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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 18
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0396
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Heft 18_— _Va5 Luch fül' Mle

391


zu schicken, damit sie sich nicht beunrulygten, wenn
sie seinen Namen in der Liste der Schwerverwun-
deten lasen.
Unangenehm war tags darauf die Weiterbeförde-
rung. Es mußte Platz gemacht werden für die neuen
Verwundeten.
Dann kam er mit anderen in ein großes Etappen-
lazarett. Hier durften sie hoffen, länger zu bleiben.
Die Pflege war besser. Freiwillige Krankenpflege-
rinnen bedienten mit zarten Händen und halfen mit
sanften Worten, mit ermunternden, freundlichen
Blicken über manchen Schmerz hinweg.
„Sie haben Glück gehabt," fagte eines Tages
der behandelnde Arzt. „Einen halben Millimeter
tiefer, und die Kopfwunde wäre tödlich ge-
wesen."
Der Arzt mochte wohl gehofft haben, ein „Gott
sei Dank" oder wenigstens einen freudig aufstrahlen-
den Blick als Antwort zu erhalten. Aber nichts
von alledem. Still, fast finster sah der Kranke vor

in ihm. Einen halben Millimeter tiefer, und er
wäre allen vernichtenden Gedanken, allen inneren
Kämpfen, allen guälenden Selbstvorwürfen ent-
hoben gewesen! Mit dem schönen Bewußtsein, zu
eurem glorreichen Siege deutscher Waffen beigetragcn
zu haben, wäre er hinübergegangen! Sein Tod
hätte alles, was er in unerhörter Blindheit, mit
unmännlicher Schwäche und Vertrauensseligkeit ver-
schuldet, für immer ausgelöscht! In der Erinnerung
seiner Familie und seiner Kameraden hätte er als
einer der Helden fortgelebt, deren Blut dem Vater-
lande neuen Ruhm und Segen gewann!
Und nun?
Ein Zug von Mutlosigkeit und Bitterkeit grub
sich um die Mundwinkel des Grübelnden.
„Sie haben Glück gehabt!" hatte der Arzt ge-
sagt. Er wußte ja nicht, daß es für ihn kein Glück
mehr gab, daß er den Tod nicht fürchtete, sondern
ersehnte! . ..
Eines Morgens erschien die Schwester nicht wie
sonst an seinen: Bett, und die Pflegerin der nächsten
Station mußte aushelfen.
„Schwester Martha ist in der Nacht erkrankt,"
beschied die Aushelferin. „Aber heute mittag

