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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 18
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0395
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vor den 5chlsch1en.
kornnn von vrthur Zspp.
lrc>tts-Nung und 5chlusta lNdchdm» EdiNen.)
AW?Mer Untersuchungsrichter nickte. „Sie han-
Wsl.W betten nicht aus eigenem Antrieb, Marko-
M //i D witsch, sondern vielmehr im Auftrag von
Restuschew und Fräulein Sawurow? Sie
also war mit der Einteilung der Wohnung
des Herrn Hauptmanns genan bekannt?"
„Ja. Sie gab mir an, daß man vom Borplatz
aus durch die erste Tür rechts in das Arbeitszimmer
gelange, und daß sich hier im Schreibtisch die Pa-
piere mit einer militärischen Ausarbeitung befänden,
die ich mitnehmen sollte."
„Wie sie selbst zu dieser Kenntnis und zu den
Schlüsseln gekommen war, teilte sie Ihnen nicht
mit?"
„Nein."
„Bei Ihrem ersten Einbruch sanden Sie die
Papiere nicht?"
„Nein, ich kam mit leeren Händen zurück — bis
auf den Ring. Den taufte mir Restuschew ab."
„Wieviel gab er Ihnen dafür?"
„Lumpige hundert Mark."
„Tadelte er Sie nicht, daß Sie den Ring hatten
uütgehen heißen?"
„Nein, er meinte, das sei von mir ganz schlau
gewesen. Nun würde inan die Geschichte nur für
einen gewöhnlichen Einbruchsdiebstahl ansehen."
„Ganzrecht. Und was sagte Fräulein Sawurow?"
„Die war zuerst wütend und verdächtigte mich
sogar, daß ich die Papiere unterschlagen hätte. Aber
aus den Zeitungen oder sonst mag sie sich wohl
überzeugt haben, daß sie mir unrecht tat, denn
beim nächsten Zusammentreffen war sie sehr liebens-
würdig und bat mir gewissermaßen ihren Ver-
dacht ab."
„Sie wollte Sie wahrscheinlich bei guter Laune
erhalten und Ihnen zu einer Wiederholung des
Einbruchs Mut machen?"
„Freilich. Sie teilte mir dann auch nut, daß sie
inzwischen in Erfahrung gebracht habe, daß die be-
gehrten militärischen Papiere gar nicht im Schreib-
tisch, sondern in einem Schrank im Schlafzimmer
des Offiziers aufbewahrt würden."
„Sie gab Ihnen dann wieder eine genaue Be-
schreibung der Örtlichkeit, die nun in Betracht kam,
und ermunterte Sie zu dem zweiten Einbruch, der
beinahe von Erfolg gewesen wäre, der aber schließ-
lich zu Ihrer Verhaftung führte?"
„Sie hatten also nach alledem den Emdruck, datz
Fräulein Sawurow die Seele des Unternehmens
war?"
„Jawohl. Sie versprach mir jetzt fünfhundert
Mark, wenn ich die Papiere brächte."
„Sie sollten wohl die Papiere Restuschew aus-
hündigen, und er hätte Ihnen dann das Geld aus-
gezahlt?"
„Ja. So war es abgemacht."
„In welchen Beziehungen standen Sie dem: zu
Restuschew?"
Der junge Mensch kratzte sich nachdenklich hinter
dem Ohr und zögerte ein paar Sekunden mit der
Antwort. Aber dann gab er sich einen entschlossenen
Ruck. „Na, die ganze Geschichte ist ja nun doch her-
aus, also können Sie meinetwegen auch das noch
wissen: ich war einer seiner Agenten hier in Berlin."
„Worin bestand Ihre Tätigkeit für ihn?"
„Ich hatte einen Teil der russischen Studenten
in Berlin zu überwachen."
„Sie galten selbst als Student?"
„Ja. Ich habe auch verschiedene Vorlesungen
besucht und da mit meinen studierenden Lands-
leuten Bekanntschaft gemacht."
