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162

Das An ch s ü r l l c.

nehmen, da in seiner Familie ein ähnlicher Fall nie
vorgekommen. Es bleibt deshalb nur die zweite Mög-
lichkeit übrig?"
„Welche ist dies?"
„Daß die Kugel nicht dein Herrn v. Malten, son-
dern Ihnen gegolten hat!"
Ter Freiherr war bei diesen Worten zusammcn-
geznckl und erbleicht, seine Angen ruhten nut starrem
Ausdrucke auf dein Kommissär.
„Olein — nein!" sprach er.
„Die Vermuthung liegt durchaus nicht fern," fuhr
der Kommifsür fort. „Wie Sie mir miigetheilt, war
Ihr Freund erst gegen Abend zn Ihnen gekommen,
es war nicht seine Absicht gewesen, die Nacht bei Ihnen
zu bleiben, Sie hatten ihn dazu bewogen, hatten ihm
sogar Ihr Zimmer und Bett überlassen. Der Mörder
wußte davon nichts, er drang in das Zimmer ein —
es war Nacht — er glaubte d's Pistol auf Sie ab-
zufeuern und hat den Herrn v Malten erschossen!"
„Es ist nicht möglich!" rief der Freiherr, indem
er ausspraug und unrnhig das Zimmer durchschritt.
„Ich begreife, daß dieser Gedanke Sie sehr Pein-
lich berühren muß," sprach Pitt beruhigend. „Malten
ist gewissermaßen sür Sie zum Opfer gefallen, allein
Eie kann deshalb nicht der leiseste Borwmf treffen,
da Sie dies natürlich nicht ahnen konnten. Sehen Cie
es als eine Fügung der Vorsehung an, welche Ihr
Leben erhalten wollte!"
Der Freiherr schritt noch immer im Zimmer auf
und ab, ohne zu antworten.
„Steigt noch kein Verdacht in Ihnen auf?" fragte
der Kommissär.
„Nein —- es kann auch nicht sinn!" rief dec Frei-
herr, indem er vor Pitt stehen blieb. „Ich bitte Sie,
gegen Niemand diese Vennnthung auszn Prechen. Wird
Fran v. Mallen, wenn sie es erfährt, mich ohne inneren
Vorwurf anblicken können, wird nicht stets der Grdcucke
in ihr aussteigen: Durch Deine Schuld ist er gestorben!
Du hast ihn in das Zimmer gebracht, hast ihn: Dein
Bett eingeränmt! Erhöhen Sie den Schmerz der un-
glücklichen Fran nicht noch!"
Er hatte diese Worte in der größten Erregung
gesprochen.
„Ich werde darüber schweigen, so lange es möglich
ist," entgegnete Pitt. „Meine Pflicht zwingt mich jedoch,
diese Spur mit allem Eifer zu verfolgen und ich darf
wohl hoffen, daß Sie mich darin unterstützen werden.
Haben Sie keinen Feind?"
Der kleine Freiherr blickte den Kommissär halb starr,
halb fragend an, als habe er die Worte laum verstanden.
„Ich weiß es nicht," gab er zur Antwort. „Kön-
nen Sie in das Herz eines jeden Menschen blicken?
Wissen Sie, ob nicht gerade ter, welcher sich Ihren
Freund nennt, Ihnen feindlich gesinnt ist? Sind nicht
die meisten Menschen gegenseitig Feinde, sobald ihre
Interessen sich cntgegentreten? Ich bin mein Leben-
lang bemüht gewesen, gegen Andere gerecht zu sein
und habe nie darnach gefragt, ob ich Feinde habe —
ich kenne deshalb keinen."
Pitt erriech, daß der Freiherr ihm die Wahrheit
nicht offen sagen mochte.
„Herr Freiherr, liegt nicht auch Ihnen an der
Entdeckung nnd Bestrafung des Mörders?" fragte er.
Wieder schien der kleine Herr bei dieser Frage leise
zu zucken, er faßte sich jedoch schnell.
„Gewiß!" versicherte er. „Malten war ja mein
Freund, nnd wenn er mein Bruder gewesen wäre, so
hätte er mir nicht li ber sein können. Eine solche That
darf nicht ungejüynt bleiben!"
