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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0099
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heft q n --.. .:-n Das Luch fül- Mle --—..— ^5

zehn Minuten feuerten sie, fast unausgesetzt ihren Standort
ändernd, ihre Kanonen gegen die Belgrader Festungs-
werke — die Stadt selbst wurde nicht beschossen — ab.
Jeden Treffer begleitete das Jubelgeschrei der Menge,
die vom Semliner Ufer aus dem Kampf mit Spannung
folgte. Um die moralische Wirkung der Beschießung
Belgrads durch dis Schiffe der Donauflottille zu ver-
stärken, griff dann später auch ungarische Landartillerie
ein, und mit ihrer Hilfe wurde die serbische Artillerie
bald zum Schweigen gebracht. Unsere Extrabeilage zeigt
sehr eindrucksvoll den Kampf der Donaumonitore.
Die Räumung des von den Lelgiei'n mit
Lokomotiven oel-speri-ten lunnels bei
vei'oiei'r.
(5!?ke das MIO aus 8eits 7Y.)
1« einem 400 Meter langen Tunnel bei Verviers hatten
die Belgier siebzehn der schwersten Lokomotiven mit
Bolldampf aufeinanderfahren lassen, um die Durchfahrt
der deutschen Militärzüge zu verhindern. Zur Frei-
legung der Strecke wurden aus der Oppumer Haupt-
werkstätte bei Krefeld 86 Eisenbahnarbeiter herbeige-
rufen, die mit einem Sonderzug über Aachen nach Bel-
gien befördert wurden. Der Anblick, der sich ihnen dar-
bot, war furchtbar. Von den siebzehn Lokomotiven lagen
sieben im Tunnel kreuz und quer durcheinandergeworfen.
Bis zum zweiten Tag wurden fünf Maschinen mit Hilfe
einer Lokomotive herausgeholt und ein Gleis sreige-
wacht. Das Eisenbahner-Regiment baute alsdann neue
Schienen ein, so daß am Morgen des dritten Tages
der Truppentransport bis Lüttich vor sich gehen konnte.
Es ergab sich, daß die Belgier den Tunnel zu sprengen
versucht hatten. Ein Unteroffizier holte aus den ange-
legten Sprenglöchern l86 Kisten Dynamit heraus. Die
ltokomotive, die die belgischen Maschinen herausbeför-
dert hatte, wurde mit Grün geschmückt und mit der
Aufschrift versehen: „Ich bin ein Preuße."
Vie Deutschen in L^üssei.
(5ishe die 7 Wider aus 5eiis 82 und 83.)
T^urch das siegreiche Gefecht von Tirlemont wurde der
Weg nach Brüssel für die deutschen Truppen frei-
gelegt. Bevor die entsandten Truppenteile in die Stadt
einzogen, wurde eine kurze Rast gemacht. Das Signal
Zum Einmarsch gaben Kanonenschüsse. Unter den Klängen
der Militärkapellen zogen die Truppen, an ihrer Spitze
Ulanen, wie es unser interessantes Bild auf Seite 83
zeigt, nach dem Platz vor dem Hauptbahnhof und von
dort in das Zentrum der Stadt. Auf dem Brüsseler
Rathaus stieg die deutsche Flagge aus. Die Bevölke-
rung benahm sich bis auf wenige Ausnahmen ruhig.
Während des Einzuges schwebte eine Anzahl deutscher
Flugzeuge über der Stadt. Fürs erste wurde in der
Nähe der Stadt ein Lager aufgeschlagen. — Zum
Generalgouverneur der besetzten Teile Belgiens ist der
bekannte Generalfeldmarschall v. d. Goltz ernannt worden
(Bild 1). Sein Amtssitz ist Brüssel. Unsere weiteren Bilder
auf Seite 82 geben das Rathaus von Brüssel (Bild 6),
das aus dem 11. Jahrhundert stammt und zu den
schönsten Monumentalbauten Belgiens gehört, das König-
liche Palais (Bild 2), aus dem sich die Herrscherfamilie
Nach Antwerpen flüchtete, den größten Platz (Bild 4),
die sogenannte „Grande place", die Börse (Bild 3)
und den neuen Seehafen (Bild 5) wieder, auf dem die
Ozeandampfer unmittelbar bis Brüssel fahren können.
Vbfahrt einberufener österreichische!'
Reservisten.
(8iehe das MId auf 8eite 87.)
