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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 24
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0521
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522 . - V35 Luch für Mle

liest 24

„Ich weiß. Aber zur Sache selbst wirst du doch
etwas meinen?"
„Gewiß, aber ich halte es für besser —"
„Das kränkt mich. Ich will, daß du mein Rat-
geber bist — du vor allem!"
„Das ändert die Sache. Also?"
„Also, du meinst, daß die Engherzigkeit meines
eigensinnigen Bruders und des alten Hiller nicht
der Weisheit Schluß sei?"
„Das meine ich allerdings. Aber ich meine noch
viel mehr."
„Was?"
„Daß diese Gegenvormundschaft — Schatz, ich
spreche davon nur, weil du es verlangst!"
„Ja, ich bitte dich darum."
„Daß diese Gegenvormundschaft nur Geltung
hat für das Vermögen, das für Arnulf sicher-
zustellen war, und daß du in deinem frei bist."
„Da hast du recht."
„Sieh mal, Clemence, es hatte etwas Bitteres,
um nicht zu sagen Kränkendes für mich, in welcher
Weise dein Bruder auf Gütertrennung bei der Ehe
drang. Er hat das selbst einen Riegel genannt, den
er vorschöbe."
„Zu wem sagte er das?"
„Er hielt es für angemessen, sich so zu Arnulf
zu äußern."
Clemence wurde rot. „Verzeih mir, Armand,
hätte ich das gewußt —"
„Du solltest es auch nicht wissen, und ich erwähne
es erst jetzt, da du diese Dinge ausdrücklich erwähnt
zu sehen wünschest."
„Ja, ich bin dir dankbar, wenn du es tust."
Ihr standen Tränen in den Augen, so ärgerte
sie sich.
„Rege dich nicht auf!" beschwichtigte er zärtlich.
„Michael hat nun einmal diese Manier der Rück-
sichtslosigkeit —"
„Aber ich will sie nicht, meinem Manne gegen-
über nicht. Ich empfinde sie als unwürdig. Das
wird anders!"
„Wir kommen ab. Wir sprachen von dem Rechte
deiner eigenen Verfügungsfähigkeit. Wo du dies
geltend machst, hat kein versteinerter Justizrat und
kein überhoheitlicher Gegenvormund etwas zu sagen."
„Und ich will's geltend machen! Du bist ja
selbst Jurist, du mußt das wissen."
„Natürlich, Schatz, muß ich es wissen. Jede
feste Willensmeinung genügt. Freilich wird der
alte Herr Winkelzüge machen, nach Hägershof
schreiben, und von dort kommt ein Hagelwetter.
Also, da hast du Ärger und Weiterungen, die ich
dir sparen möchte."
Sie hatte einen rettenden Einfall. „Du würdest
dir aus solchem Wetter nichts machen?"
Er lächelte. „Wenn ich's von dir abhalten
könnte — weißt du, Schatz, wie damals auf der
Mole, sollte es mir sogar ein Vergnügen sein."
„Dann gebe ich dir einfach Vollmacht. So nennt
man das doch? Das kann ich doch?"
„Das kannst du."
„Und du machst den beiden Herren den Stand-
punkt klar. Willst du mir den Gefallen tun?"
„Was täte ich dir nicht zuliebe!"
„Das soll meine Antwort sein auf die empörende
Beleidigung von dem ,vorgeschobenen Riegel'.
Siehst du, Armand, so gebe ich zugleich dir volle
Genugtuung."
„Deren bedurfte es nicht, soweit du in Frage
kommst."
„Das ist lieb von dir, aber für die anderen ist es
nötig."
Nach einer Weile sagte Armand: „Brachte dir
sonst die Post etwas, das ich wissen soll?"
„Ja, hier — von Fräulein Feinschmidt. Treu-
lich waltete sie ihres Statthalteramtes, aber nun
kündigt sie."
„Hm —"
„Es ist gut so. Sie kommt mir zuvor. Ich
brauche keine Gesellschaftsdame mehr, seit ich
meinen Gesellschafter fürs Leben habe."
Sie sah ihn glücklich an.
„Also, sie kündigt. Auch ich werde sie nicht
vermissen," sagte er ruhig. „Ich vermisse über-
haupt nichts mehr."
Da wurde sie lebhaft. Wie Schelmerei klang's:
„Du, Armand, sei nicht undankbar. Sie hat immer
große Stücke auf dich gehalten, hat dein Lob ge-
sungen, wo du's gar nicht mehr nötig hattest."
„Es ist die Möglichkeit!"
„Ja, wahrhaftig, deine Männerschönheit chat
Eindruck auf sie gemacht!"
„Um Gottes willen, die alte —"
„Schachtel hättest du beinahe gesagt, und dabei
ist sie nur zwei Jahre älter als ich!"
„Clemence, du beleidigst dich. Um zehn Jähre
jünger, um eine Unendlichkeit reizender ist mein
Schatz."

