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Ljrst 18


Das Buch für Alls.

„Nicht mehr aufgefordert wird?" sagte Everhard;
„weshalb?"
„Weil sie zu alt uud zu häßlich ist."
„Aber ich selber tanze sehr gern mit ihr, liebes
Fräulein," sagte der junge Manu, „sie ist vielleicht
die beste Tänzerin, die wir in ganz Batavia haben."
„In der That, Mynheer?" versetzte Willemina
uud preßte ihre Lippen viel fester zusammen, als cs
vöilsig gewesen wäre. „Sie sind heute Abend ganz
außerordentlich — artig . .
„Aber meine Worw tonnten Sie doch nicht kränken,
Fräulein," sagte Everhard treuherzig, „Sie wissen
doch, daß ich mit Ihnen ebenso gern tanze."
„Ich bin Ihnen unendlich dankbar, Mynheer,"
sagte Willemina sehr spitz, denn Everhard hatte, wie
das nur zu häufig geschieht, wenn wir etwas aus-
gleichen wollen, die Sache nur noch schlimmer gemacht.
Die junge Dame wandte sich auch ab, um das Ar-
rangement des Tanzes selber in die Hand zu nehmen,
als ein paar andere junge Mädchen auf Everhard
einspraugen uud riefen:
„Ach, Mynheer, Sie sollen heute so schöne Bilder
bei sich haben; dürfen wir sie nicht einmal sehen? —
Bitte, bitte, wir sind so neugierig!"
„Meine verehrtem jungen Damen," lächelte Ever-
hard, „wenn ich Ihnen damit eine Freude machen
kann, so soll das mit großem Vergnügen geschehen.
Ater ich dachte, wir wollen tanzen?"
„Freilich, aber zuerst wollen wir die Bilder sehen,
das dauert ja nicht lange!" Wenn sich junge Damen
einmal etwas Derartiges in den Kopf gesetzt haben, so
ist es außerordentlich schwer, wenn nicht ganz un-
möglich, sie wieder davon abzubringen.
Everhard, gutmüthig und gefällig wie er war, holte
die Mappe herbei, legte sie auf den Tisch, öffnete sie
und schob dann die einzelnen Bilder heraus, damit sie
Hcrumgeheu könnten. Willemina aber, darüber unge-
duldig, öffnete den Flügel und begann eine Polka zu
spielen, weil sie wußte, wie das elektrisch auf die kleinen
Füße wirken mußte. Vor der Hand war aber doch
die Neugierde bei dem jungen Volk noch zu stark und
die kleine Ausstellung auch wirklich zu interessant, um
sich so rasch wieder davon loszureißen.
„Aber nun sagen Sie uns, Mynheer," rief Eine
der jungen Schönen, nachdem sie schon einen Theil
der Mappe durchgeblüttert, „welches von diesen Bildern
stellt denn das Hans der „Maid" hier vor, die es
vorhin, wie uns Mefrouw erzählte, erkannt hat?"
„Ach ja, welches ist das Bild?" rief da der Chor,
„das gerade möchte ich sehen."
Willemina, die mit ihrer Polka zu Ende kam und
sah, daß sie doch ehren Zweck nicht erreichte, war eben-
falls aufgestanden und zum Tisch getreten.
Everhard, der bis jetzt gar nicht an das fehlende
Bild gedacht uud uoch viel weniger geglaubt hatte,
daß er direkt danach gefragt werden würde, kam
doch für einen Moment in Verlegenheit. — Aber
war er überhaupt Jemanden Rechenschaft schul
dig? Neiu. — War er doch sich selber keines
Unrechts bewußt. Nur gegeu eiu Vorurtheil, vielleicht
gegen den Stolz der weißen Nasse mochte er ver-
stoßen haben, uud was lag ihm daran, da er diesen
ohnehin nicht theilte.
Er erröthete wohl ein wenig, sagte aber dann ganz
ruhig:
„Ja, meine verehrten Damen, es thut mir leid,
diesen Wunsch kann ich Ihnen nicht mehr erfüllen, ich
habe das Bild nicht mehr in der Mappe."
„Nicht mehr in der Mappe?" sagte Mefrouw
verwundert. „Es war doch vorhin uoch darin."
„Vorhin, ;a, Mefrouw," erwiederte Everhard lä-
chelnd, „aber ich habe es seit der Zeit verschenkt."
„Verschenkt? — au wen?" rief Willemina, ihn rasch
uud erstaunt ansehend.
„Au die einzige Person, die ein Interesse daran
nehmen konnte, an die arme Maid."
