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78

Hest 4.

Das B ü ch s i'r r A l l e.

Recht zu befehlen. Er hatte ein Jahr laug iu der
Stadt gearbeitet und dort iu Volksversammlungen ge-
lernt, wie mau es machen müsse, uni sich Gehör uud
Anscyeu zu verschaffen. Er hatte sich gleichzeitig eine
Anzahl Schlagwörter augeeiguet und verstand dieselben
wieder auzubringen. „Schweigt!" wiederholte er noch
einmal. „Wer nicht dcu Muth hat, für die große
Idee der Arbeiter ciu geringes Opfer zu luiugcn, der
'möge zurücktreteu, er ist ein Feigling uud verdient,
daß er-ein Sklave bleibt! Wenn ihr weniger kurz-
sichtig wäret, so würdet ihr einseheu, da-ß die Guts-
besitzer uns jetzt nicht entbehren können, denn die
Ernte würde auf dem Felde verkommen und verderben!
Oder meint ihr, sie werden lieber einen Schaden er-
leiden, der sich auf Hunderte, ja Tausende von Tha-
lern beläuft, ehe sie uns täglich einige Groschen Lohn
mehr geben! Haha! Die können noch besser rechnen
als ihr, und wenn ihnen keine andere Wahl bleibt,
so müssen sie uns zahlen, was wir verlangen."
„Können sie nicht Arbeiter aus anderer Gegend
kommen lassen?" warf ein Anderer ein.
„Woher?" rief Barthels. „Jetzt braucht kein Arm
mehr zu ruhen, wenn er arbeiten will. Und wenn
es ihnen wirklich gelänge, einige Fremde zu gewinnen,
daun werden wir sie zwingen, die Arbeit niedcrznlegen.
Wir haben ja die Mach:, wenn wir nur einig sind
und den Muth haben, sie zu benutzen!"
Er wurde dadurch unterbrochen, daß die vier berit-
tenen Polizübcamteu die Straße herab sprengten und
vor dem Wirlhshause still hielten. Der Staatsanwalt,
der Kommissär und der Schulze des Dorfes folgten
ihnen in geringer Entfernung.
„Was wollen die?" rief Barthels und'sein Gesicht
nahm einen betroffenen Ausdruck an.
„Wahrscheinlich trinken, wie wir," entgegnete ein
Anderer.
„Nein"— nein!" fuhr Barthels fort, „ich glaube
— es gilt uns!"
Die Anderen sollten sofort den Beweis haben,
daß seine Befürchtung richtig war. Langhoff, welcher
zu ihnen gehörte und am Abende zuvor bei dem
Ueberfalle des Herrn v. Malten gewesen war, schritt
über den Hof des Wirthshauses, der Schulze deutete
auf ihn und sofort sprengten zwei der Polizeibeamten
auf ihn zu und verhafteten ihn.
Bestürzt fuhren die Männer, welche neugierig am
Fenster gestanden hatten, zurück.
„Es gilt uns — cs gilt uns!" rief Barthels.
In wilder Unruhe eilten die Männer durch ein-
ander.
„Laßt uns die Thüre schließen! Schiebt Tische
und Stühle davor!" rie ein Anderer. „Wer mit
Gewalt herciudringcu will, den schlagen wir nieder.
Ich ergebe mich nicht gutwillig. Auf— auf, helft mir!"
Er begann einen Tisch vor die Thüre zu rücken,
noch war er jedoch damit nicht weit gekommen, als
der Kommissär, von dem Schulzen gefolgt, die Thüre
öffnete uud mit dcu Worten: „Im Namen des Ge-
setzes!" eiutrat. Hinter ihm standen die Polizei-
diener.
Die Arbeiter wichen bestürzt zurück; das schnelle,
unerschrockene Vordringen des Kommissärs schüchterte
sie ein.
„Wo ist Barthels?" fragte der Schulze, der die
Männer sämmtlich kannte.