uiedergestreckt worden war! Es war ihm, als wenn
eine harte Faust ihm ans Herz griffe und es mit
grausamem Druck zusammenpreßte.
Madeleine!
Die übermächtige innere Erschütterung drängte
ihm das Wort auf die Lippen. Aber in: nächsten
Augenblick richtete er sich hoch auf. Nein, nein, das
war sie nicht wert.
*
In Eilmärschen war das Regiment in die Nähe
bon Longwy gekommen. Kanonendonner von allen
Leiten. Aller Augen blitzten hell, über alle Gesichter
strahlten Mut und Kampfeslust. Endlich einmal sich
wit den: Feinde messen, ihn schlagen, wie es die
Väter getan, das war die brennende Begierde aller.
In der Nacht warf man unter dem Schutz der
hei Halanzy ausgestellten deutschen Batterien
Schützengräben aus. Freilich, häufig mußte man
die Arbeit aussetzen, denn wenn die Scheinwerfer
des Feindes grelle Lichtkegel herüber-
warfen, um die Angreifer besser unter
Feuer nehmen zu können, hieß es, sich
platt auf den Boden werfen.
Vorwärts drängte es die Angrisfs-
mstigen zum Sturm. In Zickzacklinien
wühlten sie sich durch den Boden bis an
die letzten Drahthindernisse heran. Dabei
gmg unablässig ein Schrapnell- und
Granatregen über die Vordrüngenden
nieder. Die Braven fielen rechts und
nnks, aber das hielt die Unverwunde-
wn nicht ab, sich weiterzuarbeiten. Es
war nicht nötig, daß die Offiziere ihre
Beute durch Zurufe ermuuterten, jeder
Empfand es wie eine Ehrenpflicht, die
deutschen Waffen, die während des
furzen Verlaufs des Feldzugs sich schon
io glänzend betätigt hatten, auch hier
zun: Siege zu tragen. Jeder brannte
>wr Eifer, es den braven Kameraden
gleichzutun, die ein paar Tage zuvor
unter dem Befehl des Kronprinzen von
Bayern so blutige Lorbeeren gepflückt
hatten.
Mit Drahtscheren wurde der Stachel-
draht durchschnitten und mit Handgra-
naten und Minenwerfern das letzte Hin-
dernis beseitigt.
Wenn aber einmal unter dem allzu
starken Granatfeuer ein Stutzen für ein
paar Sekunden eintrat, dann war es
Hauptmann v. Schilling, der seine Sol-
daten aufeuerte und seiner Kompanie
wst geschwungenem Säbel voraneilte.
»Hurra! Vorwärts! Treibt sie mit dem
Bajonett aus ihren Gräben, Jungens!"
. Mit einem Male wurde er durch
v>ue ungeheure Gewalt ein paar Schritte
zur Seite geschleudert. Sand flog ihm
Ms Gesicht, daß er unwillkürlich die
^wgen schloß. Aber es waren nur wenige
-Minuten, daß er so dalag, halb bewnßt-
os, niedergedrückt vom Luftdruck einer
vorbeifliegenden Granate.
Mit einem Satz sprang er wieder auf,
vm weiterzustürmen.
Da fühlte er plötzlich einen harten
Schlag an der Schulter und zugleich
o>n Brennen, als wenn er mit einem ^r. B-ru».
blühenden Eisen berührt worden wäre. , Vie Wirkung der 5eeminen:
>sM nächsten Augenblick sank er ohnmäch- Vas Leck de5 schwedischen Dampfers »5wartön«. (5. 394)
ug zu Boden.
Durch einen heftigen Schmerz erwachte er bald sich hin. Widerspruchsvolle Empfindungen wogten
wieder aus seiner Betäubung. Zwei Männer hatten
wu erfaßt, hoben ihn auf. Der Schmerz war un-
vrträglich. Er wollte den Arm zum Kopf heben,
"der kraftlos sank er zurück. Man legte ihn auf
^Me Tragbahre, während er wieder in Bewußtlosig-
o:t verfiel. Erst ans dem Verbandplatz kam er
wieder zu sich. Jetzt erinnerte er sich.
„ „Haben wir gesiegt?" fragte er den Arzt, der
bä) :un ihn bemühte.
Der Arzt nickte. „Jawohl. Glänzender Sieg,
w Franzosen sind auf der ganzen Linie zurück-
stvgangen."
.. Da breitete sich über das bleiche Antlitz ein sreu-
qsbes Lächeln, und nun dachte er auch an seine
Verwundung. „Was fehlt —"
- Aber der Arzt wehrte ab. „Sie dürfen jetzt nicht
Mecher:, Herr Hauptmann. Sie haben eine Ver-
i, spidung an Schulter und Hinterkopf — Granat-
^stler. Mr werden ihn gleich herausholen."
Während der Operation fiel der Verwundete
-wder in Ohmnacht. Überhaupt in den nächsten
dp.ben lag er viel ohne Bewußtsein. In einer lichten
^ Mutg bat er einen leicht am Fuß verwundeten
mmcentskamcraden, seinen Eltern ein Telegramm

