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270

Das Buch für Alle.

nicht doch! Ich dachte nur, die Goldrahmen neh-
men sich draußen in dem gelben Salon so schlecht
aus, hier auf der rothen Tapete würden sie sich viel
besser machen. Ich dächte, wir hängen die Bilder hier
drinnen auf. Dann würde der Bassano — die heilige
Familie dort im Winkel — überflüssig. Herr Ortiga —"
„Ich bitte, nichts von Herrn Ortiga," unterbrach
ihn die Dame heftig, „Sie wissen, daß ich mit dem
keine Geschäfte machen kann. Er soll mir nicht mehr
über die Schwelle kommen, der Geizhals, und ich ver-
biete Ihnen, von ihm zu reden."
„Gewiß, gewiß! ich meinte auch nur, Herr Ortiga
hat gesagt, es fei ein sehr gutes Bild in des Meisters
erster Manier. Wenn die Frau Gräfin befehlen, will
ich mit dem Kommissionär im Hotel Europa reden.
Es gibt trotz der unruhigen Zeiten noch immer Fremde
in unserem Venedig, welche Bilder kaufen."
„In Gottes Namen denn, aber vergessen Sie nicht,
meiner Schutzpatronin, der heiligen Caterina von Siena,
eine Kerze anzuzünden, damit sie den Verkauf segnet.
— Und fetzt wollen wir unsere Rechnung machen.
Wir haben also noch unsere Rente —"
„Verzeihung!" fiel ihr der Diener in's Wort, „die
ist ausgegeben schon für das nächste Quartal. Aber
die gnädige Frau haben befohlen, Giudittens Schrank
zu veräußern und ich habe ein artiges Sümmchen da-
für e ngenommen. Das hilft uns über ein, zwei Mo-
nate hinweg, und wenn es uns mit dem Bassano glückt,
sind wir auf lange, wenigstens für dieses Jahrgeborgen."
Wir müssen die Kette mit den Goldmünzen ein-
lösen. Ghita soll sie tragen, wenn sie mit den andern
Damen unserer Aristokratie die milden Beiträge für
unsere Armen und für die Familien der Unglücklichen,
welche die Oesterreicher in Mailand getödtet haben,
einsammelt, wir selbst müssen auch eine Gabe zeichnen
und" — fügte sie ein wenig zögernd hinzu — „Ghita
muß ein neues schwarzes Seidenkleid haben, es schickt
sich nicht anders."
Jetzt mischte sich das junge Mädchen zum ersten
Mal in's Gespräch. „Ich danke, Tante," sagte sie,
„den Oesterreichern mag ich nicht gefallen und die
Venetianer haben jetzt ernstere Dinge zu thun, als mein
neues Kleid zu bewundern. Du leihst mir Deinen Spitzen-
schleier und das Armband, dann bin ich schön genug."
„Nun, wie Du willst, Kind," versetzte die Dame,
dem Diener die Hand, die dieser an die Lippen drückte,
hinreichend. „Jetzt, Luigi, sorgen Sie für das Diner.
Ww froh bin ich, daß ich mein Armband behalten darf."
Luigi ging aus dem Zimmer, das Mädchen schlüpfte
hinter ihm her. —
Was würde man in Deutschland zu der Unbe-
fangenheit sagen, mit welcher in Italien Herr und
Diener mit einander verkehren. Es herrscht zwischen
beiden ein rein menschliches Wohlwollen und niemals
schaut man, wenn auch dort der Stolz auf Rang und
vornehme Abstammung ebenso sehr in Geltung sind
wie anderswo, auf die Untergebenen von einer unnah-
baren Höhe hinab. Auch Ghita war daran gewöhnt,
len allen Diener wie einen Freund und Vertrauten
zu betrachten; sie lehnte den Arm auf die Schulter
des Greises und flüsterte: „Gott sei Dank, daß die
Stunde vorüber ist. Ich ertrag' es nicht länger. Wäre
ich ein Mann, ich würde arbeiten, mir mein Brod zu
verdienen, statt hier zu darben und zu lügen für eine
lata morgana, für die Ehre des Hauses Barberigo."
„Zu lügen! das ist ein schlimmes Wort für eine
Barberigo," versetzte Luigi.
„Was ist denn all dieser falsche Glanz anders, als
eine Lüge? Wir gehen in seidenen Kleidern und haben
ost nicht eine Lira in der Tasche, unser Mittagsbrod
zu bezahlen."
