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Das Haus -es Othello.
Erzählung
von
C. N. Strilwh.
(Fortsetzung.)
Dem Italiener niederen Standes ist mehr Takt
und Höflichkeit eigen als manchem Gebildeten anderer
Länder und noch viel mehr der Jugend und Aumuth
gegenüber. Man machte Platz. „Wer ist sie?" fragte
Einer.
„Es ist eine der Damen," sagte ein Anderer,
„welche milde Beiträge für die Familien der Unglück-
lichen einsammeln, die von den Oester-
reichern in Mailand umgebracht wor-
den sind, sie kam hier nebenan aus
dem Hause."
„Es ist die Gräfin Barberigo von
Campo del Carmine," fügte ein Gon-
dolier hinzu, „die Familie gehört zu
unseren besten Patrioten."
„Was schiert mich die Gräfin!" schrie
der mit dem konfiszirten Gesicht. „In
die Lagune mit dem Schuft! Es ist ein
Spion, ich kenne ihn."
„Und ich kenne Dich, Nino," fuhr
ihn die Dame an. „Du gehst hier
müßig und hetzest die Leute auf, wäh-
rend Deine Frau und Deine Kinder
von den Almosen der Oesterreichcr leben.
Schäme Dich!"
Max hatte mühsam seine Gelassen-
heit bewahrt und nur soviel Widerstand
geleistet, als nöthig war, sich vor dem
kalten Bad in der Lagune zu schützen.
Jetzt war es rhm gelungen, die An-
greifenden, deren Aufmerksamkeit sich
der Dame zugewendet hatte, abzu-
schütteln.
„Nehmen Sie meinen Dank, Si-
gnora," sagte er, ein wenig verwirrt
über die unerwartete Wendung, welche
die Scene genommen hatte, „ich bin
überzeugt, diese Leute sind gegen mich
aufgehetzt und kann mir auch denken
von wem.. Die Dame hat Recht," suhr
er zu seinen Widersachern fort, „ich
bm kein Oesterreicher. Wenn ihr die
Leute, welche eure Stadt besuchen, so
behandeln wollt, wird es bald keine
Fremden mehr bei euch geben."
„Er rauchte Cigarren," rief eine
Stimme aus der Menge heraus.
„Das ist mir ein sauberer Grund,
die Leute in's Wasser zu werfen," fuhr
der Gondolier, welcher Ghita erkannt
hatte, dazwischen. „Erlaubt, Herr, daß

ich die paar Soldi, die Ihr dem Kellner schuldet, für
Euch auslege, Ihr mögt sie mir bei der nächsten
Fahrt zurückgeben, die wir mit einander machen."
„Geben Sie mir Ihren Arni, mich zu meiner
Gondel zu begleiten," sagte das junge Mädchen.
Die Menge theilte sich, die Beiden durchzulassen,
einige Stimmen riefen sogar: „Uvviva la 6ontes8a
Larberigo!" Die konfiszirte Physiognomie mit noch
ein paar Anderen hatten sich in eine dunkle Seiten-
gasse zurückgezogen und waren dort stehen geblieben,
scheinbar in ein gleichgiltiges Gespräch vertieft.
„Es scheint mir," sagte die junge Dame, „die
Taugenichtse dort im Dunkeln haben nichts Gutes mit
Ihnen im Sinn, unsir Volk ist leicht aufzuregcn und

vielleicht haben Sie Recht, daß Jemand die Leute auf-
gehetzt hat. Ich meine," fetzte sie nach einigem Zö-
gern° hinzu, „es ist besser, wenn Sie mir die Ehre
schenken, mich zu begleiten. Ich werde Sie an der
anderen Seite des Kanals bei der Salute oder an
dem Platze vor der Akademie an's Land bringen, so
kommen Sie den Burschen aus den Augen."
Der junge Mann folgte der Einladung.
Goethe vergleicht die venetianische Gondel mit einer
Wiege, auf welcher ein geräumiger Sarg steht. Für
die Beiden aber war sie nicht ein Haus des Todes,
denn die Hoffnung, die Bedingung eines jeden Lebens,
saß neben ihnen. Für Ghita erfüllte sich ein Traum,
deu sie sich in ihren phantastischen Stunden zusammen-
gesponnen hatte. Es war ihr, als
steige sie in dem Zauberwagen einer
gütigen Fee zu den Abeudwolken von
Gold und ^Purpur empor, in ein
Wunderland, wo Sorge und Leid weit
hinter uns liegen und holde Stimmen,
Glück verkündend, den Nahenden begrü-
ßen. Sie meinte, daß Alles, was sie
bisher gequält und gedrückt hatte, ver-
schwunden sei wie Nebel vor der auf-
steigenden Sonne.
Beide faßen eine Weile stumm neben
einander, auf die vom Abendwind leise
gekräuselte Wasserfläche hinausschauend,
welche ihre Gondel durchfurchte.
Auch Max fühlte eine Befangenheit,
welche ihm sonst im Gespräch mit
Damen fremd war, auch Heleuen gegen-
über hatte er dieselbe nie empfunden.
Endlich begann er:
„Es ist heute schon zum zweiten
Male, daß der Zufall uns zusammen
führt, gnädige Gräfin. Sie werden
sich wohl kaum mehr erinnern, daß
ich vor einigen Wochen im Eisenbahn-
coupe Ihr Reisegefährte gewesen bin."
„Sie haben mich wieder erkannt?"
fragte das junge Mädchen erröthend.
„Wie sollte ich nicht," gab Max
zur Antwort. „Wenn Sie auch da-
mals dicht in Ihren Schleier verhüllt
waren, sah ich doch die Augen."
Ghita überkam ein Lächeln. Die
Nasenspitze, welche die Kälte so ab-
scheulich geröthet hatte, dachte sie, hat
er gewiß doch auch bemerkt.
„Und diese Augen," fuhr der junge
Mann fort, „hatte ich schon einmal
gesehen — auf einen: Porträt, das ich
unter dem Nachlaß meines Vaters fand.
Das Original war eine Venetianerin
und vielleicht eine Verwandte von Ihnen,
wenigstens führte die Dame denselben
Namen, sie hieß Giuditta Barberigo."


David Friedrich Strauß.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 322.)
 
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