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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 24
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0520
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I)g5LuchfülMe
Illustrierte fsmilienreitung
24. liest. 1915.
Amerika,?. Copyright 1S15 by Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart.


Der Freibeuter.
Roman von ftrtur Winckler-Iannenderg.
ikorisetmno.) — lNachdrull? oerdotsn.)

14.
Ä^lementine Emmerich hatte zu sein auf-
gehört. Selbst Klementine hieß sie nicht
MtM.nl mehr. Ihr Verlobter hatte sie schon seit-
iM^W her Clemence genannt, und der Name
gefiel ihr eigentlich auch besser, als die
altfränkische Klementine.
Für Harry war sie sein „Tünchen" gewesen,
das hatte vortrefflich gestimmt, Mi-
chaels Tincheu war sie noch, aber für
den eleganten Kavalier, dem sie jetzt
die Hand zum Lebensbunde gereicht
hatte, schickte sich Clemence weit
besser.
Es war eine Loslösung von der
Vergangenheit, die ihr Wohltat. Kein
Kosename aus jener Vergangenheit
störte den Eindruck der Gegenwart.
Und die Gegenwart erschien ihr
bestrickend.
. Armand war aufmerksam und
ütterlich. Sie hatte sich daran erst
gewöhnen müssen. Gütig war Harry
gewesen, freigebig, ein frohes Kind
un Schenken — aber ritterlich? Nein,
dazu war er viel zu schwerfällig
durchs Dasein geschritten.
Jetzt leuchtete um sie eine Ro-
mantik, wie sie sie nur in Romanen
gelesen zu haben glaubte.
Aus dem nordischen Reiche, das
die ersten Schneeflocken durchwirbelt
Und so von Herzen unwirtlich gemacht
batten, war man nach Cannes ge-
fmhen, an die sonnigen Gestade des
Mittelmeers.
Am anderen Ufer des Golfs lag
Antibes.
Der Golf selbst war das geschicht-
liche Stück Erde, auf dem der große
Korse landete, als er die Ketten von
Uba brach und den letzten Kampf
niner Kaiserherrlichkeit ausfocht.
Wie goldig die Sonne des Sü-
dens auf den Oliv en Wäldern, den
leuchtenden Prachtvillen und dem
Mrrblaueu Meere lag. Eine andere
sbrelt für die Träumerin, welche die
^uchstabenherrlichkeit von einst jetzt
erlebte!
y Erst hatten sie nur sich gehört,
Armand und Clemence, und kaum
Uach der Welt um sich her, ganz
bewiß nicht nach den Menschen ge-
sagt. Allmählich aber waren sie doch
umgänglicher geworden.
.Ein junger, blasser Gelehrter,
Hrwatdozent seines Zeichens, hatte
Ulis einer Bank am Golfe von Jouan
gesessen, als sie dort die Aussicht
genossen und Armand Leske seiner
Erau erzählte, daß hier Napoleons
Garden ihren vergötterten Führer
ul" zerfetzten Feldzeichen alten Ruh-
begrüßt hatten.
, Den 10. März des Jahres 1813
mtte er genannt.
. Da war von der Bank her, Ivo
M Mann seine kranken Lungen die

es geläufig zu sprechen, jedenfalls
aber genug, um sich mit seiner flei-
ßigen Schülerin zweisprachig zu ver-
ständigen. Armand lag das Lehren
nicht, er plauderte lieber und wußte
vorzüglich zu unterhalten, die Gründ-
lichkeit ließ er gern dem Bücherwurm.
Geschichte und Nationalökonomie
las dieser — neue Gebiete für die
Dame vom Lande. Emsig forschte sie
in ihnen, und Pierre Chaillard wurde
nicht müde, zu unterrichten.
Armand beobachtete seine Frau
mit lebhaftem Interesse. Hier bot
sich ihm eine unerwartete Handhabe
für seine Zwecke. Das fiel ihm auf
einmal ein. —
Zu zweien saßen sie eines Mor-
gens am Frühstückstisch auf der
Terrasse.
Die Post war gekommen, und Cle-
mence seufzte über einem Abrech-
nungsbrief des Justizrats Hiller, ihres
Vermögensverwalters.
Armand streichelte ihre Hand.
„Kopfzerbrechen? Lästige Zahlen,
Clemence?"
„Ja, Armand, sehr lästig! —
Wenn ich dich in Anspruch nehmen
dürfte —"
„Ich stehe selbstverständlich zu
Diensten."
„Sieh mal, da habe ich neulich
mit Chaillard eine interessante Aus-
einandersetzung gehabt. Mit dem
nutzlosen Spargroschen im Strumpf
fing sie an und endete mit der Frucht-
barkeit industrieller Werte. Ich hab's
wirklich begriffen, daß es ein Unrecht
ist, ängstlich jeder Spekulation aus
dem Wege zu gehen, und da faßte
ich mir ein Herz und schrieb meine
Ansichten an Hiller."
„Ah? Und nun?"
„Und nun ist die Antwort da.
Mein Bruder, der Gegenvormund,
habe ein für allemal erklärt: Kon-
sols, sichere Pfandbriefe werden ge-
kauft ! Was darüber ist, das ist vom
Übel."
„Dein Bruder — na ja, Finanz-
genialität aus Hägershof, das war
nicht anders zu erwarten."
„Du meinst auch, daß er von der
Sache nichts versteht?"
„Schatz, ich sage gar nichts. Du
weißt, wie wir stehen, dein Bruder
und ich. Er mag mich nicht, obgleich
ich ihm mein Lebtag nichts getan
habe, und ich — als deinen Bruder
achte ich ihn, aber für seine rustikalen
Töne fehlt mir wirklich jede Resonanz."

Heilsonne atmen ließ, ein leises schüchternes „Ver-
zeihung !" erklungen, und als Armand sich erstaunt
hinwandte, stand im schwarzen Anzuge, auf dem die
Hitze unerträglich schwelte, der magere Gelehrte vor
ihm, rückte an seiner Brille und sagte: „Verzeihung,
mein Herr, es war der 1. März. Am 7. stand Na-
poleon vor Grenoble, am 10. vor Lyon."
Armand Leske verneigte sich dankend. „Ich
lasse mich gern belehren. Und übrigens haben Sie
recht, ich entsinne mich jetzt: am 14. März schon
entfchied der Abfall Neys gegen die Bourbonen."
„So ist's! Ich bitte noch einmal um Ent-
schuldigung — Chaillard, Privatdozent!"
Nun muhte der Assessor sich und seine Frau vor-

stellen, und so war man bekannt geworden. Clemence
hatte der Unterhaltung der Männer nur unvoll-
kommen folgen können, denn diese hatte in fran-
zösischer Sprache stattgefunden.
Seitdem lernte sie eifrig, und bald waren die
Lücken ihrer Töchterfchulbildung um so erfolgreicher
ausgefüllt, als sie eine natürliche Begabung für
Sprachen besaß.
Der junge Gelehrte aber, der bisher so einsam
gelebt hatte, fand fein Wohlgefallen an der Ge-
legenheit, lehrtätig zu sein und schloß sich eng dem
Ehepaare an.
In Luzern lebte er seinem Amte und verstand
Deutsch, ohne

Phot. Elvira, München.
Seneral 6raf Sothmer, der Sieger von 5trrsi. (5. 526)

191S.
 
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