Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Buch für Alle.

Heft 19.


Der junge Maler drückte ihm herzlich die Hand.
„Laß es gilt sein, Martjin. Ich weiß, wie Du es
ir einst, und es war nnr ein schlechter Scherz von mir,
sei mir nicht böse. Aber laß uns jetzt nach Hanse
gehen, denn ich bin hungrig geworden ° und es wird
auch Zeit. Morgen Früh sehen wir uns aber trotzdem
die Häuser in der Nachbarschaft an — ich muß Dir
gestehen, ich bin eigentlich besonders deshalb herüber
gekommen und — wenn ich auch vielleicht Deinem
Rath folge, so schadet es doch eben nichts, und
nur machen — wenn weiter nichts — eine kleine
Revisionstour durch Buitenzorg!"
Und Beeker hatte wahrlich nicht zu viel von seiner
Häuslichkeit gesagt. Mesronw Beeter war das wahre
Musterbild einer lieben, sorgenden Hausfrau — ruhig
allerdings in ihrem ganzen Wesens ließ sie sich nie
durch Leidenschaft auch nnr zu einem hitzigen Wort
l inreißen, aber mehr als das — sie hatte ein ganz
besonderes Talent dafür, wirklich unangenehmen Din-
g'n, oder solchen, die es werden konnten, durch eine
rasche, ost r nerwartete Wendung einen launigen An-
1 rieh zu geben. Mit vielem natürlichen Humor, kam
ihr dabei die noch nicht ganz vollkommene Kenntniß
der holländischen Sprache zu gute — sie sand dadurch,
wie wir es ost bei Ausländern bemerken können, in
> nbefangener Weise eine Menge von Wortspielen, die
dem wirtlichen Holländer vollkommen entgangen waren.
Sie verstand mit seinem Gefühl auch für das kleinste
Bedürsniß ihres Gastes zn sorgen, ehe dieser nur Ge-
legenheit betam, selbst einen Wunsch zu äußern, so
daß Everhard sich keiner Zeit zu erinnern wußte, die
ec angenehmer und glücklicher verlebt hätte.
Er blieb auch in der That drei volle Tage in
Buitenzorg und schied dann mit dem festen Besprechen,
die Freunde recht bald wieder anfznsnchen.
Sechstes Kapitel.
Everhard Kieshecr kehrte nach Batavia zurück, begab
sich aber gleich in die Stadt, nm einige Gegenstände,
die indessen für ihn von Europa angelangt waren, in
Empfang zu nehmen. Er fand diese in van der Roest's
Eomptoir und fuhr dann mit ihm, nm die Familie zn
begrüßen, nach Weltevreden hinaus.
Er sand übrigens Mynheer van der Roest in ziem-
licher Aufregung und sehr zerstreut, deun das aller-
dings noch nicht ganz verbürgte Gerücht hatte sich in
den Comptoiren verbreitet, eines seiner Schiffe, das
mit Seidenstoffen von China her unterwegs sei, wäre
auf der Herfahrt zwischen Borneo und der Ostküste
von Sumatra von einer Anzahl Piraten-Prauen ein-
gefallen und genommen worden, und wenn sich das
bestätigte, so erlllt die Firma dadurch allerdings einen
bedeutenden und schwer wieder gut zn machenden Verlust.
Kein Wunder also, daß ihm die Sache im Kopf herum
ging, die überhaupt noch durch die Ungewißheit pein-
licher wurde; aber wie in aller Welt hätte er Gewiß-
heit erhalten wollen. Es Ivar Nichts auf der Gottes-
welt daran zn thnn, als eben ruhig abzuwarten, bis
entweder das Schiff glücklich einkam, oder erst eine solche
Zeit verflossen war, nach deren Verlauf mau auf den
bestimmten Verlust schließen konnte. Nur daß dieser
drohende Schlag alle Geschäftsuntcrnehmungen bis
zur Entscheidung lahm legte, blieb das Schlimme an
der Sache — fast so schlimm wie dcr Verlust selber.
Everhard hatte sich mit in van der Roest's Bendi
gesetzt und den seinigeu nachfahren lassen; es wurde
aber unterwegs wenig oder gar nichts gesprochen, denn
der Kaufmann gab sich den eigenen, eben nicht ange-
nehmen Gedanken und Befürchtungen hin, und Ever-
hard schien ebenfalls mit sich selber allein beschäftigt,
denn nicht einmal einen Blick Ivars er, weder nach
lin's oder rechts, den freundlichen Häusergruppen zu,
bis das leichte Fuhrwerk in van der Roest's Landsitz
cinlenkte und gleich darauf vor dem Hanse hielt.