„Wir tragen, was wir nicht verschuldet haben, aber
wir müssen es mit Anstand tragen."
„Warum? Es hilft uns doch nichts. Heute er-
halten wir noch den Kopf über dem Wasser, vielleicht
morgen schon verschlingen uns die Wellen. Wäre ich
wie die Tante, wenigstens ginge ich aus diesem Stein-
haufen, der uns wie ein hartherziger Gläubiger stets
an unsere Vergangenheit mahnt, hinaus, fort, wo es
Grün und frsiche Luft gibt, die ihren kranken Augen
wohlthun würde. Den ganzen alten Plunder hier
würde ich verkaufen."
„Und mich mir?" fragte der Greis wehmüll) ig.
„Wie können Sie so reden, Luigi? Sie gehen mit
uns, wer würde sür uns sorgen und sparen, wenn
Sie nicht wären, altes treues Herz."
Sie war ein rosig frisches junges Mädchen, die
kleine Ghita, nicht einmal sehr hübsch — denn ihre
Züge waren nicht regelmäßig — aber sie hatte das
prächtige schwarze Haar und die tiefen dunkeln Augen
ihrer Tante Giuditta. Und dann, sie zählte siebenzehn
Jahre und besaß jene Anmuth der Bewegungen, welche
nicht immer der Jugend eigen, die schönste Zierde der-
selben ausmacht. Selbst die mehr als unscheinbare
Toilette beeinträchtigte den Reiz der graziösen Er-
scheinung keineswegs.

Die Wolkenschatten, welche über die Züge der
Siebenzehnjährigen hingezogen waren und ihnen einen
fremdartigen, halb zornigen, halb drohenden Ausdruck
gegeben hatten, verloren sich eben so schnell als sie
gekommen waren. Die Elastizität der Jugend forderte
ihr Recht, es wurde wieder lichter Sonnenschein.
„Hören Sie, Luigi," begann sie wieder, während
sich die ein wenig zu kurze Oberlippe, die Perlenreihe
der Zähne zeigend, zu einem Lächeln verwog, „glauben
Sie nicht auch, daß ich eine wunderschöne Stimme
habe. Wäre sie nur ein wenig stärker, so würde jch
zum Theater gehen! Als Norma würde ich hinreißend
sein." Sie streckte die z-erliche Figur in die Höhe
und bemühte sich, dem lachenden Gesichtchen einen hoch-
tragischen Ausdruck zu geben. Dann intonirte sie, die
Hand auf die Schulter des Greises legend, mit Pathos:
„idlolla mm ma.no alün tu 8ki! Nicht wahr," fuhr
sie fort, „Sie würden mir nicht widerstehen können,
wenn Sie der treulose Römer wären, alter Freund,
und das Publikum würde es auch nicht; so viel Kränze
und Gedichte, als Tante Giuditta bekommen hat, wären
auch mir gewiß."
Der Alte machte einen schwachen Versuch zu lächeln.
„Die Madonna erhalte Ihnen Ihren guten Humor,"
sagte er, „mau hat ihn nöthig in diesem Hause. Gott
weiß, ob auch für uns noch einmal die Sonne scheint.
Vielleicht wenn Bettino die große Erbschaft in Deutsch-
land macht —"
„Reden Sie mir nicht von dem, Sie wissen ja,
was ich von ihm halte," unterbrach ihn Ghita unge-
duldig.
Dem Diener schien jedoch daran gelegen zu sein,
das Gesprächsthema nicht fallen zu lassen. „Bettino
ist ebenso vernünftig wie andere Leute," sagte er eifrig,
„nur ist er schlecht erzogen und weiß sich nicht zu be-
herrschen. Herr Ortiga hat ein Interesse daran, ihn
sür verrückt auszugeben, weil er ihn braucht und nicht
sreilassen will. Sie sollten freundlicher mit ihm sein,
Fräulein, Sie und die gnädige Gräfin. Es ist ja
Ihr naher Verwandter."
„Möglich, daß ich ihm Unrecht thue, aber cr ist
mir unheimlich und nicht für alle Schätze Indiens
möchte ich —" das Mädchen vollendete den Satz nicht,
sondern fügte spöttisch hinzu: „Jch bin viel zu jung,
die Erzieherin eines verwahrlosten Taugenichts zu
werden. Merken Sie sich das, Luigi."
„Ghita, Ghita," ries jetzt die Stimme der Tante
aus dem Nebenzimmer heraus.