„Sie haben mir also nichts weiter zu sagen?"
fragte Pitt.
„Nichts — nichts!" erwiederte Mannstein fast
hastig nnd wandte sich ab, als wünsche er das Ge-
spräch abznbrcchcn.
Der Kommissär entfernte sich. Der Freiherr war
ihm ein Näthsel und doch hatte er aus dessen Erbleichen
und erregtem Wesen die volle Ueberzengung gewon-
nen, daß seine Vermuthung die richtige war. Die
Kugel, welche Malten gctodtet, hatte dem Freiherrn
gegolten, dieser schien sogar zu wissen, wessen Hemd
sie abgeschossen, w ein sein Mund mochte den Namen
desselben nicht nennen.
Langsam zur Stadt zurückkehrend, verfolgte er die-
sen Gedanken weiter nnd weiter, cr erwog alle Ver-
hältnisse des Freiherru, ohne dadurch dem Ziele nahe
zn kommen. Die Thal konnte entweder aus Rache
geschehen sein, oder Jemand hatte sie vollbracht, in
dessen Interesse der Tod des Freiherrn lag.
Seine Gedanken richteten sich auf den Baron
v. Selditz. Er wußte, daß derselbe der nächste Ver-
wandte des Freiherrn war rind daß dieser ihn zn
seinem alleinigen Erben (ingesetzt hatte. Sollte der
kleine Herr dem Baron, dessen wüstes rieben cr kannte,
zu lange leben! Sollte Selditz die That begangen
haben, Um in den Besitz des Vermögens zu ge-
langen?" . ..

Wider seinen Willen hatte dieser Gedanke sich ihm
aufgedrängt nnd doch hielt er ihn sür unmöglich.
Sollte der Baron selbst bei all' seinem Leichtsinne
einer solchen That fähig sein? Sollte er, der Letzte
eines so alten und stolzen Geschlechtes, zum Mörder
herabsinken tonnen? Es war kaum denkbar. Und
weshalb sollte er eine so entsetzliche That begangen
haben, da der Freiherr ihn stets in freigebigster
Weise mit Geld versehen und seine Schulden bezahlt
hatte? . . .
Er wollte diesen Gedanken verscheuchen, derselbe
drängte sich ihm von selbst wieder auf. Die That
konnte nur Jemand begangen haben, der mit der
Einrichtung des Zimmers genau vertraut gewesen nnd
gewußt hatte, wie leicht der kleine Riegel von außen
znrückzuschicben gewesen war. Er mußte auch ge-
wußt haben, daß der Freiherr Nachts die Thüre
nicht zn verschloßen, sondern nur deu Riegel vorzu-
schielnn Pflegte. Sollte der Baron dies nicht gewußt
haben? . . .
Er erinncrte sich der Pferdespnren, welche er am
Morgen nach der That hinter dem Gutsgarten wahr-
genommen hatte — stimmten sie nicht auch zn seiner
Vermuthung? — Der Baron war während der Nacht
zum Gate geritten, hatte das Pferd dort angebunden,
bis er die That ansgeführt, und war dann zurück
gekehrt.
Der Diener des Frcihcrrn, welcher in der Stadt
gewesen war, kam ihm entgegen; er blieb bei ihm
stehen, um ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen.
Ohne Zög.rn erzählte der Diener, daß er einen
Brief zur Stadt getragen habe.
„An den büchen Ihres Herrn?" warf der Kom-
missär scheinbar ganz gleichgiltig ein.
Ein halb verstohlenes Lächeln zuckle über das
Gesicht des Dieners hin.
„Nein, nicht au den Herrn Baron," gab cr zur
Antwort. „Ich glaube auch kaum, daß ich je wieder
einen Brief an denselben besorgen werde."
„Weshalb nicht?" fragte Pitt.
„Mein Herr ist mit ihm zerfallen."
„Weshalb?"
„Ich weiß es nicht. Zufällig hörte ich, daß mein
Herr ibn zn enterben drohte nnd daß der Baron dann
sofort nnd in sehr erregter Stimmung zur Residenz
zurückkchrte."
