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Das Buch für Alle.

29;

Hcsi 13

äußerst verlegen, „eine — eine Freundin hat mich ,
gebeten!, Sie um Ihren gütigen Ruth Zn ersuchen.
Es handelt sich um eene wichtige Familien- oder
vielmehr Erbschaftsangelegenheit. Jemand —- weine
Freundin befindet sich im Besch von Dokumenten, an
welche ein Anderer besseres Anrecht hat, sie will
dieselben auch dem rechtmäßigen Eigenthüwer zurück-
geben, alnr nicht sofort, sondern erst nach einiger
Zeit. Ist man nun berechtigt, entgegen dem Willen
meiner Freundin, die Papiere sogleich ausznliestrn
und kann Denjenigen, welcher dies thut, ein Vorwurf
treffen?"
Sie kommt doch im Auftrage ihres Vaters, dachte
der Advokat, der Alle ist durch irgend eine Schelmerei
in den Besitz fremder Do nmente gelangt, jetzt kou-
venirt es ihm, sie zurückzugeben und er fürchtet nur
die Frage: Wie bist du zu den Papieren gekommen?
Aber wozu bedarf er meines Nathes? Das wäre eher
eine Sache für seinen Beichtiger. Er sagte: „Ohne
Zweifel ist man verpflichtet, fremdes Eigenthum, das
man ohne Rechtstitel lnsitzt, dem Berechtigten sofort
anszuhändigen, und was die.Folgen anlangt, so könnte
inan sich ja bei der Rückgabe durch die Klunsel sichern,
daß das Vergangene vergessen fein solle."
„Ich danke," versetzte Barbara und erhob sich.
Aber sie hatte noch etwas auf deni Herzen. Endlich
sagte sie: „Sie kennen die Familie Leisietlen, Graf
Massimiliano hat niir erzählt, Sie seien ein Freund
seines Vaters gewesen. Er sprach mir auch von einem
Oberst Ordener, der früher hier in Venedig gelebt
habe. In welcher Beziehung steht der Graf zum
Oberst Ordener?"
„Der Vater des Grasen Massimiliano, Oberst
Ordener, mußte den Namen Leustetten annehmen, als
er das Majorat in Deutschland erbte."
„Ich danke."
Die Tochter des Antiquars rauschte davon.
Ghita hörte draußen zerstreut und mit halbem
Ohr auf das Geschwätz Piergiovan's. Was wollte
die schöne Barbara bei dem Advokaten? war cs viel-
leicht schon eine Verabredung wegen der Mitgift?
Da die Thüre des Pnvatzimmers ein wenig offen
geblieben war, drangen einzelne Worte des Gesprächs
drinnen bis zu ihr. Sie hörte deu Namen Leisteten
— Luigi hatte ihr gesagt, daß der interessante Fremde
so heiße — und gleich darauf den des Oberst Ordener.
Was hatte Graf Leistetten mit dem Todfeind ihrer
Tante, mit dem Mörder ihrer Vettern zu schaffen und
was wußte Barbara vou diese!»? —
Endlich kam die Reihe der Audienz an Ghita.
Die Angelegenheit, welche sie hergcführt hatte, war
sofort erledigt. Herr de Malis bedauerte, daß die
fällige Rate der Pension, welche er der alten Gräfin
ausznzahlen hatte, auch diesmal wieder von deren
Gläubigern mit Beschlag belegt worden sei. Dennoch
konnte das junge Mädchen sich nicht entschließen, zu
gehen, erst mußte sie Gewißheit haben. Sie begann
nach Fraueuart natürlicherweise von einem ganz an-
deren Gegenstände und gelangte erst nach Umschweifen
zu der nämlichen Frage, welche die Tochter des An-
tiquars gethan hatte: „In welcher Beziehung steht
Massimiliano Ordener zu dem jungen Grasen Lei-
stetten ?"
Sie erhielt auch die nämliche Antwort, welche der
Advokat der schönen Barbara gegeben hatte.
Das muß ein sehr inllressancer junger Mann sein,
dachte Herr de Malis, nach dem sich innerhalb zehn
Minuten zwei hübsche junge Damen erkundigen. Ich
bin begierig, seine Bekanntschaft zu machen.