„Schmeichler!"
„Und nun bricht ihr das Herz nicht bei dem
Gedanken, dieser Männerschönheit zu entsagen?^
„Nein, sie hält sich schadlos, sie heiratet!"
„Ich entsinne mich, gehört zu haben, daß sie
eine Ewigkeit verlobt war. Hast du es erwähnt,
oder tat sie's selbst?"
„Beides ist möglich, denn die ewige Verlobung
stimmt. Jetzt wird's aber ernst. Am ersten Weih-
nachtsfeiertage wird geheiratet. Ihr Bräutigam
habe dann am besten Zeit, schreibt sie, und er brauche
nicht Urlaub zu nehmen. Wie arm, wie klein!
Eigentlich hat es etwas Rührendes! Jetzt bittet sie
um meine Zustimmung, ihre Stellung eine Woche
früher verlassen zu dürfen."
„Das läßt sich ja machen."
„So denke ich auch. Um Arnulfs willen, daß er
sein Weihnachten hat, wie immer, reisen wir mit
dem Beginn seiner Ferien zurück. Dir ist's doch
recht?"
„Deine Sehnsucht ist meine, Schatz."
„Also, wir sind einig. Am zwanzigsten Dezember
schnüren wir unsere Bündel und sagen dem Sonnen-
Paradies hier lebewohl. Es war schön, Armand,
ich scheide sehr dankbar und sehr glücklich." Sie
hatte ihre Hand aus die seine gelegt und sah ihn
herzlich fragend an: „Werden wir immer so glück-
lich sein?"
„Ich habe keinen Zweifel in meiner Seele.
Wo volles Vertrauen ist, ist volles Glück!"
Wie ein erneuter Eid am Altäre war's, als sie
sagte: „Das Wort soll gelten. Volles Vertrauen!
Ich will es dir beweisen und mir in ihm meine
Liebe, mein Glück erhalten, bis der Tod uns scheidet,
wie der Geistliche mahnte."
Und um sie her, über üppige Blütenpracht, Helle
Felsen, dunkle Wälder und glitzernden Wellenspiegel
lachte der Sonne ewige unvergängliche Klarheit.
Es gab ein Ewiges, es gab ein Glück!
Chaillard tauchte auf.
Sinnend stieg er die Stufen empor. Mühselig
arbeitete die schwache Brust. Jetzt nahm er die
Brille ab, putzte sie in seinem gelben Seidentuche
und setzte sie wieder auf, dann schweiften die Blicke
verlangend in die Weite. Wo die Seealpen in
blendendem Schneeglanze herübergrüßten, hafteten
sie eine Weile.
Ob er es schmerzlich empfand, daß sein wandern-
der Fuß niemals frei und fest diese lichte Herrlich-
keit ersteigen werde? Das bleiche Gesicht verriet
ähnliche Gedanken. : Aber dann hatte er sich ge-
wandt, und nun erblickte er die Freunde. Ein frohes
Erkennen rötete die hageren Wangen, winkend hob
er die Hand und kam näher.
„Welch wundervolle Stimmung!" schwärmte er
nach Austausch des Morgengrußes. „Hier ist immer
Frühling. Da drüben auf den Bergen liegen die
Gletscher im Neuschnee, und wer weiter ms Land
zieht, erschauert in Sturm und Frost — immer hier
bleiben können, muß schön sein!"
„Können Sie's nicht?" fragte Clemence teil-
nehmend.
„Nein, ich nicht. Die Reichen können es, die
nicht erwerben müssen, sondern nur genießen. Die,
wenn sie krank sind, bleiben, wo man gesundet. Die
anderen erwerben und sterben daran."
„Wie verzweifelt das klingt!"
„Nein, meine Gnädige, nur aufrichtig. Da
wehrt man sich gegen den Materialismus und
predigt der Welt von dem höchsten Werte idealen
Besitzes. Wenn's ums Glück geht und ums Leben
überhaupt, stößt man doch wieder auf die Erkenntnis,
daß der materielle Besitz sich erstrebenswert macht."
Clemence wollte ablenken, erheitern. „Ich habe
einen ganz ideallosen Bruder," sagte sie, „und der
kleidet, was Sie eben aussprachen, Herr Chaillard,
in die Worte: Reichtum schändet nicht, und Armut
macht nicht glücklich."
„Der Mann ist reich?"
„Reich vielleicht nicht, aber wohlhabend."
„Dann hat er leicht Witze machen."
„Aber es werden doch auch Arme reich?" Sie
versuchte es mit gutmütigem Eifer auf eine andere
Weise.
„Die Klugen," warf Armand ein.
Da wich der resignierte Zug im Gesichte Chail-
lards. „Da sind wir ja wieder bei meinem Problem
der Finanzwissenschaft. Gottlob, das Wissen hat
immer noch sein Recht, nicht nur das plumpe Ge-
wicht der Besitzmasse. Wie man die Materie nutzt,
entscheidet im Kampfe der Wirtschaft, und in dieser
Klugheit werden die Armen reich, in Dummheit
die Reichen arm. Das ist der Ausgleich, das ist die
Gerechtigkeit."
Da waren sie denn voll Lebhaftigkeit und Energie
bei dem Thema, das Clemence in letzter Zeit be-
schäftigt hatte, und das gerade jetzt noch vom Früh-
stückstischgespräch in ihr nachklang.