HZie die Unseren, so sind auch unsere österreichischen
Brüder mit einer einmütigen Begeisterung zu den
Fahnen geeilt, wie sie nur das Bewußtsein des Rechtes
erzeugt, das Bewußtsein, daß in diesem uns aufge-
zwungenen Weltkrieg nicht um dynastische Interessen
vder Machtgelüste einzelner gekämpft wird, sondern um
unseren Bestand als Volk, den man vernichten will, um
die Möglichkeit einer zukünftigen ersprießlichen Weiter-
entwicklung; und im Herzen jedes einzelnen lebt der
feste Wille und Entschluß: wir wollen, wir müssen siegen
gegen eine ganze Welt von Feinden, und der letzte
Mann und der letzte Taler muß darangesetzt werden
für Kaiser und Reich. Wenn auch der bittere Abschied-
schmerz von den Lieben, die zurückbleiben, von Weib
und Kind, Verlobten und Geschwistern einen Augenblick
das Herz zusammenkrampfen und die Träne ins Auge
treiben will, so wird doch diese natürliche Erregung
schnell überwunden im Rausch der allgemeinen Begeiste-
rung, und in dem stolzen Gefühl, sein Blut und Leben
ebenfalls einsetzen zu dürfen fürs Vaterland, geht jede
unmännliche Schwäche unter. Auf allen größeren Bahn-
stationen des Deutschen Reiches und Österreich-Ungarns
hat man wohl Vorgänge beobachten können, wie den,
dsn uns unser Bild auf Seite 87 anschaulich vor Augen
führt. Die einberufenen Reservisten scheiden. Die
Fahnen der Vereinsbrüder, die die abfahrenden Freunde
"vch bis zum Bahnhofe begleitet haben, flattern, die
Musik stimmt als Weihelied „Gott erhalte Franz den
Kaiser" oder „Deutschland, Deutschland über alles" an,
shs letzter Händedruck, ein letzter Kuß, ein letztes Ab-
Ichiedswort! — und unter den schmetternden Klängen,
dem Hurra der Abfahrenden wie der Zurückbleibenden
und dem Wehen der Taschentücher und Schwenken der
Hute setzt sich der Zug nach dem nächsten Garnisonsorte
ur Bewegung. Das Schicksal sei euch günstig, ihr tap-
seren Kämpfer, und gestatte euch eine glückliche Heimkehr!

Vie fliege im fernstem.
Roman von ö. v. vdlel'5feld--vallestl'em.
lkoryekung.) - (Nachdruck verbalen.)
um Heimweg stiftete ich wieder eine Droschke,
was abermals sehr gern angenommen wurde.
Wenn das zur Tagesordnung werden sollte
— aber nein, ich darf darüber nichts sagen,
denn wenn Eckschmidts die Reisekosten für
mich tragen, noch dazu für Dienste, die ich bisher zu
erweisen noch gar keine Gelegenheit hatte, dann ist's
ja noch lange nicht „au pair", was ich in diesem
Sinne auch gar nicht verstanden haben will.
Eckschmidts gaben bei Tisch die Parole zu einer
langen Siesta aus; wir sollten erst um fünf Uhr
zum Tee wieder zusammentreffen.
„Die Zeit bis dahin gehört also ganz Ihnen,
liebste Thea," sagte Frau v. Eckschmidt liebens-
würdig. „Ruhen Sie sich gut aus, schlafen Sie.
Der Schlaf ersetzt am besten die verbrauchten Kräfte.
Ich werde Sie rufen, wenn der Tee bereit ist."
Ich hatte aber gar keine Lust zum Schlafen.
Was ich heute gesehen und genossen, erfüllte mich
ganz, ich war auch durchaus nicht müde. Ferner
reizte es mich keineswegs, lange Stunden in meinem
Zimmer zuzubringen. Ich gönnte mir einige Mi-
nuten für meine Siesta und war dann bereit zu
frischen Taten, zum mindesten fühlte ich das Be-
dürfnis nach frischer Luft, denn in den Museen ist
davon wenig zu spüren. Ob ich mich wohl mit
einem Buche in den schönen Cortile setzen durfte?
Zwar hatte die Filomena mir gestern gesagt, ich
möchte nur immer herabkommen, wenn es mir be-
liebte, aber sic ist doch schließlich hier nicht der Herr!
Indes, ein kleiner Abstecher in den Cortile schien
mir immer begehrenswerter, und der Versuchung
erliegend, huschte ich aus meinem Zimmer — und
fand die Tür nach dem Korridor in der Anticamera
verschlossen, den Schlüssel abgezogen!