„An Alima?" rief Willemina fast erschreckt aus
uud iyre Brauen zogen sich dabei finster zusammen,
„ich will doch nicht hoffen ..."
„Uud weshalb nicht, mein liebes Fräulein?" sagte
der junge Manu unbefangen; „das arme Kind war
glücklich darüber."
„Aber was verstehen diese Menschen twn einem
Bild!" sprach Mefrouw kopfschüttelnd, „ganz abge-
sehen von dein Geschenk selber. — Sie klebt es höchsten-
falls mit Harz an die Bambuswaud, uud in drei
Tagen haben cs die Ameisen zerfressen und zerstört."
„Ich glaube bestimmt, sie wird es sorgfältiger
pflegen," erwiederteEverhard; „aber hier meine Damm,"
setzte er hinzu, da ihm das Gespräch unangenehm
wurde, „habe ich uoch einige andere Skizzen aus der
nämlichen Gegend. Hier auch eins mit dm Trachten
von Solo — hier von Bali —"
„Uud was ist das hier?"
„Der Kampf cincs Tigers mit einem Büffel, dem
ich in Bali beiwohnte."

Willemina hatte sich abgewendet und war wieder
zum Klavier getreten. Die rauschenden Töne eines
Galops begannen gleich darauf, und jetzt hielten es
auch die jungen Damen nicht mehr aus. Eine nach
der Anderen zog sich von dem Tisch, auf dem die
Bilder ansgebreitet lagen, zurück. Juffrouw Bodemer
hatte sich in ihrer Gutmillhigkeit wirtlich bewegen lassen,
das Klavierspiel zu übernehmen, und wenige Minuten
später schon begann dec ^auz.
Everhard mußte jetzt vor allen Dingen seine über
den Tisch zerstreuten Skizzen und Studien wieder ein-
packen, damit nicht unberufene Finger darüber gerietheu ;
als er das aber.beendet hatte uud sich selber dem
Tanz zuwaudte, sah er Willemina schon in voller Thätig-
keit und schien eigentlich nicht ganz unzufrieden darüber,
daß er dadurch noch eine Weile entschuldigt blieb, sie
auszufordern. Es war ihm, er wußte eigentlich selber
nicht weshalb, in diesem Augenblicke gar nicht wie
tanzen zu Sinne, uud er trat aus die Veranda hinaus,
um sich die brennend heiße Stirne zu kühlen.
Hinter ihm wogte der fröhliche Lärm glücklicher
Menschen, tönte die Musik und strahlte der fast blen-
dende Lichterglauz; vor ihm, wie er au einem der
Pfeiler lehnte und hinaus in die Nacht schaute, lag
das wunderbar schöne Land mit siinen rauschenden
Palmenwipfeln, secuem thauigcu Blütheuduft und dem
eigenen Zauber, der auf dieser Tropcuwelt ruht.
Und ivie das lebte und webte um ihn her, Tausende
von Fledermäusen strichen an dem helleren Himmel
vorüber, dazwischen glitten die dunklen Schatten des
„fliegenden Hundes" und selbst am Boden regte es
sich und wurde lebendig. Ein paar Kröten, entweder
auf ihrem allabendlichen Spaziergang, oder von dem
Lichterglanz augclockt, hüpften schwerfällig die steinernen
Stufen, die in den Vorgarten führten, herauf, bis auf
die Veranda, betrachteten sich erst den Hellen Eingang
und setzten dann ihren Weg fort, als ob sie mit ein-
geladen wären; große Käfer summten umher und zahl-
lose geflügelte Ameisen schwirrten durch die Lust, dem
Licht entgegen.
Everhard achtete nicht darauf; er starrte hinaus
in das Dämmerlicht des Abends, denn der am Himmel
stehcude Blond war von ziehenden Wolkeustreifen ver-
deck: uud wirre Gedanken, deren er sich selber nicht einmal
klar bewußt sein mochte, kreuzten sein Hirn uud lenkten
seine Augen von der Gegenwart vollständig ab. —
Wer weiß, wie lauge er so träumend gestanden haben
würde, wenn nicht plötzlich im Saale die Musik ver-
stummt wäre; eine Pause entstand, und die Ruhe brachte
ihn wieder zu sich selber. Er fühlte, daß er sich der
Gesellschaft nicht länger entziehen durfte.
Er wandte sich und trat nach dem Saale zurück,
aber schon wieder begann eiu neuer Tanz, denn lauge
hatte das unruhige uud genußsüchtige junge Volk nicht
warum mögen. Auch Willemina war wieder engagirt,
uud zwar zu einer lebendigen Mazurka, ihrem Lieb-
liugstanz, den sie eigentlich dem Malcr zugesichert hatte.