Die Arbeiter blickten sich erstaunt um. Der Ge-
nannte, ihr Wortführer, der sie am Tage zuvor zur
Einstellung der Arbeit angcstachelt, hatte den eisten.
Augenblick der Verwirrung uud Bestürzung benutzt,
unJin das Nebenzimmer zu entkommen, und das offen
stehende, in den Garten des Wirthshauses führende
Fenster verrietst, daß es ihm gelungen war, zu ent-
fliehen.
Unwillig trat der Kommissär mit dem Fuße auf
die Erde. Der Schulze hatte ihm Barthels als den
Anführer der Arbeiter und als einen unruhigen und
zu Gewaltthateu geneigten Mann bezeichnet und Bar-
thels war cs außerdem gewesen, der am Tage zuvor
ein Pistol getragen hatte. Er befahl zweien der Poli-
zeidiener, den Entflohenen sofort zu verfolgen.
„Bieten Sie alle Kräfte auf, um ihn zu ergreifen!"
ries er ihnen nach. „Noch kann er das Dorf nicht
verlasstu haben!"
Der Schulze erbot sich, die Männer zu begleiten
und zu Barthels Wohnung zu führen, weck er ver-
muthete, daß derselbe sich dorthin begeben habe.
Während der Kommissär die Männer in dem Zim-
mer durch die Polizeidieuer bewachen lies, führte er
Langhoff in ein anderes Gemach, um ihn zu verhören,
ehe derselbe sich mit Anderen verständigen konnte.
„Sie haben gestern mit einer Anzahl Genossen bei
dem Gutsbesitzer v. Malten die Arbeit eingestellt?"
fragte Pitt.
„Ja," gab Laughosf offen zur Antwort, da er
durch die Verhaftung sehr eiugeschüchtert war. „Wir
tonnten mit dem Lohne, welchen wir erhielten, nicht

mehr auskommen, denn Alles ist thcurcr geworden.
Auch die Gutsbesitzer nehmen ja jetzt einen" höheren
Preis für das Korn. Sollen sie allein reich werden,
während wir kaum so viel verdienen, nm kümmerlich
zu leben!"
„Dies verlangt Niemand," bemerkte der Kommissär.
„Sie haben das Recht, mehr zu verlangen; allein Sie
haben gegen den Herrn v. Malten Drohungen aus-
gestoßen, als er Ihnen den Lohn nicht bewilligen
wolüe."
„Ich habe keine ausgestoßen," entgegnete der Ar-
beiter.
.Daun haben cs die Anderen gelhau," fuhr Pitt
fort. „Sie haben ihn durch Drohungen zwingen
wollen."
„Es sind heftige Worte auf beiden Seiten gefallen,"
sprach Langhoff. „Der Herr v. Malten ist auch nicht
ruhig geblieben, solch ein Herr darf freilich ganz anders
anftretcn."
„Wo waren Sie gestern mit mehreren Ihrer Ka-
meraden, als der Abend hereiubrach?"
„Im nahen Walde."
„Was machten Sie dort?"
„Nichts, wir hatten ja keine Arbeit."
„Sie wußten, daß der Herr v. Malten durch
den Wald kommen werde?"
„Ich habe es nicht gewußt."
„Sie haben ihn dort überfallen."
„Nein, wir sind, als er durch dcu Wald ritt, nur
an ihn herangctrcten, um noch einmal unsere Forderung
zu wiederholen." ,
„Sie sind unter Drohungen seinem Pferde iu die
Zügel gefallen."
„Ich nicht."
„Dann hat es einer Ihrer Kameraden gethan."
„Ich habe es nicht gesehen, sondern: nur bemerkt,
daß der Gutsbesitzer Einen mit der Reitgerte über
den Kopf schlug und dem Pferde die Sporen gab, so
daß es zwei uiedermarf."
„Er würde dies sicherlich nicht gcthan haben, wenn
er nicht dazu gezwungen worden wäre. Weshalb
waren Sie sämmtlich mit Knütteln bewaffnet?"
„Ich trage stets einen Stock, wenn ich fort gehe."
