Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 1991

DOI Artikel:
Dębicki, Jacek: Metaphysik der mittelalterlichen Bildhauerei Einführung in die Problematik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51720#0084

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
die äußerliche Erfahrung des Menschen verlor den
Erkenntniswert. Anders meinte Aristoteles, besonders
im Traktat „Uber Seele“, weil er den Menschen wie
jede Substanz auffasste, d. h. wie ein freies Wesen, das
aus Form und Materie besteht. Die Seele bildete eine
substanzielle Form des Leibes: die erste Akte des
natürlichen organischen Leibes.16 Der Mensch ist hier
ein „compositum“, und somit wurden die platonischen
Gegensätze, noch von Plotinos von Lykopolis im 3.Jh
nach Christigeburt verschärft, besonders hinsichtlich
des Leibes und der Seele, der Sinne und des Verstandes,
wesentlich gemildert. Menschensinne, wenn sie die
Dinge erkannten, bildeten den Eindruck, die empiri-
sche Grundlage der Erkenntnis.
Im Grunde genommen herrschte das ganze Mittelal-
ter lang die Überzeugung, daß Platonismus der christli-
chen Theologie näher ist und sich besser für die
Begründung der Glaubensdogmen eignet, besonders in
der Anthropologie. Bis Ende des 2. Jahrhunderts, in der
Zeit des Synkretismus, hielt man Platon für den
Theoretiker des Gottesbeweises und des Beweises der
Unsterblichkeit der Seele. Der Denker aber, der am
stärksten die besprochene Epoche beeinflußt, war
Aurelius Augustin. Seine Anthropologie, entstanden
unter dem Einfluß vom Platonismus, ist verwickelt und
oft unklar. Der Streit um augustinische Menschenlehre
dauert eigentlich bis heute.17 Augustin meinte, „die
Seele, die den Leib besitzt, bildet nicht zwei Personen,
sondern einen Menschen“, der „aus der denkenden
Seele und dem sterblichen Leib besteht.“18 Im Traktat
„De quantitate animae“ schreibt er: „Der Mensch...
ist ein Lebewesen, also denkendes und sterbliches
Tier“, und „Seele nennt man Seele und Leib, das heißt
den ganzen Menschen“.19 Er ist zugleich immanent
und transzendent gegenüber der Umwelt: er verbindet
sich mit ihr dank materiellem Leib, er löst sich jedoch
von den Materiengrenzen los dank seiner unkörperli-
chen Seele. Augustin wäre aber kein Platoniker gewe-
sen, wenn er den Zusammenhalt der Relation zwischen
der Seele und dem Leib nicht in Frage gestellt hätte:
„Der Mensch... ist eine denkende Seele, die sich des
sterblichen irdischen Leibes bedient“, weil die Seele
„eine denkende Substanz ist, vorbereitet für die Füh-
rung des Leibes“, also „Leib ist nicht das, was wir
sind.“20 Von hieraus ist es nicht weit zur Formulierung:
„Ich bin Seele.“21 Die Verbindung der Seele und des
Leibes wird also akzidentell. Die Seele an sich ist
Leben, auf Grund ihrer eigenen Natur, sie ist nämlich

eine geistige und lebendige Substanz. Augustin hat
angenommen, daß die untergeordnete Substanz nicht
die übergeordnete beeinflussen kann, also der Leib hat
keinen Einfluß auf die Seele. Sinneneindrücke das ist
nichts anderes als Akte der Seele, die aus eigener
Substanz Bilder schöpft, Sinneneindrücke genannt.
Das, was sich im Leibe befindet, kommt zu ihm von der
Seele, und das, was sich in der Seele befindet, kommt zu
ihr von innen. Und eben diese Doktorin entspricht
völlig der Definition des Menschen als Seele, die sich
des Leibes bedient. Noch deutlicher, nach Etienne
Gilson, zeigt das die innere Struktur der Sinnenein-
drücke, angenommen von Augustin, der den Sinnen-
eindruck als eine Antwort der Seele auf die leibliche
Bewegung verstand.22 Gilson nimmt den dominieren-
den platonischen Zug des besprochenen Denkers an,
aber es wurden auch andersartige Meinungen zum
Ausdruck gebracht.23 Jedenfalls standen die scholasti-
schen Augustins Fortsetzer eindeutig auf der platoni-
schen Position, was Gilsons Meinung zu beweisen
scheint. Die augustinische Seele, als eine selbständige
Substanz verstanden, bereitete Schwierigkeit bei Ver-
bindung „animae et corporis“. Sankt Augustin überlie-
ferte dem späten Mittelalter den platonischen Men-
schen. Diese Konzeption übernehmend, stieß die Scho-
lastik auch auf die obenerwähnte Schwierigkeit, die erst
Thomas Aquinate entwirrt hat, aber aufgrund des
Aristotelismus. Das späte Mittelalter verdankte Augus-
tin noch einen wichtigen Gedanken, und zwar Betrach-
tung des Menschen, abhängig von den metaphysischen
Fragen, was bedeutete, daß man sich der antiken
Tradition widersetzte.
Die romanische architektonische Skulptur bereitete
im hohen Maße die Kunst des 11. Jahrhunderts vor.
Diese Tatsache bestätigt sogar der figürliche Marmor-
sturz von Saint-Génis-des-Fontaines, mit der Inskrip-
tion datiert auf die Jahreswende 1019—1020.24 Aber
eines der bahnbrechenden Daten für die romanische
architektonische Skulptur war 1096 die Hauptaltarwei-
he im Chor der neugebauten Benediktinerkirche Saint
Sernin in Toulouse, von dem Papst Urban II.23 Die
eingeweihte Tafel, signiert von Bernardus Gelduinus,
zählt zu einem größeren Komplex von den Skulpturen-
Reliefs, eingefügt in die Mauer im Chorumgang, die
Christus auf dem Thron im Gefolge der Engel und
Apostel darstellen. Diese Werkstatt beginnt die eigent-
liche romanische Bildhauerei im südwestlichen Frank-
reich. Sie knüpft eindeutig an die Antike an, an die

78
 
Annotationen