Wiener oder Dresdener Barock¬
bauten wirkungsvolle weiche Dachmassen
erhalten hätten.
Besonders günstig wirkt ein steiles
Dach auf einer schlanken Baumasse. Mit
der Schlankheit des Emporwachsens har-

über Erkern, Vorhallen, Schutzgesimsen, Abschrägungen, »Klebe-
dächer« etc. innerhalb der Fassade und klingen am besten
durch dieselbe Art der Eindeckung an das Hauptdach an oder
bereiten darauf vor: Stileinheit!
Ebenso kann die Wandfläche ausklingen in Giebeln, Dach¬


moniert ein steiles, wenig ausladendes Hauptgesims (Abb. 10 a).
Wir können uns gar nicht ausdenken, wie abscheulich ein
dorisches Tempelgesims mit der weit vorspringenden Hänge-
platte an einer gotischen Kathedrale unter dem steilen Dach
sich ausnehmen würde.
Einem breiten Bau entspricht sehr wohl das breite, flache
Dach und die weite Hauptgesimsausladung. Nehmen wir dem
dorischen Tempel sein Geison oder dem Tiroler Bauernhaus
seinen großen Dachvorsprung, so zerstören wir die Harmonie
des ganzen Bauwerks (Abb. 10 b).
Die große ästhetische Bedeutung eines hohen Daches über
einem schlanken Bau mit aufstrebender Gliederung empfinden
wir besonders stark da, wo ein Mangel vorhanden ist (vergl.
Abb. 11: Kloster Chorin, wo das Notdach aus Gründen der
Sparsamkeit zu niedrig gehalten wurde und nun den Gesamt-
eindruck des Baues außerordentlich schädigt); das Auge ist
nicht zufrieden und sehnt sich förmlich nach einem höheren First.


erkern, Schornsteinen, Türmen etc., welche aus der Dachfläche
emporwachsen (vergl. Abb. 20 a).
Die ästhetischen Gefahren der völligen Vernachlässigung
von Aufschieblingen am steilen Dach, sowie einer übermäßigen
Ausdehnung derselben werden in Abbildung 12 d veranschaulicht.
Das flache Dach macht den ruhigen Eindruck des festen
Auflagerns, kann weit vorgekragt werden und bedarf keiner
Aufschieblinge, sondern — bei großer Ausladung — unter-
gelegter verstärkender Sattelhölzer (Unterschieblinge), welche
mit zur besse¬
ren Vermittlung
von Wand und
Gesimsausla¬
dungbeitragen;
außerdem wird
hierzu auch
häufig das hori¬
zontal ausge¬
kragte Dachge¬
bälk benutzt
(kombiniertes
Balken- und
Sparrengesims;
Abb. 12e).
Ferner wird
zur Überleitung
von der senk-


(11) Ostseite des Klosters Chorin.


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