„Wann war dies?"
Der Diener sann nach.
„Es werden drei bis vier Wochen seitdem ver-
flossen sein."
„War es, ehe der Herr v. Malten erschossen
wurde?"
„Ja Wohl, der Baron war am Tage zuvor ab-
gereist."
„Wissen Sie dies genau?"
„Gewiß, es war am Tage zuvor."
„Habeu Sie irgend ciue Ahnung, weshalb Ihr
Herr mit seinem Neffen zerfallen 'st?"
„Nein, der Freiherr muß jedoch einen gerechten
Grund gehabt haben, denn so heftig erregt habe ich
ihn nie gesehen. Er drohte ihn zn enterben, und ich
bin überzeugt, daß er es thnn wird, denn wenn er
einmal einen Entschluß gefaßt hat, so führt er den-
selben auch ans."
„Stehen Sie schon längere Zeit im Dienste des
Freiherrn?"
„Bereits über acht Jahre."
„Hat der Freiherr schon früher Zwistigkeiten mit
seinen! Neffen gehabt?"
„Rein, ich habe wenigstens nie etwas davon ge-
merkt, er war immer freundlich gegen ihn."
„War der Baron erbittert, als er abreiste?"
„Sehr! Er wollte es verbergen, cs gelang ihm
jedoch nicht. Er sagte dein Freiherrn nicht einmal
Adien!"
Der Kommissär forschte nicht weiter, cs trieb ihn
zur Stadt, um zunächst zu erfahren, wo der Baron
in jener Nacht gewesen war.
In der Stadt angelanat, begab er sich sofort zu
dem Hause, in welchem Se-ditz wohnte nnd- dessen
Wirth, einen Rentier Namens Oswald, er kannte.
Es wurde ihm trotzdcm nicht leicht, sich das Zimmer
des Barons zeigen zu lassen, denn die Neugierde des
Rentiers war größer als er erwartet hatte. Er hatte
Oswald mitgetheilt, daß er sür einen sehr reichen alten
Herrn eine Wohnung suche nnd sein Ange ans die
des Barons gerichtet habe, da dieselbe parterre ge-
legen sei und cinen Ausgang nach dem kleinen Garten
habe. Endlich gelang cs ihm, den Rentier zu be-
wegm, ihn in das Zimmer des Barons zu führen.
'„Es ist ganz so, wie ich es suche," sprach er, in-
dem er das geräumige nnd freundlich gelegene Zim-
mer mit scharfem Bücke musterte. „Es ist hell und
geräumig, dieser Ausgang in den Garten ist reizend
für einen alten Herrn der füllten ausgeht nnd doch
gern em wenig frische Luft geniech!"

HeU 5.

„Der Baron ist auch sehr zufrieden damit nud
wird cs sehr ungern hergeben," bemerkte der Renner,
Der Kommissär zuckte mit der Schulter.
„Er kann cs Ihnen unmöglich übel nehmen, wenn
Sie ihm kündigen, weil Sie eine höhere Mieths ver-
langen. Will er Ihnen dasselbe zahlen, dann hat er
freilich das Vorrecht. Gehören diese Möbeln dem
Baron?"
„Sie gehören mir," siel der Rentier ein.
„Alles sehr hüb'ch," fuhr der Kommissär fort, der
an der Einrichtung des Zimmers den größten Eefakün
zu finden schien,, obschon sie ihn nicht im Geringsten
interessirte und sein Auge ganz andere Gegenstände
prüfte. „Ein paar feine Pistolen dort über dem
Sopba, der Herr Baron ist gewiß auch Schütze."
Er trat näher heran und streckte die Hand uach
den Pistolen aus.
„Es darf nichts angerührt werden!" ries der Ren-
tier. „Der Baron leidet es nicht und ist darin sehr
streng!"
Pitt schien diese Worte völlig zn überhören, denn
schon hielt er eines der Pistolen in der Hand und
besah sie Prüfend. In den gezogenen Lauf konnte
sehr wohl die Kugel Passen, niit der Malten er-
schossen war.