Bebend vor Entrüstung lief ich in mein Zimmer
zurück, denn es schien mir ganz klar, daß die Tür
meinetwegen verschlossen worden war: ich sollte
nicht heraus, wie ich es gestern getan!
Nach einer Weile beruhigte ich mich aber und
überlegte, daß meine Entrüstung mindestens ver-
früht war, denn welchen Grund hätten Eckschmidts
wohl, einen Ausgang von mir verhindern zu wollen?
Ich weiß wohl, daß es ihnen gestern nicht recht zu
sein schien, daß ich mich von der Filomena hatte
im Palast herumführen lassen, aber es lag doch auf
der Hand, daß ich dieses Vergnügen nicht alle Tage
wiederholen würde. Folglich konnte die Tür nur
versehentlich verschlossen worden sein.
Diese Erkenntnis half mir für meine Freiheits-
gelüste freilich nichts, und ich rannte in meiner
Ungeduld wie ein gefangener Wolf — da es ohne
zoologische Vergleiche doch nicht geht — in meinem
Zimmer herum, das mir trotz seiner Größe jetzt
ein höchst beschränkter Raum zu sein dünkte.
Dabei kam ich auch in die Nische am Kopfende
meines Bettes und an den Arazzo, den ich in meinem
Traume von der „Ammonatrice" hatte aufheben
sehen, und da ich ja sonst nichts weiter vorhatte, so
blieb ich davor stehen und betrachtete mit Interesse
das schöne Gewebe, das trotz seines Alters von ge-
wiß nahezu dreihundert Jahren noch so wunderbar
farbenfrisch aussah; höchstens daß die Jahrhunderte
den Farben den gedämpften Ton, die Patina, wenn
man's in diesem Falle so nennen darf, verliehen
hatten, der dem Auge so wohltuend ist.
Ich streckte die Hand aus und zog sie wieder
zurück — ich scheute mich tatsächlich, die Stelle zu
berühren, an der ich mein Traumbild den Teppich
hatte lüften sehen! Ich schalt mich aber selbst über
diesen Unsinn weidlich aus, griff nun zu und lugte
neugierig dahinter. Die Wand war dort, wie ich
schon früher festgestellt, mit Holzpaneelen bekleidet,
an denen außer ihrer sauberen Arbeit nichts Be-
sonderes zu sehen war, und ich wollte den Teppich
schon wieder fallen lassen, als mir, ich weiß nicht
warum, in den Sinn kam, die Paneele doch einer
näheren Betrachtung zu unterziehen — wahrschein-
lich, weil ich so viel Zeit hatte, denn sonst wüßte ich
um die Welt nicht, warum ich mich dieser ebenso
überflüssigen wie törichten Beschäftigung hätte unter-
ziehen wollen. Die Langweile bringt einen ja
immer auf überflüssige Gedanken, denn mir fehlt
es hier doch sehr an Gelegenheit zur Beschäftigung,
da ich nur wenige Bücher mitgenommen habe und
an Handarbeiten keinen Geschmack finde. Oder war's
doch etwas anderes, war's — Fügung? Wer kann's
wissen — denn die Entdeckung, die ich nun machte,
rechtfertigt meines Erachtens doch nicht dies schwer-
wiegende Wort.
Kurz, ich fand in der Ecke der Nische eine Tür;
nicht gleich, weil ich ja keine suchte, und wahrschein-


lich hätte ich sie, diese Absicht angenommen, über-
haupt nicht gefunden, denn man sieht's dem Paneel
gar nicht an, daß es eine Tür, genau gesagt eine
schmale Pforte sein könnte, daß eine solche dort
vorhanden ist.
Ganz zufällig — um das gedankenlose Wort in
Ermanglung eines besseren zu gebrauchen — oder-
besser, ganz wie von ungefähr stützte ich mich auf
die linke Leiste, die das Paneel einfaßt, ich hörte
einen scharf schnappenden Laut, und ich flog mit
der nach innen sich öffnenden Tür der Länge nach
in ein finsteres Loch, in dem es entsetzlich muffig roch.
Schnell, wie ich, übrigens recht empfindlich, auf
beide Hände gefallen war, raffte ich mich wieder-
auf uud lief, die Kerze auf dem Nachttische anzu-
zünden, um festzustellen, wohin ich so unsanft ge-
saust war, denn mit dem schweren Arazzo in der
Hand konnte man ja nicht weiter Vordringen. Ich
schlüpfte nun mit dem Leuchter einfach darunter
und sah, daß die Tür in einen langen, schmalen Gang
führte.