Aber er fühlte sich durch ihr Uutreumerden sonder-
barer Weise gar nicht gekränkt, uud selbst in keiner
Stimmung, sich der lauten Fröhlichkeit hinzugeben, blieb
er unter dem offenen Säuleugang stehen uud betrachtete
sich das vor ihm ausgebreitete, wirklich eigeuthümlich
schöne Schauspiel.
Der hohe und weite prachtvolle, von Licht durch-
flossene Saal war von geputzten Damen und Herren
gefüllt und auf dem glatten Marmorbodeu flogen d e
Paare nur so dahin. Den interessantesten Punkt für
ihn als Maler, denn das Andere hatte er tausendmal
gesehen, bildete aber in dem Hinteren Portal die Gruppe
der farbigen Dienerschaft, die sich hier fast vollzählig
gesammelt hatte, um dem Tanz zuzuschaueu uud dabei
der Musik zu tauschen.
Unmittelbar auf der Erde, in dem weiten Portal
saß, mit untergeschlageuen Beinen (wie alle diese in-
dischen Völkerstämme am liebsten sitzen) der ältere Theil
der Dienerschaft, gewissermaßen um Parguet, während
sich der jüngere, die „Maids" und jungen Burschen,
dahinter gruppirt hatten. Die Ersteren sahen dem
Tanz der Wolaugas auch mit ernster, stoischer Ruhe
zu, während das sunge Volk viel lebhafteren Antheil
daran nahm, und fortwährend leise mit einander
zischelte und flüsterte, nud auch wohl, aber in harm-
loser Freude, mit einander lachte; denn diese Einge-
borenen haben überhaupt ein scharfes uud rasches Ange
für komische oder außergewöhnliche Dinge, vorzüglich
in Kleidung und Bewegung der Fremden.
Der Tanz war im vollen Gang; trotz der etwas
sehr warmen Temperatur flogen die Paare in immer
wilderem Tempo den Saal entlang — die Gesichter der
eingeborenen Zuschauer glänzten von Vergnügen — die
Augen der jungen Damm leuchteten in Glück und
Jubel.
Da plötzlich war es Everhard, als ob oie hohe
starke Säule, an der er lehnte, dem Gewicht seines
Körpers nachgcbe. Neberrascht richtete er sich empor,
aber iu demselben Moment singen sämmtliche, an

Ketten hängende Astrallampen im ganzen Hans an
hin uud her zu schwanken uud ein gellender Schrei
ertönte aus der uoch vor Sekunden so heiteren, ja
ausgelassenen Schaar.
lind wie der Herbststurm die welken Blätter durch
den Wald fegt, so stoben auch schon die bunten, flat-
ternden Kleider aus einander und zu den beiden offenen
Pforten hinaus, und wie rasch waren die Eingeborenen
selber draußen im Freien! Die allen Leute schnellten
sich nur so von der Erde empor, uud ihnen folgte in
wilder Hast die ganze Schaar der Weißen.
Noch ein Schrei, ja mchr ein Auflreischen aus
zwanzig Kehlen zugleich, denn wieder zitterte der Boden
und zwar stärker als vorher, und die Lampen wurden
jetzt wirklich herüber und hinüber geschleudert. Draußen
aber im Garten warfen sich die älteren Malayeu auf
den Boden nieder und den Mund gegen die Erde
haltend, riefen sie in wehklagenden Tönen:
„Iwnn! Vsnn! Venü!"*)
Alles aber flüchtete zu sicherer Entfernung aus
dem großen Hauptgebäude sowohl, wie aus den kleinen
Nebenhänsern, denn man konnte in der That nie wissen,
ob sich ein solcher Stoß nicht doch vielleicht und dann
heftiger wiederholt-'. Brachen nachher die Wände zu-
sammen, so war man da drinnen verloren, während
man hier draußen sehr geringer oder gar deiner Ge-
fahr ausgesetzt vlieb.
Diesmal schien es aber mit diesen beiden Stößen
abgethan zu sein, die Astrallampen schwankten aller-
dings noch hin und her, aber die Bewegungen wurden
doch immer schwächer und schwächer, eiu Zeichen, daß
sie keine neue Kraft in Gang hielt.