Es war heute etwas früher als gewöhnlich, daß
Mynheer aus seinem Comptoir zurücklam, die Damen
wenigstens befanden sich noch bei ihrer Toilette zum
Diner, und Mynheer schritt, sowie er nnr das Haus
betrat, zn einem kleinen, sehr eleganten Büffet, holte
eine Flcpche und zwei Gläser heraus und füllte sich
cines davon.
„Nehmen Sie einen Genovre, Everhard?" frag er
dabei den jungen Maun, „mir ist die Geschichte mit
den verdammten Prauen in den Magen gefahren und
ich muß eiucn Schluck darüber gießen. Guter Stoff
das und hält Leib und Seele zusammen."
Everhcnd trat zu ihm, um das jetzt für ihn ge-
füllte Glas zu leeren, als er in der Kammer nebenan
eine heftige Stimme hörte, die jedenfalls Willcmincn
augehören mußte. Gleich darauf ertönte ein leiser,
wie schmerzhafter Schrei, und als er darauf horchend
noch das Glas in dcr Hand hielt, öffnete sich die Thüre
und Alima, mit der rechten Hand ihren Arm haltend,
eilte heraus und, ohne nnr einen der Herren zn be-
merken oder zn beachten, durch das Hans hinaus in
den Gartcn.

Alinia! Alima! rief die zornig aufkreischcnde
Stimme der jungen, wie es schien etwas sehr gereizten
Dame hinter ihr her, aber Alima, wenn sie den Ruf
hörte, achtete nicht darauf und sich vergessend trat
Willemina mit zorugeröthcteni Gesicht in die Thüre,
als ob sie der Dienerin folgen wolle, schrak aber scheu
zurück, als sie Everhard erkannte, und schob die Thüre
rasch wieder in's Schloß.
Van der Roest war ebenfalls Zeuge der kleinen
Zwischenscene gewesen, und, wcnn er auch kein Wort
dazu sagte, schüttelte er doch leise und vor sich hin
mit dem Kopf. Er mochte aber Derartiges wohl schon
gewohnt sein, es kam wahrscheinlich häufiger im Hause
vor, als ihm selber lieb sein konnte und nnr sein Blick
flog forschend nach Everhard hinüber. — Vielleicht
wollte er sehen, welchen Eindruck es auf diesen mache.
Eocrhard aber leerte ruhig sciu Glas und cs wieder
ans den Tisch stellend, sagte er: Famoser Genovre, ich
wollte ich könnte einen Posten davon bekommen."
„Vielleicht hab' ich genug, nm Ihnen noch etwas
abznlassen," sagte van der Roest, „aber da, Everhard,
ist dcr neueste Amsterdam'sche Courant gerade ange-
kommeu. Vertreiben Sie sich die Zeit einen Augen-
blick, ich bin gleich zurück," und seinen Blechkasten mit
ben Papieren ausnehmend, schritt er damit in seine
Stube hinüber.
Everhard nahm die neue Zeitung, faltete sie aus-
einander und durchflog sie mit den Augen; aber er
sah die Buchstaben nicht einmal, viel weniger denn daß
cr ihren Sinn verstand oder sich nur dafür interessirt
hätte. Durch das Hintere Portal glitt eine lichte Ge-
palt, cs war Stria, die hinein zn ihrer jungen Herrin
wollte. Everhard vertrat ihr den Weg.
„Was ist da vorgesallcn, Stria?"
„Wo, Tnwan?" sagte das Mädchen und warf einen
scheuen Blick nach der Thüre hinüber.
„Da drinnen mit der Nonna. Was hatte Alima?"
Stria zögerte einen Moment mit der Antwort,
aber ihre nicht uuscköucn Züge zuckten erbittert zusammen
und sie sagte finster:
„Es wird alle Tage schlimmer, und wenn das so
fort geht, laufe ich ebenfalls davon. Aut der Nonna
ist es nicht mehr zum Aushalten."
„Und was hat sie gethan?"