Ihn zu erforschen, überlegte ich nicht lange, denn
das war so recht etwas nach meinem Gusto. Ge-
fahren? Bah, was hätte es dabei für Gefahren
geben können? Und überdies reizte mich der Ge-
danke erst recht. Aber ich stürzte mich doch nicht so
ohne weiteres in die Entdeckung hinein, sondern lief
erst, um meine Tür nach dem Salon abzuschließen,
reinigte meine Hände und mein Kleid, die reichlich
Staub aufgelesen, steckte für alle Fälle noch die
Streichhölzer zu mir, und fiebernd vor Erwartung
der Dinge, die ich finden würde, betrat ich den Gang,
dessen Tür ich offen ließ, jedoch den Arazzo sorgsam
darüber fallen lassend.
Die Luft in dem schmalen Korridor war durch-
aus nicht so schlecht, als ich erwartet hatte, denn
mein Licht brannte zwar ein wenig trübe, aber doch
hell genug, um mir voranzuleuchten, auch fand ich
meine Atmungsfähigkeit nur unbedeutend beein-
flußt. Der Gang, der nur so breit ist, daß man gerade
darin gehen kann, ist recht hoch; er macht nach etwa
fünfzig Schritten eine scharfe Biegung, führt danach
noch genau zehn Schritte weiter und mündet dort
in eine sehr steile und enge Wendeltreppe, die aber
von Stein ist und solid genug aussah, um sie ohne
Bedenken betreten zu können.
Vorsichtig stieg ich hinab und mußte ein paarmal
stehen bleiben, weil mir von den kurzen Schnecken-
windungen ganz schwindlig wurde.
Da nun in dieser Welt alles einmal ein Ende
nimmt, so kam ich auch nach einer mir endlos dünken-
den Zeit wieder auf ebenem Boden an, der aber
schon nach wenig Schritten vor einer niedrigen Tür
Halt gebot. Damit wollte ich mich aber nicht zu-
frieden geben und untersuchte die besagte Tür sofort
eingehend, wobei ich fand, daß sie innen nur mit
einem Riegel verschlossen war, den znrückzuschieben
mir aber mehr Mühe machte, als ich's eingestehen
möchte. Dem Roste nach zu schließen, der an diesem
Riegel saß, muß seit einem Menschenalter kein Mensch
mehr durch diese Tür gegangen sein. Ich überlegte
aber nicht lange, ob es weise sei, auf die andere
Seite dieser soliden Eichenplanken zu gelangen, denn
das Entdeckungsfieber und die Abenteuerlust, die mir
uun einmal im Blute liegt, ließen auch das erst nach-
träglich aufgetauchte Bedenken, ob ich überhaupt
das Recht hatte, hier herumzugeistern, gar nicht in
mir aufkommen. Natürlich hatte ich kein Recht dazu,
aber es ist doch sehr anregend, manchmal ein Gesetz
zu übertreten.
Kurz und gut, der Riegel wollte nicht weichen,
und ich wollte den ungleichen Kampf schon aufgeben,
als mein Auge auf den altmodischen Messingleuchter
mit seinen veralteten Anhängseln, der Tüte zum
Auslöschen und der Putzschere für den Docht, fiel.
Im nächsten Augenblick hatte ich die letztere in der
Hand und kratzte mit dem scharfen Ende eifrig den
Rost von dem Riegel ab, steckte den Griff des letz-
teren in die eine Schlinge der Schere und zog ihn
damit glücklich weit genug zurück, um die Tür öffnen
zu können.
Sie ging mit einem die Zähne stumpf machenden
Kreischen nach innen auf, und ich sah zu meinem
Staunen, daß sie von außen mit lauter kleinen, spitzen
Steinen besetzt war. Den Kopf vorstreckend, machte
ich die unerwartete Entdeckung, daß sie in die Grotte
des Cortile mündete, in der ein Brünnlein, das
rinnende Wasser von Rom, in ein Muschelbecken
sich ergießt, das mir gestern schon aufgefallen war.
Nun hatte ich ja erreicht, was ich gewollt! Ohne
mich zu besinnen, und mächtig vergnügt über diesen
unerwarteten Ausweg aus meinem Zimmer, löschte
ich mein Licht aus, stellte es sorglich hinter die Tür
und zog diese zu, worauf ich durch die Grotte einfach
in den Cortile trat.
Ich hatte die Grotte gestern noch als eine „Spie-
lerei" belächelt; wie hätte ich auch den tieferen Sinn
dieser Künstelei ahnen können!
 
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