„Haben Sie noch etwas zu befehlen, Fräulein?"
fragte der Diener mit einer Verbeugung, welche dem
Oberhofmeister eines fürstlichen Hauses Ehre gemacht
hätte.
„Ja wohl, alter Freund, zuerst, daß Sie mir
nicht böse sind, wenn ich zuweilen ungeduldig werde,
und daun habe ich noch eine Bitte: Sehen 'Sie hier
diese Schärpen, ich habe sie die letzte Woche gestickt,
so gut ich's ini Kloster erlernte. Sie sind für die
nächste Regatta bestellt. Tragen Sie die Arbeit zu
Marziali in der Merceria, aber sagen Sie ihm, er
solle mir nicht die Schande anthun, sie an die Gondo-
liere dec Oesterreicher zu verkaufen. Und jetzt noch
eins: Zünden Sie auch meiner Schutzpatronin, der
heiligen Margherita, eine Kerze an, damit sie mir die
Melancholie und die Grillen verscheuche, welche wie
Spinneuweben in allen Ecken und Winkeln dieses altcn
Hauses hängen. Behüte Sie Gott, alter Luigi!"
Der Greis entfernte sich, Ghita schlüpfte in das
Zimmer der Tante zurück. ..
An die Fersen der Gräfin Barberigo hatte sich
von Jugend auf ein doppelter Fluch geheftet, der der
Armuth und der eines großen historischen Namens.
Sie halte es nicht über sich gewinnen können, denVor-
urtheilen der Welt Trotz zu bieten und sich in eine
Sphäre zurückzuziehen, welche den Mittem, über die
sie gcbot, entsprach. Nach einer kurzen Episode des
Glanzes, als Giudittens Freundin und Gesellschafterin,
hatte sie das schwerste Leid ihres Lebens betroffen:
der tragische Untergang ihrer beiden blühenden Söhne.
Dann begannen die hoffnungs- und sonnenlosen Tage
iu dem alten Palast, aus welchem Herr Ortiga, der
neue Besitzer, sie laugst ausgewiesen haben würde, Hütte
nicht Graf Barberigo, dec früh verstorbene Gemahl
der alten Frau, ihr dort ein Asyl und einen Wittwen-
sitz auf Lebenszeit ansbedungen. Dort lebte sie nun
schon seit langen Jahren in stetem Kampf mit den
kleinen Widerwärtigkeiten des Daseins, welche im Ein-
zelnen nicht bedeutend, durch ihre stete Wiederkehr zn-
letzt jede Energie und jede moralische Kraft bis iu
das Mark hinein verzehren, mit Mangel und Schulden,
in dem doch vergeblichen Bemühen, die Welt über ihre
Lage zu täuschen und mit Opfern aller Art die Prä-
tensionen eines falschen Glanzes aufrecht zu erhalten.
Dazu hatte sie eine Krankheit eigenthünllicher Art, die
sogenannte Nachtblindheit, heimgesncht, welche bewirkte,
daß bei Lampenlicht und sobald die Dämmerung herein
brach, ihre Sehkraft erlosch.

Htst 12.

Nur in einer Beziehung hing man am eampo ckol
earmino noch mit der Welt zusammen. Die letzten
Wellcnkreise der politischen Bewegung, welche damals
ganz Italien in fieberhafter Spannung hielt, schlugen
bis in den einsamen Wittwensitz der alten Dame hinan.
Da dieselbe bisher den Späheraugen der österreichischen
Polizei entgangen war, liefen manche Fäden ter großen
Conspiration, welche damals ganz Lombardo-Venetien
umspannte, in den Gemächern der Gräfin zusammen,
manch politisches Geyeimniß wurde dort sicher ge-
borgen, manche Zusammenkunft des Comitss, welches
die Agitationen in der Lagunenstadt leitete, wurde dort
abgehalten. Herr M'gliara machte dabei den Ver-
mittler mit der Außenwelt. —
„Was hast Du denn für Geheimnisse mitLuigi?"
fragte die alte Frau im Lehnsessel verdrießlich, als Ghita
jetzt zu ihr zurückgekehrt war. „Laß mich doch nicht
immer allein, komm setze Dich her zu mir und unter-
halte mich ein wenig. Erzähle mir, was hat Herr
Rafaelle Dir heute Vormittag gesagt, als er hier war?"