Die Tochter des Antiquars hatten Gewissensskrupel
und Neugier zu dem Advokaten geführt. Ihr Vater
pflegte seine werlhvollen Papiere in einer Truhe aus-
znbewahren, welche, fest an die Wand geschraubt, in
der Tochter Schlafgemach stand. Es war der sicherste
und wohlverwahrteste Raum des Hauses, zu dem kein
Fremder, selbst nicht Bettino und Nafaelle, Zutritt
hatten. Auch die Originale der Dokumente, wllche
Bettino's Ansprüche auf Leistetten bezeugten, waren
dort deponirl. Der ölte Künstler hatte zwar Herrn
Migliara versichert, die elben befänden sich in seinem
Atelier, aber er pflegte es mit der Wahrheit nicht
sehr genau zu nehmen. Barbara hatte sich bisher
um den Inhalt der Truhe wenig gekümmert, als je-
doch dem bürgerlichen Hause Ortiga der Glan; einer
Grafenkrone winkte, ließ der Antiquar es nicht an
mancherlei Anspie ringen fehlen. Schweigen war ohne-
hin nicht seine Sache nnd am wenigsten der geliebten
Tochter gegenüber.
„Sieh, diese unscheinbaren Papiere," sagte er ein-
mal, während er wieder in der Truhe herümslöberle,
„sie sind für Leistetwn so viel werlh wie eine Graf-
schaft."
„Weshalb denn?" fragte die Tochter.
„Weil für ihn Ehre und Vermögen an deren Besitz
hängt. Du wirst sie ihm an eurem Hochzeitstage >
übergeben."

„Hat denn der Gras ein Recht daran?"
„Er hat cs, oder er hat cs auch nicht, wie man's
nehmen will. Aber das geht Dich nichts an, Närrin!"
Barbara's scharfes Äuge hatte, während der Alte
die Papiere in der Hand hielt, sich mit deren Inhalt
bekannt gemacht. Asto der Oberst Ordener war Bet-
tino's Vater und doch sollte diestr Massimil ano's
Bruder sein! —
Bettino selbst erzählte das ja Jed.rmann. Sie j
verwickelte sich in ein Labyrinth von Widersprüchen.
Max hatte sich der schönen Barbara ans dein
Markn-platze vorsiellen lassen. Diese fühlte, daß sie
dem jungen Mann nicht gleichgiltig sei und mar über-
glücklich. Sie sah sich schon als Gräfin Leistetten.
Erst in den letzten Tagen war es ihr vorgckommen,
als werde der Bewerber kälter und iuim r käller,
als vermeide er sie geflissentlich, und da wir den Grund
ter Widerwärtigkeiten, die uns begegnen, meist nicht
in uns selbst, sondern bei Anderen suchen, siel ihr
ein: Am Ende weiß er von den Rapieren nnd zürnt,
daß wir sie ihm vorenthalten, vielleicht hält er es
für unzart, stine Hand gleichsam als Kaufpreis für
jene Dokumente auzubicten. Ui.d sic, die vielumwor-
bene, gefeierte Schönheit sollte nur so nebenher in
Betracht kommen? Dagegen sträubte sich ihr weib-
liches Gefühl nnd vor Allem ihre Eitelkeit. Nein,
sie wollte den Besitz des interessanten Fremden sich
selbst verdanken, sich ganz allein, nicht diesen räthsel-
haften Dokumenten. — Wenn sie dieselben dem Gra-
sen anslieferle? Das wäre doch ein Beweis ihrer
Uneigennützigkeit, ihrer Liebe. — Aber der Vater! —
Sie wußte genug von dessen Geschäftsbetrieb, nm sich
diese Frage aufzuwerfen. Wie ist er denn in den
Besitz dieser Papiere gekommen? Der Zorn des Va-
ters würde furchtbar sein, jedoch sie hatte diesen schon
oft ertragen nnd noch immer besänftigt.
Dennoch schwankte sie, vor Allem, weil eine innere
Stimme ihr znrief: Es ist Unrecht, anvertrautes Gut
eigenmächtiger Weise sortzugeben. In diesem Di-
lemma hatte sie beschlossen, sich an Herrn de Malis,
den sie als einen Ehrenmann kannte, zu wenden. Wir
haben gesehen, daß dec Advokat, ohne es zu wollen,
sie in rem Vorhaben, die Dokumente dem Grafen
-auszuliefern, bestärkte.
Sobald Max zu dem Entschluß gekommen war,
seinen Feinden nicht das Feld zu räumen, sondern
ihnen muthig die Stirn zu bieten, hatte er Urlaub
genommen. Er wollte selbst nach Venedig reisen, die
Jutrignanten in ihrem eigenen Lager anzugreifcn.
