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Baumeister: das Architektur-Magazin — 8.1909/​1910

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Behrendt, Walter Curt: Bauten von Martin Elsässer
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Müller-Hurst, Ernst Hermann: Heinrich Metzendorf
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https://doi.org/10.11588/diglit.53857#0121

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111

DER BAUMEISTER . 1910 JULI.

Heinrich Metzendorf.
Der Werdegang des deutschen Einfamilien-
hauses ist recht bunt und verworren. Vom
anmutigen Bauernhause, hinter dessen
blanken Fenstern sich einst fleissige Hände
am schnurrenden Spinnrade tummelten und
von der schwereren Arbeit des Tages er-
holten, vom altehrwürdigen Landedelsitze,
an dessen Fronten sich lange Fensterreihen
in vornehmer Perspektive dahinziehen und
Ausschau geben auf prächtige Alleen und
moosige Gartenmauern dahinter, oder vom
stolzen mittelalterlichen Patrizierhaus der
Städte, schweifen die davon noch freude-
und schönheitstrunkenen Augen des Kunst-
historikers nunmehr finster und grollend
auf die öden Backsteinkasten mit ihren ein-
tönigverblendeten, grellen, oder mit minder-
wertigen Surrogaten überladenen Fassaden,
die in der neuen Zeit wie Unkraut aus der
Erde schossen. Neben den schwerfälligen
Privatbaumeistern, die sich in dieser un-
künstlerischen Bauperiode reich oder arm
*OberreaIschule in Tübingen.



Baugewerk- und selbst Hoch-
schulen wirkten schablonisierend
auf das Baugewerbe ein. Mit durch
sie trat eine grosse, weitgehende
Entfernung zwischen dem zum
Bureaukraten gewordenen Architek-
ten und dem immer ungeschickter
werdenden Bauhandwerker ein. Die
zu gleicher Zeit emporkommende,
fabrikationsmässige Herstellung vie-
ler Baumaterialien tat das übrige,
um einen einstmals fähigen, selbst-
bewussten Handwerkerstand zu
einem Häuflein in ihrem Fache
heruntergekommener Männer, die
nun immer mehr ihre Zuflucht zu
den fertigen Erzeugnissen der Fa-
briken nahmen, zusammenschrump-
fen zu lassen. In der Ueberschätzung
der billigeren Fabrikware war kein
Verlangen nach guten, handwerk-
lich hergestellten Gestaltungen, und
*Oberrealschule in Tübingen.

*Arch. Martin Elsässer, Stuttgart.
Oberrealschule in Tübingen.

spekulierten, gebührt den staatlich beauf-
tragten und angestellten Baumeistern
jener Zeit ein Löwenanteil der Schuld
an dem Verfalle der guten Bauweise, an
den Bausünden jener Zeit. Mit Schul-
gebäuden, mit Wohnungen für staatliche
und Gemeindebeamten usw. gab und gibt
oft genug auch noch heute in vielen Ge-
genden der Staat geradezu das böse Bei-
spiel. Hunderte von Häusern für Beamte
einer Kategorie sind ganz gleich, ob ihre
Bauplätze in Nord oder Süd, Berg oder
Tal, in Stadt oder Land lagen, nach ein
und demselben Plane gebaut. Wer auf
seinen Reisen Muse hat, der zähle allein
einmal die öden Dienstwohnungen der
Bahnwärter, die Schablonenhäuser mit
ihren schwarzen, flachen Teerdächern, die
sich wie eine Kette an der Eisenbahn hin-
ziehen nnd das Auge des Reisenden lang-
weilen.
 
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