„Eine wirklich feine Arbeit," sprach ec. „Ich
liebe alle Waffen. Sehen Sic, wie sauber der Schach
ansgelegt ist. Ob sie geladen ist?"
Er zog langsam, prüfend deu Hahn aus.
Der Rentier sprang erschreckt zurück.
„Ich bitte, hängen Sie das Pistol wieder an die
Wand," rief er.
Der Kommissär that es lächelnd.
„Sie sind ängstlicher als ich vermuthele," sprach
er, indem cr das Zimmer wieder verließ. „Eire
solche Waffe ist so sicher toie ein Stock, man muß
nur damit umzugehen verstehen. Der Baron ist wohl
sehr solide?" fügte er mit einem halb verschmitzten
Lächeln hinzu.
Der Rentier seufzte unwillkürlich.
„Ich freue mich, daß er nicht mein Sohn ist,"
gab er zur Antwort. „Er kommt fast jede Nacht
erst gegen Morgen heim und schläft dann gewöhnlich
bis gegen Mittag. Die Herren seines Standes machen
es freilich Alle nicht anders. Arbeit haben sie nicht
nnd an Geld fehlt es auch gewöhnlich nicht, und
wenn es fehlt, gibt es immer Menschen genug, welche
es willig borgen nnd dafür unerhörte Zinsen nehmen."
„Sie laufen dafür auch oft Gefahr, das Ganze
zu verlieren," bemerkte der Kommissär. „Halt, es
fällt mir foeben etwas ein," unterbrach er sich selbst.
S:e wissen wohl nicht, ob der Baron in der Nacht
vorn 20. zum 21. Juli zu Hanse war?"
„Weshalb?" fragte der Rentier neugierig.
„Es handelt sich nur um eine tolle Welte, welche
iu jener Nacht in einer Weinstube zwischen mehreren
Offizieren und einem Herrn abgeschlossen ward," geb
der Kommissär lachend zur Antwort. „Mich interesfirt
die Sache nur in soweit, weil die Werte wirklich eine
tolle ist nud ich auf den Ausgang derselben gespannt
bin. Mir erzählte der Wirth der Weinstube davon.
Ein Herr, den er nicht kannte, der jedoch von den
Offizieren Baron genannt wurde und mir als eine
große schlanke Gestalt geschildert ist, so daß es der
Baron v. Selditz sehr Wohl sein könnte, hat gewettet,
daß er in 40 Stunden 25 Meilen gehen will, ohne
sich ein emsiges Mal nieder zn setzen."
„Das ist unmöglich!" rief der Rentier.
„Auch ich glaube nicht, daß es durchzufnhren ist
und deshalb inicressut es mich sehr, zn erfahren, wer
eine so tolle Aufgabe sich gestellt hat."
„Und die Wette ist in der Nachc vom 20. zum 2t.
Juli abgeschlossen?"
„Ja wohl."
„Dann ist es der Baron v. Seldch nicht gewesen."
„Woher wissen Sie ki s?"
„Weil ber Baron in jener Nacht das Hans nicht
verlassen hat.
„Sollten Sie sich nach so langer Zeit noch genau
daran erinnern?"
„Ja, ich will Ihnen auch mittheilcn, weshalb.
Am 2 u war msin Geburtstag nnb ich hotte einige
Freunde zu mir eingeladen. Der Baron kam gegen
Abend heim un) tlagte über Unwohlsein. Er legte
sich zn Belt nnd liejz sich von meiner Frau Thee
kochen."
„Ließen Sie keinen Arzt rasen?"
„Nein, cr wünschte es nicht. Am Abende schien
es ctmas besser mit ihm zu werden, er sagte, daß cr
schlafen wolle nnd daß ihn deshalb Niemand mehr
stören möge. Meine Freunde gingen deshalb schon
nm zehn Uhr fort, damit cs still im Hause wurde.
Der Baron verließ erst am folgenden Mittage das
Bett wieder,"
„Dann muß es freilich ein Anderer gewesen sein,
ich glaube auch kaum, daß der Baron v. Selditz ein
 
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