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Der Einsiedler non Uolsitten.
Novelle
von
W. Passauer.
(Schluß.)
7.
Als sie in dein Wohnzimmer angclangt waren
und der Doktor Jansen den Rock de Veit's dem Neger
abnahm und über einen Stuhl hing, siel ein zusammen-
gefaltetes Blatt und eine umsangreiche Brieftasche
von rothem Saffian aus der Scitentasche. Der Doktor
nahm Beides vom Boden aus und warf es stumm
und hastig auf den Tifch mit einer Geberde, als ob
die Berührung ihm Ekel erregte.
„Ich meine, es wird keine Indis-
kretion sein," sagte Mallheim nach
einer Pause, „wenn wir wenigstens
in den Inhalt der Papiere einen
Blick thäten. Sie könnten uns
Auskunft über manches geben, was
in diesen räthselhaften Vorfall Licht
brächte."
„Lesen Sie, Herr Mallheim,"
sagte Jansen, der sich ermüdet in
das Sopha gesetzt und den Kopf
in die Hand gestützt hatte. „Mir
kam derselbe Gedanke; aber ich weis;
nicht — es ist ein unaussprech-
licher Widerwille in mir, die Papiere
zu berühren."
Mallheim zögerte noch. Dann
entfaltete er langsam das Papier,
warf einen Blick hinein, ließ es aus
den Tisch fallen und sah zum Doktor
erschrocken und erbleichend hinüber.
Der Doktor schwieg und sah
ihn fragend an. Auch Auna War-
an den Tisch getreten. Sie zitterte
und hatte die Hände gefaltet.
„Sprechen Sie, Herr Mallheim,
was lesen Sie? — O, ich fürchte
mich so sehr — mir ist so ängst-
lich! — Sagen Sie uns, was in
dem Papiere geschrieben steht,"
bat sie.
Mallheim athmcte ties auf und
mit finsterem Blick in das Papier-
starrend, sprach er langsam: „Es
ist eine Vollmacht für den Pater-
Samuel de Veit aus Brüssel, den
Sohn der Frau Sophie von der
Bosch, geborenen Hebert, Eugen
von der Bosch in Empfang "zu
nehmen und seiner Großmutter
nach Königsberg in das Hotel zn-
rückzubrmgen. Die Vollmacht ist

eigenhändig unterzeichnet von der Frau Obristin Mary
Sorbeuil, geborene;; Mary Soulange und adressirt an
den Doktor Eugen Hebert, genannt Doktor Jansen in
Rossittcn."
Mallheim hatte mit tiefer, bewegter Stimme ge-
sprochen. Lautlose Stille herrschte in dem Zimmer,
als er geendet. Anna sah mit nassen Augen aus
ihren Bruder.
Jansen hatte den Kopf tief in die Hand gedrückt.
Jetzt erhob er sich und langte nach den Papieren.
„Ich habe so viel gelitten in meinem Leben, daß
ich rechnen darf, auch diese neue Pein zu überwinden,"
sprach er mit sicherer Stimme und unbewegten, wenn
auch todbleichen Zügen. „Wohl hatte ich gehofft, in
dieser abgelegenen Einsamkeit mein Leben ruhig zu
beschließen und still zu verträume;;, was die Welt niir

angethan. Es soll uicht sein. Mit neuen Ketten
fesselt mich das Geschick und zieht mich in's Leben
wieder hinein. Geben Sie nur das Papier, mein
Freund, da es einmal für mich bestimmt ist. — Doch
zunächst will ich gehen, mein Enkelkind zn grüßen, das
Kind meiner Tochter willkommen heißen in seines
Großvaters Hause!"
Jansen stand gerührt an dem Bettchen des Kleinen,
der vom Schlafe erhitzt, aufblühend wie eine Rosen-
knospe und leise athmend in den Weißen Kissen lag.
Er hatte sich über ihn gebeugt und saust eines der
kleinen Hündchen ergriffen. Und die feinen rothen
Lippen des Kindes verzogen sich bei der Berührung
zu ciuem süßeu lieblichem Lächeln — der Engel der
Freude flog an ihn; vorüber und ein Traun: der
Zukunft berührte sein Herz. . . Jansen wandte sich
rasch ab; es zuckte auch um seinen
Mund — aber es war der Engel
des Schmerzes, der an ihn: vorüberzog
und der Traun: der Vergangenheit,
der sein Herz berührte. . .
Dann richtete er sich hoch auf
und kehrte in das Vorzimmer zu-
rück, wahrend Anna an den: Bett-
chen ihres Lieblings saß und still
weinte.
Herr Mallhein: empfahl sich.
Es sei spät geworden und seine
kranke Frau daheim möchte sich
über sein Ausbleiben Gedanken
machen. Er drückte den: Doktor
mit tiefer Bewegung die Hand und
bat ihn seiner zu gedeuken, wanu
und wo er seines Rathes oder seiner
Hilfe bedürftig sei. Damit ent-
fernte er sich und fuhr heim. —
Der Doktor ging noch unmal
Anna und den: Kleinen Gutenacht
zu sagen. Dann nahm er die Brief-
tasche und die Vollmacht des Je-
suiten und zog sich in sein Schlaf-
zimmer zurück. Er verschloß die
Thüre und begann die Papiere der
Brieftasche zu durchblättern. Jetzt
glaubte er eiu Recht dazu zu haben.
Er las und las und über sein
Gesicht flog der dunkle Wiederscheiu
der Pläne und Absichten de Veit's,
die aus der Korrespondenz desselben
mit seinen: geistlichen Obern in
Brüssel deutlich zu ersehen waren.
Sie gingen darauf hinaus, die
Obristin und ihre Tochter zu bewe-
gen , ihr Leben einen: Kloster in
Brüssel zu weihen und ihr großes
Vermögen, ihre bedeutenden Liegen-
schaften den; Orden zu vermachen,
während der einstige Erbe derselben,

Karl Hofmann, strohherzoglich hessischer Minister-Präsident. (S. 583u
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb.
 
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