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sich diese Befürchtung aus. Er machte sich Vorwürfe,
daß er nicht gegen den Willen der Geheimeräthin die
Hilfe der Polizei in Anspruch genommen. Vielleicht
kam dieselbe auch jetzt noch nicht zu spät! Schnell
entschlossen fuhr er zur Stadt, um den Polizeikommisfär
Pitt aufzusuchen.
„Sie allein können helfen," sprach er zu dem Kom-
missär, als er ihm Alles mitgetheilt hatte. „Ihnen wird
es gelingen, zu entdecken, wo die Unglückliche geblieben ist."
„Weshalb haben Sie mich nicht sofort davon in
Kenntniß gesetzt?" warf Pitt ein.
„Die Mutter der Unglücklichen war nicht dazu zu
bewegen; sie darf es auch jetzt noch nicht erfahren,
weil sie den Gedanken, daß ihre Tochter durch die
Polizei ausgesucht werde, nicht zu ertragen vermag."

Der Kommissär schwieg — er schien nachzusinnen.
„Die Schwierigkeiten haben sich nach so langer
Zeit um das Zehnfache erhöht," sprach er dann.
„Manche Spur der Entflohenen wird vollständig ver-
wischt sein. Wissen Sie, wohin dieselbe sich zuerst
gewandt hat?"
„Nein."
„Sie sagten, sie habe nur geringe Mittel bei sich
gehabt."
„Nur wenige Thaler, soviel ihre Mutter wußte."
„Hat sie sich nicht näher darüber ausgesprochen,
ans welchem Wege sie sich eine selbstständige Stellung
zu erringen koste?"
„Nein. Ich habe mit ihrer Mutter darüber ge-
sprochen, auch diese weiß es nicht. Ihr Bruder ist
Maler, auch sie hat zum Vergnügen
gemalt und soll nicht ohne Anlage
sein, möglicher Weise hat sie darauf
ihre Hoffnungen gebaut."
Der Kommissär schüttelte zweifelnd
mit dem Kopse.
„Ich werde mein Möglichstes thun,
um sie aufzufinden," sprach er dann.
„Freilich kann ich es nur, wenn ich
von meinem Vorgesetzten damit beauf-
tragt werde. Wollen Sie ihm Ihren
Wunsch mittheilen?"
„Können Sie nicht aus einige Zeit
Urlaub nehmen, um die Nachforschung
anzustellen?" warf der Freiherr ein.
„Tie Geheimeräthin hat ihren Bekann-
ten mitgetheilt, daß ihre Tochter ver-
reist sei, ich habe kein Recht, das,
was sie als Geheimnis; zu bewahren
wünscht, öffentlich mitzutheilen. Ich
bin zu Ihnen gekommen, habe es
Ihnen anvertraut, weil ich hoffe, es
werde Ihnen möglich sein, Nachfor-
schungen anzustellen, ohne daß ein
Dritter davon erfährt."
Der Kommissär sann nach.
„Es wäre möglich, allein die Nach-
forschung ist mit Kosten verknüpft, ich
werde aller Wahrscheinlichkeit nach
Reisen unternehmen müssen — auf
jeden Fall muß ich mich nach M.
begeben, um die Richtung, welche
die Entflohene eingeschlagen hat, zu
entdecken."
„Ich werde alle Kosten tragen,"
fiel der Freiherr ein. „Lasten Sie
sich durch keiue Ausgaben zurückschrecken
und seien Sie versichert, daß ich Ihre
Bemühungen reichlich belohnen werde."
„Können Sie mir eine Photogra-
phie der jungen Dame verschaffen?"
„Dieselbe soll morgen in Ihrem
Besitze sein."

dom Ädcl.
K r i m i n a l e r z ä h l u n g
von
Friedrich Friedrich.
(Fortsetzung.)
Der Professor hatte es sich nicht nehmen lasten,
der Flüchtigen selbst nachzuforschen. In der festen
Ueberzeugung, daß sie sich nach der Residenz gewandt
Habs, war er dorthin gereist. Erst als er dort an-
gelangt, war er sich bewußt gewordeu, daß er keine
Ahnung habe, was er nun weiter beginnen solle.
Wohl war er zwei Tage lang die Stadt durchwan-
dert und hatte jede Dame prüfend angeblickt, ohne
die Gesuchte zu finden, dann war er
ziemlich kleinlaut zurück gekehrt, denn
sein Versprechen, daß er Elsa mit sich
Heinibringen werde, hatte er nicht zu
lösen vermocht.
Die Besorgnis; der Geheimeräthin
mehrte sich von Tag zu Tag, dennoch
sträubte sie sich noch immer, die Hilfe
der Polizei anzurufen; hoffte sie doch
jeden Morgen, daß Elsa an dem Tage
heimkehren oder Kunde von sich geben
werde, und wenn der Abend herein-
brach, ohne daß ihre Hoffnung er-
füllt wurde, richtete sie dieselbe wieder-
aus den solgenden Tag, uni durch
ihn in gleicher Weise enttäuscht zu
werden.
Daß Platen es unternommen, die
Entflohene aufzusuchen, hatte der Frei-
herr ihr verschwiegen. Er hoffte mit
voller Zuversicht, daß des Lieutenants
Bemühung gelingen werde und wollte
sich die Freude nicht versagen, die
Tochter der Mutter wieder zuzufnhren.
Aber auch seine Hoffnung wurde
auf eine harte Probe gestellt, denn
Woche auf Woche schwand dahin, ohne
daß die geringste Spur von Elsa ent-
deckt wurde. Platen setzte ihn von
seinen Bemühungen in Kenntniß, der-
selbe reiste von Stadt zu Stadt, all'
seine Nachforschungen waren jedoch
vergebens gewesen.
„Ich weiß nicht mehr, wo ich sie
suchen soll," schrieb er. „Hätte ich
nur die geringste Spur von ihr ent-
deckt, so würde ich nicht ermüden;
jetzt erfaßt mich oft die bange Be-
sorgniß, daß sie ihrem Leben ein Ende
gemacht hat. Ich will diesen Gedan-
ken von mir scheuchen, immer kehrt er
wieder!" '
Und auch dem Freihcrrn drängte

Levin Schücking.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. iS. 154.)

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