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Oie Bettler.

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Die Bettler.
Oie schmutzige, trüppelhafte und heimatlose Armut, das soziale Llendsein
als einzelmenschliche Schicksalsform war schon mehrfach in Zeichnungen und
Skizzen dargestellt worden. Jetzt tauchen immer wieder die Gestalten jener
Ärmsten auf: Bauernproletarier, Eckensteher, Hausierer, Stratzenmusikanten,
Bettler, Krüppel, Landstreicher. Anschließend an die vereinzelten früheren
Darstellungen dieser Art — den Frierenden mit seinem Hund (55), das Zwiebel-
weib (54), den „Lazarus klap" (66), die alten Kerle der Amsterdamer Zeich-
nungen (29—Zl) und die Radierung Abb. 68 — sammeln sich jetzt die Formu-
lierungen dieses Themas zu einer eigenen, gesondert entwickelten Reihe.
Gegenüber dem Früheren sitzt der sich Wärmende (l04) natürlicher und
qualitativ vollständiger da. Rian schaut ihm mehr ins Gesicht, sein Sitzplatz
ist hinter seinem Rücken und nach vorn her ausführlicher und lebendiger vor-
handen. Alles an ihm macht einheitlich die eine Bewegung nach rechts hin.
Oas elende kriechende Sich-Vorbeugen ist entschiedener. — Oer Stehende (105)
bat gegenüber dem von Abb. 68 an Farbigkeit gewonnen. Oie Tondifferenzen
öffnen sich reicher im Licht, der Flicken am Ellenbogen hat eine eigene Farbe, weiß
und haarig schauen Schenkel und Wade aus dem in zahllose Fetzen, Fäden
und Streifen zerschlissenen Lumpenkleid, das beweglicher als die früheren
schematisch glatten Kleider (50, 51) den Körper in feinen zipfeligen Formen
umgibt. Oer Schlagschatten folgt der Form des Bodens. — Bei dem Bettler-
paar (106) fällt er sogar von einem auf den anderen. Auch dort scheint alles
lockerer und freier. Oer Blick resultiert mehr aus der Körperhaltung, das Oa-
stehen des zerlumpten, sich stützenden, aber rüstigen Alten überzeugt in seiner
Gegensätzlichkeit zu der zusammengesunkenen, greisenhaft formlosen Frau.
Allein sie blicken einander nicht an, sondern aneinander vorbei- sie stehen
und sind nicht wirklich miteinander in dem Matze, wie es dem geschilderten
Wirklichkeitsgrade ihrer Einzelerscheinung entspräche. Beide haben — ge-
lockert und bereichert — noch das Umritzhafte des Stehenden und des
hockenden. Ihre Schatten fallen verschiedenartig, die Blicke reichen nicht
weit. Ihre Welt ist eng. — Ebenso gehen die Settlerköpfe Abb. 108—110
zwar sicherlich in Beweglichkeit und Stoffreichtum über das Bisherige dieser
Art — etwa die köpfe der Abb. 67 — weit hinaus. Aber trotz der lebhaften
Aktion bleibt ihr Körper flach, ihr Kopf wie angesetzt, ihr Antlitz starr und ihr
Blick kurz und stumpf.
handelt es sich bei der Zeichnung Abb. 111 um eine Szene, etwa
datz die Frau dem beschämten Manne vorwürfe machte? Schon in dieser
Vermutung liegt die Feststellung weiter bereicherter Autzerungsfähigkeit der
Figuren, vor allem etwa des Mannes. Allein sie sind räumlich in ganz ver-
schiedenem Verhältnis zur Bodenfläche. Sie treffen einander nicht, sondern
handeln aneinander vorbei, weil ihre jeweils eingehend gegebene Lokalisierung
 
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