„Was sie gethan hat? Alima aus Bosheit mit
eimr Nadel so lief in den Arm gestochen, daß das
arme Ding setzt nicht vor Schmerzen weiß, wo aus
oder ein. Wenn sie es mir so macht," und ihr Auge
blitzte dabei in unheimlichem Feuer — „so —"
°„Aber wo ist Alima?"
„In ihrer Kammer, doch sowie sie sich erholt hat
und den Arm wieder rühren kann, nm ihre paar Sacken
zn packen, will sie fort. Und wcnn sie sie in's Ge-
fängniß stecken, so ist sie doch noch immer besser daran,
als hier bei dem — Teufel."
„Wie kann man sie in's Gefnngniß stecken? sie
hat nichts verbrochen."
„Bah!" sagte Stria verächtlich, „fragen die Weißen
darnach? Wenn ein eingeborener Diener seiner Herr-
schaft davon läuft, weil ihn diese arg mißhandelt oder
zur Verzweiflung getrieben haben mag, so wird er in
den Kerker gesteckt, oder — wenn es ein Mann ist,
zn Strafarbeiten an der Straße verwendet. Wer fragt
denn nach Gerechtigkeit für unseren Stamm — es
ist ja nnr ein „Schwarzer" sagen sie."
„Kann ich Alima einmal sprechen?" sagte Ever-
hard plötzlich, der eine ganze Weile mit zusammen-
gebissenen Lippen still und nachdcnkend vor sich nieder
gesehen.
„Alima? jetzt? nein," sagte Stria scheu. „Die
Nonna kommt den Augenblick aus ihrer Stube heraus
— auch Mynheer — denn es wird in wenigen Mi-
nuten gegcsscn nud wenn Sie dann bei Alima wären?
— sie hat's schon so gerade schlecht genug!"
„Und Ivann kann ich sie sprechen, Stria?" fuhr
Eveihard bewegt fort, „ich muß ihr etwas sagen
— ich meine es gut mit ihr, ich gebe Dir mein Wort,
aber — ich muß seiber mit ihr reden, und wenn es
auch nur wenige Minuten wären."
Stria sah ihm fest in's Ange. Was wollte der
weiße Tnwan von dem Mädchen der Berge? — Aber
er war immer gut geg-nr die Dienstlente im Hans
gewesen, und sein eigener Bursche, dcr seinen Bendi
fuhr, und den sie schon lange darnach in der Küche
gefragt, wenn cr manchmal den ganzen Abend bei
ihnen saß, konnte ihn nicht genug loben. Er sollle
gar nicht wie cin anderer Weißer sein, sondern seine
> malayischen Diener genau so behandeln, als ob er sie
ebenfalls für Menschen hielte.
„Gut," sagte das junge Mädchen nach einer Panse,
„schlechter kann es dem armen Ding nirgends gehen,
und sie hat's nicht verdienb Wenn Sie heute Abend
wegfahren, biegen Sie in die nächste Gasse links ein,
nud dann an der Ecke wieder links — Sidiu (letzte
sie halb crrötheud hinzu, Evcrhards Burschen meinend)
kennt schon den Weg, der hinten an den Garten führt.

Ich will daun mit Alima am Hinteren Thor sein,
dort kommt Niemand hin."
Sie wandte sich rasch ab, denn rechts klinkte cin
Thürschloß, und wie ein Wiesel glitt sie der Thüre
des Fräuleins zu, die sie öffnete und dahinter ver-
schwand.
Ban der Roest kam zurück und ging noch einmal
zum Genovre — es mochten eine ganze Menge von
Dingen sein, die ihm durch den Kopf fuhren, und der
Genovre kühlt dabei in Indien so wohl das Blut, wie
hier bei uns, oder — bringt uns wenigstens in eine
andere Stimmung.
Jetzt ließen aber auch die Damen nicht länger ans
sich wartcn und Willemina besonders begrüßte Ever-
hard mit ihrem freundlichsten Lächeln.
„Sie sind so lange ausgcblieben," sagte sie, indem
sie. ihm die Hand entgegenstreckte, „wir hatten scheu
gefürchtet, Sie würden sich in dem langweiligen Buiten-
zorg ganz niedergelassen haben."
„lind finden Sie Buitenzorg so langweilig, mein
Fräulein?" sagte Everhard lächelnd — „ich muß
Ihnen gestehen, ich habe mir mit Freund Veekcr in
der That Wohnungen angesehen und ging mit dem
Plan um, dort einen längeren Aufenthalt zu nehmen!"
