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Vom Fdel.
K r i m i n a l e r z ä h l u n g
von
Friedrich Friedrich.
(Fortsetzung.)
Am folgenden Morgen ließ Elsa Platen durch den
Wirth bitten, zu ihr zu kommen.
„Die Arme scheint sehr unglücklich zu sein, denn
sie hat heute Morgen wieder viel geweint," fügte der
Wirth hinzu. „Meine Frau hat mir mitgetheilt, daß
sie gestern den ganzen Tag über nichts genossen, da
ist es freilich kein Wunder, wenn sie sich sehr schwach
fühlt."
„Thun Sie Alles, was in Ihren
Kräften steht, zu ihrer Pflege und Kräf-
tigung," bemerkte Platen.
Der Wirth versprach es.
„Gestern Abend spät war der Theater-
direktor noch hier," fuhr er erzählend
fort. „Er war wüthend auf die un-
glückliche Schauspielerin und hatte sie
bereits in ihrer Wohnung gesucht!"
„Sie haben ihm doch nicht gesagt, daß
sie hier ist?" wars Platen ein.
„Bewahre?" versicherte der Wirth,
den diese Frage fast verletzte. „Den
Theaterdirektor habe ich längst durch-
schaut und würde ihm nicht einen Thaler
borgen. Er sprach die Vermuthung
aus, daß die Unglückliche sich das Leben
genommen habe, und war erbittert
darüber, weil die Unverständigen ihm
einen Vorwurf daraus machen würden,
und doch habe er Alles ausgebotcn, die
Unglückliche zu einer tüchtigen Schau-
spielerin heranzubilden. Ohne alle
Mittel sei sie zu ihm gekommen und
er habe ihr sofort eine namhafte Summe
gegeben, damit sie anständig lebe, denn
das verlange er von seinen Leuten. Er
selbst würde eher hungern, ehe er ge-
stattete, daß eines seiner Leute Noth
leide!"
Platen brach das Gespräch ab, nach-
dem er dem Wirthe noch einmal einge-
schcnst hatte, den Aufenthalt der Un-
glücklichen geheim zu halten. Sein Herz
schlug laut bei dem Gedanken, daß er
jetzt vor diejenige hintreten solle, die er so
innig liebte. In der Aufregung am
Abende zuvor war er kaum znm Be-
wußtsein gekommen — jetzt waren sie
Beide ruhiger — konnte er ihr ver-
bergen, was sein ganzes Herz erfüllte?
Mußte sie es nicht in seinen Augen
lesen?

Und doch durste er nicht daran denken, ihr seine
Liebe zu verrathen und zu gestehen, denn die Zeit
würde schlecht gewählt sein, da so schwere Sorgen auf
ihr lasteten, da sie geistig wie körperlich krank zu sein
schien. Mit dem festen Entschlüsse, völlig ruhig zu
bleiben und das, was in seinem Innern vorging, zu
verbergeu, begab er sich zu ihr.
Elsa faß, als er in das Zimmer trat, halb ge-
brochen am Fenster; sie wollte sich erheben, üm
ihm entgegen zu gehen, ihre Kniee schwankten
und sie mußte sich am Stuhle halten, um nicht um-
zusinken.
Platen sprang zu ihr und geleitete sie zum Sopha
— ihre Hand zitterte. Sie bat ihn, ihr gegenüber
Platz zu nehmen, dann schwieg sie. Sie schien ihre

Kräfte erst zufammenraffen Zu müssen; starr blickte
sie vor sich hin.
„Fühlen Sie sich Wohler heute?" fragte Platen,
nur um das peinliche Schweigen zu brechen und sie
zu einer unbefangener en Unterhaltung hinzuleiten.
Elsa schien diese Frage kaum zu hören — zu viel
war sie mit den eigenen Gedanken beschäftigt. Als
sie ihn zum letzten Male gesehen, war er zu ihrem
Onkel gekommen — wie ruhig und stolz war sie ihm
damals noch entgegen getreten, wie sorgsam hatte sie
sich gehütet, auch nicht die kleinste Schwäche und
Blöße zu zeigen, und jetzt hatte er sie in ihrem ganzen
Elende gesehen! Sie saß noch vor ihm elend, ver-
lassen, gedemüthigt und mit dem ganzen Leben zer-
fallen
„Herr v. Platen," hob sie endlich
an, ohne die Augen aufzuschlagen, mit
leise bebender Stimme, „einmal sind
Sie schon für meine Ehre eingetreten
— gestern haben Sie mir das Leben
erhalten — ich danke Ihnen, obschon
Sie mir vielleicht einen größeren Dienst
erwiesen, wenn Sie gestattet hätten,
daß ich meinen Entschluß zur Ausfüh-
rung gebracht. Ich lebe jetzt, allem
ich weiß noch nicht, wie ich dies Leben
ertragen soll!"
„Sprechen Sie nicht so!" unterbrach
sie Platen ruhig mahnend. „Noch
zittert in Ihnen die ganze Erregung
nach, in der Sie sich befanden, Sie
werden ruhiger werden und anders
denken. Auch ich weiß, daß ost so
düstere Schatten auf unser Leben fallen,
daß wir die Hoffnung verlieren, kein
freundlicher Blick scheint sich uns zu
bieten und doch ziehen die Wolken, welche
den Schatten warfen, häufig weit
schneller vorüber als wir glauben!"
Elsa schüttelte langsam, zweifelnd
mit dem Kopfe.
„Erweisen Sie mir noch einen Dienst,"
sprach sie dann. „Schreiben Sie meiner
Mutter, daß ich hier bin! Ich kann
es nicht, ich bin voll ihr gegangen
mit dem Entschlüsse, mir eine Lebens-
stellung zu erringen — ich kannte das
Leben noch nicht, jetzt bin ich so un-
sagbar tief gedemüthigt, daß ich ihr
nicht schreiben kann. Aber ich sehne
mich nach ihr, es verlangt mich, mich
an ihr Herz zu werfen, ich fühle, daß
ich dastehe hilflos wie ein Kind, dem
die Eltern genommen, das hinansge-
sioßen ist in das Leben und das nicht
weiß, wohin es sich wenden soll."
„Ich habe Ihrer Mutter bereits
gestern Abend Nachricht gegeben, daß

vr. Joseph Bölk. (S. 178.)
Noch einer Photographie gezeichnet von C. Kolb.
 
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