„Herr Restuschew steht im Verdacht, daneben noch
Spionage betrieben zu haben. Seine Verbindung
mit Fräulein Sawurow beweist ja schou, daß dieser
Verdacht gerechtfertigt ist. Ist Ihnen darüber etwas
bekannt?"
„Ja. Er hat mir einmal gesagt, ich sollte doch
versuchen, deutsche Offiziere als Lchüler der russischen
Sprache zu bekommen, um dann von ihnen allerlei
herauszulocken. Aber die Sache war mir zu ge-
fährlich."
Der Untersuchungsrichter beendete das Verhör.
Das gewonnene Material war hinreichend, nm eS
der höheren, zuständigen Behörde zu unterbreiten
und ihr die weiteren Schritte in dieser groß an-
gelegten Spionagesache anheimzugeben.
Es folgte nur noch eine kurze Vernehmung des
Hauptmanns v. Schilling. Daß es für den Offizier
eine Marter, eine Pein war, über seine Beziehungen
zu der Russin auszusagen, Ivar seinen gequälten

Mienen, seinen: nervösen Wesen deutlich anzumerken.
Der Untersuchungsrichter schonte seine Empfindun-
gen, soweit es seine Pflicht irgend zuließ. Daß die
Sawurow, die sich unter der Maske einer Französin
in die Familie des Hauptmanns cingeschlichen, von
allem Anfang es darauf abgesehen hatte, ihn in ihre
Netze zu ziehen, Ivar nunmehr allen Beteiligten klar.
Dank ihrer außergewöhnlichen äußeren Reize und
einer erstaunlichen Gewandtheit und Verschlagenheit
war es ihr wohl nicht allzu schwer, irgend einen für
weibliche Schönheit und Liebenswürdigkeit empfäng-
lichen Manu zu bezaubern und zu fesseln.
Der Untersuchungsrichter teilte dem ihm befangen
Gegenübersitzenden den Inhalt der Aussage des
Markowitsch nut. Elert sank förmlich in sich zu-
sammen. Diese Bestätigung des Argwohns, der ihn
in den letzten Tagen hie und da durchzuckt, den er
aber immer wieder als unmöglich von sich gewiesen
hatte, schien ihn völlig zn vernichten. So viel Schön-
heit, so viel Anmut und so viel Verworfenheit! Zu
denken, daß jede Miene, jedes Lächeln, jedes zärt-
liche Wort, mit dem sie seine Liebe entzündet nnd
zur Hellen Flamme geschürt hatte, erzwungen, er-
heuchelt, Lug und Trug gewesen! Es war zum
Wahnsinnigwerden. Er biß die Zähne zusammen;
brennender Haß kochte in ihm. So mitleidlos, wie
sie ihn ihren verwerflichen Plänen geopfert hatte,
ebenso mitleidlos hätte er sic in diesem Augenblick
vernichten, zertreten mögen wie ein giftiges Gewürm.
„Diese eingehende Kenntnis Ihrer Wohnung, die
Fräulein Sawurow bei der Anleitung des Marko-
witsch bewiesen hat, konnte sie doch nur persönlich
erworben haben." Der Untersuchungsrichter richtete
seinen Blick fragend auf den Offizier.
Elert nahm all seine Selbstbeherrschung zusammen
und drängte die Empfindungen des Widerwillens
in sich zurück. Seme Pflicht Ivar, die Wahrheit zu
sagen. Das war ein Teil der Buße, mit der er
seine Blindheit, seinen Mangel an Widerstandskraft
der Spionin gegenüber zu sühnen hatte. „Ja, sie
war bei mir," erklärte er fest.
„Es ist Ihnen nicht ausgefallen, daß sie irgend
eine geheime Nebenabsicht mit diesem Besuch ver-
band?"
„Nicht im geringsten. Ich war ja ohne jede
Ahnung ihres wahren Charakters."
„Auch bei ihren weiteren Besuchen bei Ihnen
schöpften Sie keinerlei Verdacht?"
„Sie hat ihren Besuch nicht wiederholt."