Dort lebten ohne Zweifel noch alte Freunde se nes
Vaters, von Einem war er dessen gewiß, deni Advo-
katen de Malis, mit welchem er selbst schon Briefe
gewechselt halte; dort konnte es ihm nicht schwer wer-
den — war er überzeugt — das Material zu sam-
meln, um das Lügengewebe von der angeblichen Her-
rath seines Vaters zu zerreißen. Der Abschied von
der Heimath wurde ihm nicht schwer. Ignaz hatte
er nicht Wiedersehen mögen. Das Weib, das es noch-
mals versucht hatte, sich an ihn hcranzudrängen, hatte
er abgewiesen. Von seinen Freunden waren manche
so neugierig oder so indiskret gewesen, ihn mit Fragen
über die Sensationsgeschichte, aus welcher bereits ein
vollständiger Roman geworden, zu quälen, Andere —
und das ging ihm am meisten zu Herzen — hatten
sich höflich kichl von ihn: zurückgezogen, auch die Tante,
die er aufgesucht, um mit seinen nächsten Verwandten
offen über die traurige Angelegenheit zu reden, sie
und Helene waren für ihn unnahbar geworden und
ost, wenn ihm das Herz allzu schwer wurde, mußte
er zu dem Bilde des Vaters hinaufschauen, nm aus
den treuen blauen Augen Muth zu schöpfen, allen
den Widerwärtigkeiten Trotz zu bieten.
Jndeß die Jugend besitzt einen unerschöpflichen
Schatz vou Elastizität — körperlich wie geisiig —
und als Max sich erst jenseit der Alpen befand, siel
es ihm wie Bergeslast von der Brust. Seine Sache
war ja eine gerechte und er hatte einen felsenfesten
Glanlun an seine eigene Kraft.
In Venedig galt sein erster Besuch Herrn de Ma-
. lis, ohne dessen Beirath er keinen Schritt thun wollte.
Er traf jedoch den Advokaten, der sich auf seinem
Landlause an der Brenta' befand, nicht. Wie ein
lindernder Balsam wirkte ans deu jungen Mann der
zauberische Reiz, welchen die Lagunenstadt auf Jeden
ausübt, der sie zum ersten Male sieht. Nicht umsonst
führt Venedig den Namen „der Schönen", jede har-
monische Schönheit aber wirkt beruhigend auf ein
verwundetes Gemüth und rielleicht noch mehr, wenn
sich dazu die Erkenntnis; gesellt, daß diese Schönheit
ihren Höhepunkt überschritten habe und sich dem un-
ausbleiblichen Loos alles Irdischen, dem Untergänge,
zuneigt. Vanitas vanitatnm predigen diese zerfallen-
den Paläste. Kannst du erwarten, daß der Sturm,
welcher Reiche und Völker hinwegfegt, dein eigenes
kleines Glück verschonen w'rde?

Max hatte sich au einem dcr kleinen Kanäle,
welche an der Riva ausmünden, eine Wohnung ge-
miethet. Das Haus war ebenso wie die Bewohner,
die jetzt den Fremdenverkehr zur Schaffung eines spär-
lichen Einkommens ausnützvn, heruntergekommen,
aber es gefiel deni Grasen/ Der einsame Kanal, in
dessen grüner Fluth sich nur Vcrlasseuheck nnd Zerfall
spiegelten, die fcheibenloscn, von elenden Holzläden
! geschlossenen Fenster, die jetzt als Trockenplätze für
die Wäsche der armseligen Einwohner dienten, waren
im Einklang mit der eigenen Stimmung, wenn die
bißen Geiper seiner Herr geworden waren. Aber
dcr Kummer eines Dreiundzwanzigjährigen gleicht deni
Märzenschnee, welchen die erste Sonne hinwegthaut.
Fiel sein Blick am Ende des Kanals auf ein Stück
der blauen Lagune, leuchtend von blendendem Glanze,
und dah wer auf die klassischen Konturen von Palla-
dw's Meisterwerk, den Prachtbau von San Giorgio
Maggiore, so vermochte der junge Mann aufzuathmeu
und zu denken: Nur uicht verzagt, es ist schon Man-
cher durch Nacht zum Licht gewannen, vielleicht wnd
Alles gut.