„Einer von Ihnen, Barthels, führte ein Pistol bei
sich — zu welchem Zwecke?"
„Das weiß ich nicht, denn ich habe ihn nicht darum
befragt und gesagt hat er cs auch nicht."
„Wann kehrten Sie gestern Abend heim?"
„Ich weiß nicht, um welche Zeit es war."
„Sie werden jedenfalls wissen, ob cs früh oder
spät am Abende war?"-
„Es war noch nicht spät."
„lind doch sind Sie während dcr Nacht ans dem
Gute des Freiherr» v. Manustein gewesen?"
Langhvff blickte den Kommissär etwas betroffen an.
„Ich bin nicht dort gewesen;" entgegnete er dann.
„Sie, Barthels nnd noch drei oder stier Männer,"
wiederholte Pitt. „Leugnen Sie nicht, denn Sie sind
gesehen und erkannt 'morden."
„Ich bin nicht ans dem Gute gewesen."
„Vergessen Sie nicht, daß Ihr Leugnen Sie doppelt
verdächtig macht," bemerkte der Kommissär.
„Ich bin nur iu der Nähe des Gutes gewesen,"
gab der Arbeiter nach kurzem Bedenken zur Antwort.
„In dem Garten?'
„Nein,"
„Was führte Sie dorthin?"
„Wir hatten gesehen, daß der Gutsbesitzer nach
dem Gute des Freiherr» v. Manustein geritten war
und wollten seine Heimkehr abwarten, denn wir waren
erbittert aus ihn, weil er mit der Reitgerte geschlagen
und zwei nicdergeritteu hatte."
„And was würden Sie gethan haben, wenn Ihnen
Herr v. Malten begegnet wäre?"
„Das weiß ich nicht!"
„Sie wollten ihn ermorden?"
„Nein!" rief der Arbeiter fast erschreckt. „Das war
nicht unsere Absicht!"
„Wußten Sie, daß der Gutsherr nicht zurück-
gekehrt war?"
„Nein, als wir an dein Garten des Gutes angc-
langt waren nnd dort eine Zeit laug gewartet hatte»,
erbot sich Barthels, iu dcu Garten zu gehen und nach-
zuforscheu, ob der Gutsbesitzer sich noch bei dem Frei-
herr» befinde. Er kehrte nach einiger Zeit zurück und
sagte, daß in dem ganzen Hause kein Zimmer mehr
erhellt sei. Der Herr v. Malten müsse auf einem
andern Wege heimgeritteu sein. Nun kehrten auch wir
heim."
„Weshalb übernahm Barthels dies?"
„Er erlut sich dazu, weil er früher längere Zeit
in dem Garten gearbeitet hatte uud ocnselben genau
kannte. Er kannte auch den Jagdhund des Freiherr»,
der einen Fremden sicherlich augepackt hätte." ,
„Barthels war auch mit den Räumlichkeiten des
Hauses bekannt?"

„Das weiß ich nicht, es ist jedoch möglich."
„Er nahm sein Pistol mit sich?"
„Ich habe cs nicht gejehcn, er wird es indessen
Wohl gethan haben."
„Blieb er lauge fort?"
„Vielleicht eine gute Viertelstunde lang, genau kanu
ich es nicht angeben."
„War er aufgeregt, ats er zurückkehrte?"
„Ich habe es nicht bemerkt. Er rief uns zu, daß
wir hcimkehren könnten, denn im Schlosse sei Alles
still und schlafe."
„Sie kehrten daun heim?"
«Ja."
„Sie wußten, daß der Herr v. Malten bei den,
Freiherrn geblieben war?"
Nein."
„Barthels wusste es?"
„Auch er konnte <s nicht wissen — er würde cS
uns gesagt haben," gab Langhoff Zur Antwort.
„Wissen Sie, daß der Herr v. Malten ermordet
ist?" fragte der Kommissär.
Ter Arbeiter blickte ihn starr au, ohne zu ant-
wort n. Diese Mittheilung schien ihn zu erschrecken.
„Unmöglich!" rief er endlich.