An der Wahrheit der Erklärung des Offiziers
war nicht zu zweifeln. Das ganze Verhalten, der
Anblick des ihm Gegenübersitzenden überzeugte den
Untersuchungsrichter davon. Ein warmes Mitgefühl
quoll in ihm empor, und erst jetzt erkannte er, wie
tief die Wunde ging, die dem arglosen Manne von
einem ränkcvollen Weibe geschlagen war.
* ,
Oberst v. Schilling, der sonst als Haupt der
Familie bei wichtigen Anlässen auch seiner Gattin
gegenüber sich zu behaupten Pflegte, war ganz Weich-
heit und Zerknirschung. „Ja, ja," sagte er seufzend,
„du hast wieder einmal recht gehabt, liebe Emmi!
Du hast einen größeren Scharfblick bewiesen als wir
Männer."
Die alte Dame richtete sich straffer auf. „Du
hättest eigentlich wissen können, lieber Achim, daß wir
Frauen in der Nähe besser sehen als ihr klugen
Herren der Schöpfung."
Er seufzte abermals und zog ergeben ihre Hand
an feine Lippen. „Ja, ich hätte es wissen müssen,
daß du eine kluge Frau mit sicherem, zutreffendem
Urteil bist."
Aber der Ausdruck der stolzen Genugtuung, der
kurz vorher in ihren Mienen und in dem Ton ihrer
Stimme gelegen, wich einer tiefinnerlichen Regung
der Trauer und des Schmerzes. „Ich verzichtete
gern auf diesen Sieg, wenn ich unserem armen Elert
diese entsetzliche Erfahrung hätte ersparen können."

Elert trug seinem Abteitungschef die Bitte vor,
seinem früheren Regiment wieder eingereiht zn
werden.
Der Oberst war außerordentlich erstaunt. „Aber
ich sehe keine Veranlassung, lieber Schilling. Sie
werden als Generalstabsoffizier wichtigere Dienste
leisten können als in der Front."
„Ich habe einen besonderen Grund zu meiner
gehorsamsten Bitte, Herr Oberst."
Ter Abteilungschef blickte den blaß, mit leiden-
den Zügen Dastehenden, in denen die Erfahrungen
der letzten Tage ihre sichtbaren Spuren hinter-
lassen, forschend nnd teilnahmsvoll an. „Sic sehen
nicht gut aus, lieber Schilling."
Es zuckte in den Zügen des Gefragten. „Ich habe
sehr Schmerzliches, Bitteres hinter mir, Herr Oberst."
Der Vorgesetzte, der den Hauptmann als fleißigen,

tüchtigen nnd klugen Offizier kannte und ihn auch
seiner menschlichen Eigenschaften wegen schätzte und
gern sah, stutzte. „Und das ist der Beweggrund Ihres
Gesuchs?" fragte er mit einen: gütig forschenden
Blick.
„Zu Befehl, Herr Oberst."
„Sie hoffen in den größeren Anstrengungen, in
den größeren Gefahren des Frontdienstes die Sache
leichter vergessen zu können?"
„Jawohl, Herr Oberst."
„Nun, dann, lieber Schilling, dann will ich Ihr
Gesuch schleunigst weitergeben und befürworten."
„Danke gehorsamst, Herr Oberst."
Damit war die kurze Unterreduug beendet.
An: Abend vor den: Ausmarsch erhielt Elert die
Mitteilung der gewünschten Überführung in sein
altes Regiment.
Die Fahrt durch Deutschland glich einem Triumph-
zuge; überall Jubel, Gesang, begeistertes Hurra.
