(Glatzer Madonna, um 1350) bis in die Zeit
Dürers und Hans Baldung Griens verfolgen
(Abb. 32). Dem steht im frühen Mittelalter ein
direktes Nachleben des Victoria-Engels gegenüber.
Man vergleiche die „Verkündigung an die
Hirten“, eine Miniatur aus dem Perikopenbuch
Heinrichs II. (um 1002—1014) mit dem weniger
bekannten, im Mittelalter jedoch auf Gemmen,
Münzen u. dg. Kleinkunst verbreiteten Urtypus
der imperialen römischen Victoria, dem Altar
der Victoria lulia, den Augustus im Senat auf-
stellen ließ. Die Victoria verkündet den Persern
die Pax Romana mit derselben Geste, wie der
ottonische Miniaturengel den Hirten die Pax
Christiana, als direkte, kaiserliche Nachfolge
(im Hl. römischen Reich) der Pax Romana ver-
kündet. Und dabei nimmt der an Stelle des knie-
enden Persers stehende Hirte die Kunde mit der
gleichen Geste entgegen, die wir an Münzen bei
sich ergebenden Persern wahrnehmen können.
Die Victoria lulia ist zudem der eigentliche,
echte Beleg dafür, wie das römische Imperium
schon an seinem Beginn sich die Metaphysik
vorstellte: oben der vergöttlichte römische Triumph
oder die siegende Roma, in der zweiten Zone
unten huldigen die Völker! Dieses Schema hat
für die christliche Kunst eine unabmeßbare
Bedeutung wenn man annimmt, das statt der
Roma die Ecclesia, statt der sich ergebenden
Völker die Laien, oder statt der Roma das
Himmlische Jerusalem, statt der Barbaren, die
jetzt hoffen können, in diese goldene Stadt auf-
genommen zu werden, abgebildet sind. Die
Berufung auf das römische Imperium hat insbe-
sondere in der Kunst des christlichen Kaisertums,
aber auch bei allen Feudalen, weltlichen oder
geistlichen, die nach weltlicher Geltung trachten,
immer wieder Aktualität.
Die Vorgeschichte der christlichen Kunst wäre
also bei Nike-Victoria zu suchen. Die griechische
Bildhauerkunst von Paionios an bis zu den
Anfängen des byzantinischen Reiches tritt hier
neben die Vasenbilder und die Kleinkunst. Über
die etruskische und altitalische Kunst kommt die
26. Altar des Apollo Victor mit Caesar und Priestern.
Gemälde am florentinischen cassone um 1450. Ashmo-
lean Museum, Oxford.
25. Dank dem siegbringenden Apollo. Relief — Medaillon
am Konstantinsbogen. Rom, 312.
95
Dürers und Hans Baldung Griens verfolgen
(Abb. 32). Dem steht im frühen Mittelalter ein
direktes Nachleben des Victoria-Engels gegenüber.
Man vergleiche die „Verkündigung an die
Hirten“, eine Miniatur aus dem Perikopenbuch
Heinrichs II. (um 1002—1014) mit dem weniger
bekannten, im Mittelalter jedoch auf Gemmen,
Münzen u. dg. Kleinkunst verbreiteten Urtypus
der imperialen römischen Victoria, dem Altar
der Victoria lulia, den Augustus im Senat auf-
stellen ließ. Die Victoria verkündet den Persern
die Pax Romana mit derselben Geste, wie der
ottonische Miniaturengel den Hirten die Pax
Christiana, als direkte, kaiserliche Nachfolge
(im Hl. römischen Reich) der Pax Romana ver-
kündet. Und dabei nimmt der an Stelle des knie-
enden Persers stehende Hirte die Kunde mit der
gleichen Geste entgegen, die wir an Münzen bei
sich ergebenden Persern wahrnehmen können.
Die Victoria lulia ist zudem der eigentliche,
echte Beleg dafür, wie das römische Imperium
schon an seinem Beginn sich die Metaphysik
vorstellte: oben der vergöttlichte römische Triumph
oder die siegende Roma, in der zweiten Zone
unten huldigen die Völker! Dieses Schema hat
für die christliche Kunst eine unabmeßbare
Bedeutung wenn man annimmt, das statt der
Roma die Ecclesia, statt der sich ergebenden
Völker die Laien, oder statt der Roma das
Himmlische Jerusalem, statt der Barbaren, die
jetzt hoffen können, in diese goldene Stadt auf-
genommen zu werden, abgebildet sind. Die
Berufung auf das römische Imperium hat insbe-
sondere in der Kunst des christlichen Kaisertums,
aber auch bei allen Feudalen, weltlichen oder
geistlichen, die nach weltlicher Geltung trachten,
immer wieder Aktualität.
Die Vorgeschichte der christlichen Kunst wäre
also bei Nike-Victoria zu suchen. Die griechische
Bildhauerkunst von Paionios an bis zu den
Anfängen des byzantinischen Reiches tritt hier
neben die Vasenbilder und die Kleinkunst. Über
die etruskische und altitalische Kunst kommt die
26. Altar des Apollo Victor mit Caesar und Priestern.
Gemälde am florentinischen cassone um 1450. Ashmo-
lean Museum, Oxford.
25. Dank dem siegbringenden Apollo. Relief — Medaillon
am Konstantinsbogen. Rom, 312.
95