Eine Anwandlung vou Neugier hatte Max ver-
anlaßt, sich deu Palazzo Barberigo, aus welchem die
dunkeln oder heiteren Loose seiner Zukunft heroorgehen
sollten, wenigstens vou außen anzuschauen. Das
wunderbar schöne Frauenbild, in der ungewöhnlichen
Tracht mit den rothblonden Haaren, die wie lauteres
Gold schimmerten, hatte ihn bewogen, feine Schritte
noch ost dahin zu lenken. War sie doch stneu wunder-
baren Porträts ähnlich, deren Urbilder Tizian's und
Paul Vercnefe's Pinsel der Vergessenheit entrissen.
War sie eine Barberigo? Der letzte Sproß der Fa-
milie sollte ja noch in dem Palast wohnen — ooer
eine Verwandte seines Gegners, des Antiquars? Von
dem GondoUcr, der in der Nähe am Kanal hernm-
luugerte, erhielt er die lachende Antwort: „Es ist die
heilige Barbara, Herr, geht nach Maria Formosa,
dort könnt Ihr vor ihr auf den Knieeu liegen."
Max ließ sich der schönen Barbara auf der Piazza
vorslelleu, und es wartete seiner wiederum eine Ent-
täuschung. War es d nu möglich? Diese herrlichen
sprechenden braunen Augen hatten gelogen. Die klei-
nen Grübchen im Kinn, die sich beim Lächeln so
wunderschön vertieften, schienen eingefroren zu sein,
dem Zaun dieser Peilenzähne entflohen nur die Phrasen
eines Komplimentirbuches. War es denn möglich? —
Nachdem Herr de Malis zurückgekehrt war, an
dem nämlichen Lage, au welchem Barbara und Ghita
dessen Bureau ausgesucht hatten, stellte sich auch Geaf
Max demselben vor.
„Es freut mich sehr," sagte der Advokat, dem
jungen Manne die Hand schüttelnd, „daß ich jetzt nn
Stande bin, Ihrem Vater noch im Grabe^einen klei-
nen Zoll der Dankbarkeit abzutragen. Seine Für-
sprache bewahrte mich einst vor der näheren Bekannt-
schaft mit einer österreichischen Festung, in die ein
unbedachtes Wort, welches das Ohr eines Pollzei-
spions ausgefangen hatte, mich beinahe gebracht Hütte."
„Es scheint mir," fuhr Herr de Malis fort, nach-
dem Max ihm sein Anliegen vorgetragen, „daß Herr
Ortiga es auf einen Prozeß nicht ankommen lassen
will. Er hat, glaube ich, die Absicht, das Damokles-
schwert der Dokumente üb.r Ihrem Haupte schweben
zu lassen, bis Sie sich zu Vergleichsvorschlägen ver-
stehen."
„Das wird niemals geschehen," gab Max zur Ant-
wort. „Wenn Bettino's Ansprüche erwiesen werden,
trete ich ab, was mir nicht gebührt, und verzichte aus
Alles, was ich als Erbe meines Vaters besitze."
„Das habe ich von Ihnen erwartet. Aber bis
dahin ist noch ein weiter Weg. Vor der Hand kommt
es darauf an, deu Werth jener Ansprüche klar zu
stellen. Wir wollen d e Dokumente, welche Herr Or-
tigr uns jedenfalls im Original vorlegen wird, sorg-
fältig prüfen. Der alte Künstler har eine sehr ge-
schickte Hand und versteht es, unsere venetiamscheu
Meister trefflich nachzuahmen. Doch ich will dem
Charakter desselben vorläufig nicht zu nahe treten.
Der Pfarre^ von San Pietro di Castello, der die
Trauung vollzogen haben soll, ist lodt, aber nach dem
Kirchendiener lvüre zu forschen und der Leibjäger
Ihres Vaters, Ignaz, wird zu veranlassen sein, seine
Aussage eidlich zu bekräftigen."
„Und Graf Trevisan?"
„Der ist todt."
„Hat oenn mein Vater hier keine Freunde gehabt,
die von der traurigen Geschichte wissen könnten?"
„Ich glaube es kaum, doch will ich auch darnach
forschen. Die ehemaligen Regimentskameraden sind
in alle vier Winde zerstreut nnd von den Italienern
wird, wie die Dinge jetzt liegen, kaum Einer geneigt
sein, sich daran zn erinnern, daß er ein Freund des
Oberst Ordener gewesen ei."
„Und Giuditta? Leben uicht noch Personen, eie
ihr damals na'e gesianRn?"
 
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