„Er ist in dem Hause des Freiherrn ermordet nnd
zwar erschossen worden!" fuhr Pitt fort, den Arbeiter-
scharf beobachtend. „Sollten Sie dies wirklich noch
nicht gewußt haben?"
„Nein!" ries der Arbeiter, nnd der Ausdruck seines
Gesichtes verrietst, daß er die Wahrheit gesprochen
habe. „Hier weiß Niemand etwas davon."
„Haben Sie, während Barthels iu dem Garten
war, einen Schuß gehört?"
„Nein."
„Weshalb sind Sic heute Morgcu so Zeitig hier-
wieder im Wirthshause zusammen gekommen?"^
„Wir wollte:: berathen, was zu tyun sei, um unsere
Forderung durchzusetzeu."
„Bei wem?"
„Bei dem Herrn v. Malten."
„Hat Barthels au der Berathung Theil genommen?"
„Ja-"
„Hat er nicht durch irgend ein Wort angedeutet,
daß er au den: Gutsbesitzer sich bereits gerächt habe?"
„Ich habe nichts gehört und er hat den Herrn
v. Malten auch nicht erschossen. Hätte er eine solche
That begangen, so würde er sie uns mitgerheilt haben.
Er hatte wohl gestern Abend etwas viel getrunken,
allein er wußte, was er that!"
„Wenn er sich nicht schuldig fühlte, weshalb ist er
geflohen?" warf Pitt ein. „Es macht dies ihn doppelt
verdächtig. Wer war außer Barthels in der vergan-
genen Pracht noch mit Ihnen?"
Langhoff nannte die Namen der Arbeiter, cs waren
vier.
Dcr Kommissär ließ dieselben verhaften nnd entließ
die übrigen, welche sich noch in dem Gastzimmer be-
fanden. Dem Staatsauwalte thellte er die Aussage
Langhoff's mit.
„Zweifeln Sie noch, daß die That durch den Ar-
beiter, durch Barthels, ausgeführt ist? fragte Riegel.
Pitt zuckte mit der Achsel.
„Obschon sich die Beweise, welche gegen denselben
sprechen, vermehrt haben," entgegnete er, „so :st doch
von meinen Bedenken noch kein einziges entkräftet."
„So nennen Sie mir eine andere MogUchkeit,
welche nur die geringste Wahrscheinlichkeit für sich pat,"
warf der Staatsanwalt ein. „Jede That muß doch
eine Veranlassung voraussetzen _uud Sie wissen aus
den: Munde des Freiherr::, daß Malten keinen Feind
hatte..."
„Den der Freiherr kennt," fügte der Kommissär-
Innzu. „Nun, es wird hoffentlich bald gelingen, volle
Aufklärung zu finden. Ich werde mich durch meine
Bedenken nicht abhalten lassen, Jeden, auf den nur
der geringste Verdacht fällt, zu verhaften."
Die beiden Polizeidiener uud dcr Schulze kehrten
zurück, ohne daß es :hnen gelungen war, Barthels zu
ergreifen.
„Er ist nicht nach seiner Wohnung, sondern nach
dem nahen Walde geeilt," berichtete dcr Schulze.
siWir erfuhren dies erst, als er den Wald bereits er-
reicht hatte."
„Haben Sie ihn dorthin nicht verfolgt?" fragte Pitt.
Nein, es würde eine vergebliche Mühe gewesen
sein',' denn der Wald, den er sehr genau kennt, bietet
hundert Verstecke zwischen den Felsen. Wir könnten
ihn vielleicht Tage lang dort suchen, ohne eine Spur
zn finden."
„Sie haben es ihn: sehr leicht gemacht, zu ent-
kommen," wandte dcr Krimiualkommissär sich unwillig
en die Polizeidiener. „Sie bleiben hier, denn ich bin
überzeugt, daß er zum Dorfe zurücklehren wird, daun
verhaften Sie ihn sofort. Haben Sie seine Wohnung
durchsucht?"
„Das ganze Haus, er war nicht darin," gab dcr
 
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