Aber was war ans der fröhlichen, leichtherzigen
Schaar geworden, die noch vor wenig Minuten mit
lächelnden Lippen uud Lust und Jubel im Herzen,
durch den Saal geflogen? Dort draußen unter den
flüsternden Palmenwipfeln standen sie, Herren und
Damen zerstreut, Jedes nur auf seine eigene Sicherheit
bedacht, und erwarteten zitternd, daß sich der Schrecken
erneuen werde. Wer dachte in einnn solchen Augenblick
an Lachen oder Scherzen, und selbst der Beherzteste
fühlte, wie iyu ein unheimliches Gefühl beschlich. Stand
er doch hier einer furchtbaren und trotzdem dabei so
gebeimnißvolleu Kraft gegenüber, die er weder be-
rechnen noch begreifen tonnte. Was halfen ihm da
Muth oder Seelenstärke. Wenn es die Scholle, auf
der er stand, schüttelte, so schüttelte es ihn cbeu mit,
und wie arg das wurde, mußte er geduldig ab-
warteu.
„Nun höre eiu Mensch an," sagte van der Nocst,
der sich da draußen zufällig neben Everhard fand,
„was die Kerle da drüben für einen heidenmäßigen
Skandal mit ihrem lllsnu machen. Sollte man es
denn für möglich halten, daß eiu sonst vernünftiges
Wesen solchen Unsinn glauben kann."
„Lieber Herr," sagte Everhard achselzuckend, „wo
der Glauben aufhört und der Aberglauben ausängc, ist
außerordentlich schwer zu sagen. Was aber mich be-
trifft, so wünsche ich nur, daß Mynheer illeuu die
Schreier auch wirklich hört, und zu keiner gefährlicheren
Gemüthsvewegung übergeht."
„Ich denke, es ist vorbei," sagte Mynheer, „wir
werden in das Haus zurückkeyreu können, die Lampen
schaukeln schon nicht mehr so arg."

Im Inneren der Erde wohnt, der Javanischen Sage nach,
oder liegt vielmehr ein ungeheures Thier, das sie Vvui oder Nanu
nennen, und der Gestalt nach sür einen riesigen Büffel hallen. Die
Welt wird einmal zerstört werden. Aber nicht an einem „jüngsten
Tag", wie die Christen glauben, der dann Gerechte und Ungerechte
zusammeuschütlelr, sondern erst wenn alle Menschen aus de- Erde
gestorben sind, und diese also vollkommen leer steht, dann rührt und
reckt sich das Uugethüm da unten. Davon aber muß die Erde
bersten und stürzt donnernd in einander. Diese geringen Erschütte-
rungen oder Erdbeben, wie wir sie neunen, stehen nun mit diesem
Thier in genauer Verbindung, und zwar folgender Art:
Es gibt besonders zweierlei Ameisen aus der Insel; die weißen
(Termiten), die Allem verderblich sind, was sie nur erreichen können,
und die schwarzen, welche jedoch nicht allein vollkommen harmlos
erscheinen, sondern auch noch als grimme Feinde der weißen ans-
treten. Sie vertreiben sie nämlich, vorausgesetzt, daß sie sich iu ge-
lingender Stärke suhlen, wo immer sie auch inii ihnen zusammeu-
tresseu. Die Eingeborenen hüten sich deshalb auch wohl, die schwarzen
Ameisen zu schädigen oder zu tödlen, denn sie gelten ihnen gewisser-
maßen als em Schuß gegen die Verheerungen der weißen.
Das w ssen aber auch die schwarzen Ameisen recht gut, und wird
wirklich einmal eine von ihnen von einem schlechten Menschen, dem
Nichts heilig ist, getödtet, dann sucht sie sich — als Geist natürlich —
zu rächen. So war auch diesmal jedenfalls eine solche zu dem Imnu
hinnnlec gelaufen und hatte ihm gesagt, er könne jetzt nur immer
getrost ansangen die Welt über den Hansen zu werfen, denn die
Menschen da oben seien alle gestorben. Hätte der venu ihr nun das
sogleich aus ihr Wort geglaubt, so wäre jedenfalls ein großes Un-
glück geschehen, so aber ist er schon zu osl von solchen rachsüchtigen
Ameisen angeführt worden, nud er hob deshalb Nur erst einmal ein
einziges Haar empor, was schon diese Erschütterung hervorbrachle.
Sobald die Menschen das aber da oben fühlen, wissen sie auch
gleich, was es bedeutet, werfen sich deshalb rasch ans die Erde nieder
und rusen uun, so lcmt sie nur können, Nenn! venu! hinunter,
damit das Thier ihr Rusen hören möge und sich dann selber über-
zeuge, sie wären noch am Leben. Sowie der Norm das hört, legt er
sich ruhig wnder hin und wartet noch ein paar hundert Jahre, oder
auch vielleicht nur l iS die nächste Ameise mit derselben Lüge zu
ihm kommt.
 
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