Die satte Bequemlichkeit hier, die träge den
Überfluß an die Ufer schwemmen ließ und von ihm
sich nährte, ohne Arbeitsrecht, ohne Schöpferwillen,
und der tatenfrohe Unternehmungssinn dort, der
wagte und rang, kämpfte und siegte, aus dem
Nichts das Etwas, das Weltbezwingende sogar
machte und so eine Himmelsgewalt wurde.
Wie sie das begriff, wie es ihren willensfrohen
Geist beflügelte! Daß sie in ihrer unvermeidlichen
Oberflächlichkeit, im Mangel jeder Fachbildung znm
Spielball eines gelehrten Phantasten wurde, ahnte
sie natürlich nicht. In ihr war immer ein Element
der Auflehnung, eine Sehnsucht des Widersprechens
gewesen. Jahrzehntelang war das niedergehalten
durch die Wuchtende Last jener unerschütterlichen
Patriarchengewalt, die Harry sowohl als Michael
in ihrem Bereich geübt hatten. Dort war über
Gelehrsamkeit gespottet, über Theorie gelacht wor-
den.
Jetzt empfand die Befreite eine wahre Sehn-
sucht, anders zu sein als jene. Der Gelehrte sollte
ihr Führer sein, die tatlose Ernte kam ihr wie Sünde
an denen vor, die sich mühten, der Mühe Pre>"
erst als Menschenzweck.
Da wühlte sie in diesem gefährlichen Problem,
an das sich nur die klügste Gründlichkeit wagen darf,
und weil sie wühlte, glaubte sie tief einzudringem
Wo Bedenken alter Gewohnheit auftraten, wie^
sie sie fort in fanatischem Glauben an den Fach-
gelehrten, dessen Augen so überzeugend strahlten,
und dessen hohle, hagere Wangen glühten.
Armand hatte sich eine Zeitung genommen mW
schien zu lesen. Es schien aber nur so. Mit ge-
spannter Aufmerksamkeit lauschte er den Aus-
führungen des in einem labyrinthischen Wisstu-
schaftsreiche Schürfenden. Wieviel unbewiesenes
Material türmte er als granitenes Fundament aus,
um über ihm die Prachtbauten seiner Hoffnungen
zu errichten.
Armand störte nicht. Hier wurde ein Acker
gelockert, auf dem er ernten würde, wenn der arme
Schwindsuchtskandidat alle seine Selbsttäuschungen
längst ausgeträumt hatte, hier reifte eine Saat, die
seine Scheuern füllte. Mochte zunächst einmal die
hausbackene Erwerbs- und Erhaltungslehre von
Hägershof gründlich beseitigt werden, das andere
kam von selbst, und kein Schatten selbstsüchtiger Be-
teiligung an dem Zerstörungswerke fiel auf ihn-
Endlich schien es ihm genug. Clemence durfte
nicht ermüdet und dadurch gleichgültig werden.
Als ob er aus tiefsten Tiefen der Zeitungslektüre
auftauche, sagte er: „Herr Chaillard — kein Wens")
und der klügste selbst nicht lebt von Sentenzen-
Sie vergessen Ihr Frühstück."
Der Gelehrte sah erschrocken auf. Die Augen
wurden still und matt.
„Ja, ich vergesse manchmal die MahlzeiteN-
Was tut's. Sie kommen immer noch zurecht."
Aber der Bann war gebrochen. Clemence wM
erlöst und blieb empfänglich für ihren Wissenschaft^
Heilbringer. Armand hatte erreicht, was er wollte-
Beim Nachmittagsspaziergang mitten in einer
Plauderei sagte Clemence: „Was hältst du von
Chaillard, Armand?"
„Er ist ein äußerst kluger Mensch." „
„Nicht wahr? Er wird eine große Zukunl
haben?"
„Daran zweifle ich keinen Augenblick." ,
„Das schließt alles so folgerichtig ineinande '
Freilich, es ist so kühn und modern, daß alle altes
Perücken schaudern, aber es ist eine überzeugen"
Kühnheit."
„So meine ich auch." >
Sie waren ein paar Schritte weiter gewandem
da hielt sie an. „Armand, die Vollmachtserklürung
an Hiller, daß er künftig mit dir zu verhandeln HM'
ist abgegangen."
„So?" sagte er kühl. „Das ist gut so nach du '
was wir besprachen."
„Und auch an Fräulein Feinschmidt habe i
geschrieben."
„Auch gut!"

15.
Donnernd fuhr der Zug in die Halle. Arft
Bahnsteige stand Arnulf, drei langgestielte RM
die sorglich in Seidenpapier gewickelt waren, ,
der Hand. Ein knisternder Frost erfüllte die -
und Reifgespinste lagen auf den Eisengittern.
Jetzt riß er das Seidenpapier ab und knüuw^
zusammen, der Zweck der Blumenspende erfu
sich, mochte die Blumen selbst der Eishauch w -
Aus einem Wagenfenster wehte der Tuchm
Die Mutter winkte dem Sohne.
Und nun hielten sie sich umschlungen. Arnm
Leske stand, geduldig wartend, dabei. Den 1-
knöpfte er zu.
 
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