„Beeker?" sagte Willemina, ihn rasch ansehcud,
„was ist das für ein Beeker? — Der Herr, dcr eine
Schwarze geheirathet hat?"
„Er hat eine Eingeborene zur Fran —"
„Und das ist Ihr Freund?"
„Und weshalb nicht? cr wird allgemein als ein
Ehrenmann anerkannt."
„Es ist möglich," erwiedcrte Willemina kalt mit
den Achseln zuckend, „aber ein Umgang wäre mit ihm
und seiner Familie doch nicht deutbar. So viel ich
weiß, verkehrt keine anständige holländische Familie
mit ihm — wenigstens nicht mit seiner Fran oder —
Maid. Ich weiß nicht einmal, ob sie wirklich mit
einander verheirachet sind." -
„Willemina!" sagte verweisend der Vater. Ever-
hard aber erwiedcrte: „Die Versicherung kann ich
Ihnen geben, mein liebes Fräulein, und noch dazu
in einer christlichen Kirche, also allen Anforderungen
genügend, unb ich habe kaum je eine reizendere liebcue-
würdigere kleine Fran gesehen, als Mefrouw Bee-
ker ist."
„Mefrouw," lächelte Willemina und warf die
kleine Unterlippe vor — „aber ich glaube, das Essen
steht auf dem Tisch, Papa!"
Das Gespräch war ihr keinenfalls angenehm und sie
auch böse auf Everhard geworden. Wie ungeschickt, ja un-
gezogen von ihm, eine „Schwarze" in ihrer Gegenwart
Mefrouw zu nennen und sie sogar mit anderen Wei-
ßen Frauen zn vergleichen. Ueberhanpt kam ihr dcr
junge Mann schon seit einiger Zeit so kalt und zurück-
haltend vor, und sie beschloß, ihn ein wenig fühlen
zu lassen, daß sie — eine van der Roest sei, und von
ihm Aufmerksamkeiten erwarte, wenn er es nicht mit
ihr verderben wollte. Sie war bis jetzt zu nachsichtig
mit ihm gewesen, aber — cr sollte schon wieder zcchm
weiden.
Sie ging allein voran zum Tisch, Everhard bot
Mefrouw den Arm, und da auch jetzt gerade der
noch im Hans wohnende Kapitän eines holländischen
Schiffes, das für van der Roest fuhr, dazu kam, so
setzte sich die kleine Gesellschaft ohne Weiteres zum
Essen nieder.
Hier führte aber dcr Kapitän fast einzig das Wort
— er war erst heute Morgen eiugelanfen und hatte
über Fracht und Ladung sowohl, wie über die jetzigen
japauuchen Verhältnisse, woher er gerade kam, so viel
zu erzählen, daß van der Roest selber an gar keinem
anderen Gespräch Theil nahm — war ec doch auch
besonders bei dem Allem interessirt. — Leider konnte
der Kapitän gar keine Auskunft über das, dem Ge-
rücht nach von Piraten überfallene chinesische Schiff
geben, das der Zeit nach schon lange mußte eingetroffen
sein. Er hatte unterwegs wohl verschiedene Fahrzeuge
gesehen, aber keines angesprochen, und wußte deshalb
von gar nichts. Nur erst hier im Hafen war ihm
erzählt worden, daß Kapitän Boer, wie der Führer
jener Barke hieß, „Unglück" gehabt haben.sollte...
Everhard saß Ivie gewöhnl-ch bei Tisch zwischen
Mefrouw und Willemina: diese schien sich aber so
besonders für die Erzählungen des Seemannes zu
interessircn, daß sie kein Auge von ihm verwandte
und auf Evcrhards zeitweilige Anreden nur immer-
kurze, oft sogar zerstreute Antworten gab, bis sich der
junge Manu zuletzt nur allein mit Mefrouw beschäf-
tigte. Aber auch °cr war zerstreut seine Gedanken
weilten wo anders und oft drehte cr fast unwillkür-
lich den Kopf nach den Nebengebäuden hinüber, wo
die Dienerschaft ihre Wohnung hatte, als ob er
von dort her Jemanden erwarte — was aber natür-
lich Niemand bemerkte.
Endlich wurde die Tafel aufgehoben, dcr Kaffee
gebracht, nud die Herren setzten sich noch eine Zeit
 
Annotationen