trifft eine Anzahl frischer Schwestern aus Berlin
ein."
Am Nachmittag trat die Oberin, gefolgt von einer
schlanken, mittelgroßen Dame in Schwesterntracht,
an sein Bett.
„Herr Hauptmann v. Schilling," nahm die alte
Dame mit einem liebenswürdigen Lächeln das Wort,
„Schwester Wanda wünscht Ihre Pflege zu über-
nehmen."
Eine feine weiße Hand streckte sich ihm entgegen,
und zwei sanfte blaue Augen strahlten ihn an.
Elert wußte nicht, wie ihm geschah. Lag er im
Fiebertraum, oder war es Wirklichkeit? Wanda Hal-
den stand vor ihm! Sie war es wirklich, denn jetzt
vernahm er auch ihre Stimme.
„Ich bringe Ihnen Grüße aus der Heimat
mit."
Es klang ihm wie Engelsmusik in die Ohren;
das Bild der Heimat, die Gesichter von Vater und
Mutter traten vor seine Seele; er konnte, geschwächt
von den Schmerzen und vom Fieber, wie
er war, den Tränen nicht wehren, die
ihm in die Augen schossen. Mit warmen:
Druck umschlang er mit seiner gesunden
Rechten die schlanken, zarten Finger.
Und nun kamen schöne Tage. Sie
Plauderten von Berlin, von der großen
Begeisterung, die die ersten Siege er-
zeugt hatten, von dem Andrang der
Freiwilligen, die überall zu den Fahnen
eilten. Sie berichtete von ihrem Bru-
der, der ihnen vom Bord seines Schiffes
geschrieben und das glühende, fiebernde
Verlangen der Marineoffiziere und Ma-
trosen geschildert hatte, die alle darauf
bräunten, der jungen deutschen Marine
die ersten Siege und Lorbeeren zu ge-
winnen.
Zuweilen kam dann aber auch wie-
der die alte Kleinmütigkeit über ihn,
und er forschte verstohlen und ängstlich,
ob nicht in Wanda Haldens Mienen
ein Schatten von Geringschätzung, von
Verachtung zu lesen sei. Aber es leuch-
tete ihm nur immer dieselbe Freundlich-
keit und Güte entgegen.
Einmal schien es, als errate sie, was
in seinem Inneren vorging, denn sie
begann plötzlich wieder von der großen
Opferwilligkeit zu sprechen, die jeder
in: Volk in dieser großen Zeit betätige.
„Aber das Höchste leisten doch unsere
tapferen, todesmutigen Truppen," sagte
sie, während eine aufrichtige warme
Empfindung ihre Wangen rötete. „Dar-
über ist nur eine Stimme im ganzen
Deutschen Reich, daß wir auf unsere
Helden stolz sein, daß wir sie bewundern,
und daß wir ihnen von Herzen dankbar
sein müssen."
Da schloß er die Augen, ein warmes
Gefühl, ein Glücksgefühl durchströmte
ihn zum ersten Male wieder.
Je besser sich sein Zustand gestaltete,
je weiter die Heilung seiner Wunden
fortschritt, und je mehr seine Kräfte sich
wieder hoben, desto höher richtete sich
nun auch sein niedergedrückter Geist auf.
Seine Hoffnungslosigkeit, sein freudloses
Verzichtenwollen wichen mehr und mehr,
je deutlicher ihm aus Wanda Haldens
Antlitz die alte Freundschaft, die herz-
lichste Zuneigung cntgegenstrahlten. Und
in sein Herz kehrte wieder die Lust zu leben, die
Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft ein.
Ende.

Der Freibeuter.
Roman von Nrtur Winckler-Iarineriberg.
l. lNschdeuck verboten.)
m Portal der Hauptkadettenanstalt von
' WWW I Lichterfelde standen der Amtsrat Emmerich
MckU I und sein Sohn. Der Vater mochte etwa
I!!I f! I fünfzig Jahre zählen. Behäbig stand er
da, gemächlich schaute er in die grünende
Frühjahrspracht.
Arnulf, sein Sohn, war ein schlanker, etwas
blasser Junge von vierzehn Jahren; in seinen
Augen blitzte nicht nur die Lebhaftigkeit der Jugend,
sondern auch ein dem Vater fremdes, heißes Tem-
perament.
„Na also, halt dich gut, mein Junge!" Emme-
rich bot dem Knaben die weiche, weiße, fleischige
Hand.
 
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