„Süßigkeiten," lachte das Mädchen, „so viel, daß
ich einen ganzen Monat daran genug habe. Du weißt
ja, Tante, wie fad er ist. Er bedauerte sehr, Dich
nicht sprechen zu können und wird morgen wieder-
kommen. Es ist Wichtiges im Werke," fuhr sie fort,
die Stimme dämpfend, obschon hier kein Horcher sie
belauschen konnte. „Manin's und Tommaseo's Prokla-
mation an Las Venetwnische Volk wird jetzt gedruckt
und die Exemplare sollen bei uns deponirt werden,
bis die Zeit der Vertheilung gekommen sein w.rd.
Hier sucht sie die österreichische Polizei bestimmt nicht."
„Wer weiß Kind, wer weiß! Sie ist schlau und es
fehlt nicht an Verräthern. Aber das hindert eine
Barberigo nicht, ihre Pflicht zu thun. Wo werden
wir die Papiere verbergen?"
„In Deinem Schlaszimmer, Tante, unsere Feinde
werden nicht so ungalant sein, da hinein zu drincpn."
„Du kennst sie nicht, Kind, sie scheuen vor keiner
Gewaltthat zurück — vor keiner!"
Die alte Frau strich sich die weiße i Locken von
der Stirn und versank, mit der marmorblassen, fleisch-
losen Hand Las Haupt stützend, in tiefes Stillschweigen.
Ghita hatte sich mit der Stickerei ihr gegenüber gesetzt
und schaute, emsig arbeitend, ab und zu voll Sorge
und Mitleid zur Tante hinüber.
Endlich begann diese wieder: „Weißt Du, es sind
heute gerade dreißig Jahre, daß Giuditta zum ersten
Male in der Fenice tanzte, die arme Giuditta, sie hat den
Leichtsinn unö die Hoffart ihrer Jugend allzu schwer
bei den Clarissinnen gebüßt. Jch saß in der nämlichen
Loge mitTreoisan — Pfui," unterbrach sie sich, „wie
kommt der Name des Verräthers über meine Lippen.
Er hat seine Ehre und unser theures Vaterland an
die Oesterreicher verkauft, der Judas! Aber die Ma-
donna war gerecht, ihm ist geworden, was er verdient
hat, er ist verdorben und gestorben in der Fremde."
Wieder herrschte tiefes Schweigen, wieder schaute
das junge Mädchen beängstigt zur Tante hinüber. Sie
versuchte auf's ^eue, ein Gespräch m den Gang zu
bringen. „Hab' ich Dir schon erzählt," sing sie an, „daß
ich in Giudittens Schrank einen Schatz gemnden habe?"
„Einen Schatz? vielleicht ein Geschmeide? paßt es
für mich?" fragte die alte Dame neugierig.
„Es waren," berichtete das junge Mädchen, „aller-
hand Papiere, Gedichte, in denen sich — ich weiß nichr wie
viele Male — 8tella, und bella, ckiviiw und balleriua
reimen, und Recensionen, welche das Auftreten der
Tante in der Fenice für ein welthistorisches Ereigniß
erklärten."
„Spotte nicht, Kind, so eine Tänzerin wie Giuditta
hat Italien nicht wieder gesehen."
„Zwischen den Blättern lag ein Medaillon, eine
Kapsel von Gold und Email, die einen artigen schmuck
für Dich abgeben wird, wenn man das Porträt heraus-
nimmt."
„Ein Porträt? wen stellt es vor?"
„Einen Herun, der so vornehm aussieht, wie ein
Nobile."
„Laß mich's sehen, aber beeile Dich, die Dämmer-
stunde naht nnd meine Augen werden sich bald ver-
dunkeln."
„Jch glaube," sagte das junge Mädchen, während
sie nach dem Kleinod suchte, „cs ist einer von Giu-
dittens Anbetern, sie soll ja deren so manchen gehabt
haben. Auf der Rückseite des Bildes lag ein Stück
Seidenpapier mit einem hübschen Rande von Blumen-
gewinden und Amoretten und darauf stand: ^.mieirlla
6 rimombraima, Venosia 16 Narxo 1822, und dar-
unter Massimiliano."
„Massimiliano !" wiederholte die Gräfin, vor Aufre-
gung zitternd, „laß mich's sehen, Kind, laß mich's sehen!"
Als sie einen Blick ans das Porträt geworfen hatte,
war es, als berühre sie ein glühendes Eisen. „Der
Mörder, der Verfluchte!" lreiichte sie, indem sie das
Medaillon weit von sich schlenderte, „schütze mich, hei-
lige Jungsrau, vor dem Anblick!"
 
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