In den: allgemeinen seelischen Aufschwung, der
Truppen und Bevölkerung in seinem Bann hielt,
fühlte man sich kann: noch als Einzelperson, wagte
sich die Sorge um das Einzelschicksal nicht hervor,
wurde der Schmerz um das persöuliche Leid erstickt,
lkud dann kamen die anstrengenden langen Märsche
unter glühender Sonne. Aber auch da erschollen
die anfeuernden, begeisternden Soldatenlieder und
ließen niemand zu ruhigem Nachdenken kommen-
Hauptmann v. Schilling begnügte sich nicht, die
Leute seiner Kompanie während des Marsches und
ihrer sonstigen militärischen Tätigkeit in: Auge zu
haben, er sah auch überall persönlich nach, ob sie
ihre richtige Verpflegung erhielten und in der Lage
waren, sich auszuruhen, sich für die weiteren An-
strengungen und die bevorstehenden Kämpfe zu
stärken. Er rechnete es zn seinen höchsten dienst-
lichen Pflichten, die ihn: unterstellte Truppe nicht
nur in guter körperlicher Verfassung, sondern auch
bei guter Laune, in vorwärts drängender Kampflust
und in dem kraftvollen Willen zum Siege zu erhalten.
Wenn er selbst abends todmüde in sein Quartier
kam oder sich in seinem Zelt auf Stroh und Decke
niederstreckte, dann fielen ihn: meist sofort die schweren
Augenlider zu, und der Wohltäter Schlaf entzog ihn
allen Grübeleien. Nur auf dem Marsche, wenn er
der Kompanie vorausritt und der Sang der Soldaten
hie nnd da verstummte, suchten ihn Gedanken und
Erinnerungen heim. Dann brannte das Weh Heist
in seinem Herzen, dann fragte er sich immer wieder,
ob denn das alles wirkliche Erlebnisse und nicht nur
häßliche, narrende Träume gewesen.

Ein Offizier, der aus Berlin nachgekommen war,
hatte eine Zeitung mitgebracht; die ging nun als
Seltenheit von Hand zu Hand. Auch Elert las sie
genau: zuerst den Leitartikel und die Tagesereignisse,
dann die Berichte von der Einnahme Lüttichs, von
der Wirkung der neuen Zweiundvicrzigzentimeter-
geschütze und anderes mehr.
Plötzlich strömte ihm alles Blut zum Herzen.
Zwei Namen las er, mit der schmerzlichsten, schmäh-
lichsten Erfahrung seines Lebens verknüpft: Anna
Pawlowna Sawurow — Wladimir Restuschew-
Haß und Widerwille rangen in ihm. Er war daran,
das Zeitungsblatt zu zerknittern und es mit einem
Fluch von sich zu werfen, aber sogleich siel ihn: ein,
daß es ja nicht sein Eigentum war, daß noch andere
danach wie nach einem Labsal, nach einer Erquickung,
nach einer hohen Freude verlangtem
Was war übrigens mit diesen beiden Personen
geschehen?
Er zwang sich, das Blatt von neuen: zu entfalten,
nnd las, während ihn: eisiges Schaudern durch die
Adern rann, daß die Kriegsgerichtsverhandlnng dne
Beweise für die Schuld der beiden Angeklagten er-
bracht hatte. Sie waren der Spionage nicht nur
vor den: Kriege, sondern auch noch während der
Zeit, da der Kriegszustand erklärt worden war, über-
führt worden. Die Meldung war ganz kurz nm
besagte nur uoch, daß die beiden demgemäß vom
Kriegsgericht zum Tode verurteilt und noch an dem-
selben Tage erschossen worden waren.
Bleich, in: tiefsten Innern erschüttert, starrte
Elert auf die wenigen Worte, die so kalt, so gleich-
gültig, als handle es sich um die einfachste, selbst-
verständlichste Sache von der Welt, über das (std-
schehenc berichteten, das ihn seelisch ans allen Fugs'"
warf. Die erregte Phantasie zauberte ihm das Bild
der berückenden, anmutigen, lebhaften Madeleim'
vor, die ihn zur glühendsten Bewunderung, R"
stürmischen Liebe hingerissen hatte. Und mm M
denken, daß der liebliche, leicht schwellende Mund,
der so anziehend, so fesselnd zu plaudern verstand,
erblaßt, für immer geschlossen war, daß diese leben-
sprühende, in vollkommener Schönheit prangende'
Gestalt, von unbarmherzigen Kugeln durchbolü''-
blntüberströmt auf den schmutzigen, kalten Erdboden
 
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