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guwno — weißt Du's noch aus Deiner Polacken-
zeit? Na, Du weißt schon: Mist! Erst war ich
Dein Bruder, und dann kam die neumodische Er-
findung: Spekulieren und Generalvollmachten aus-
zustellen. Also mach' ich Krach!
Himmeldonnerwetter! Vater Theiner dreht sich
im Grabe um, trotzdem ihm, wie ich immer gesagt
habe, der Sarg zu eng angemessen wurde, und
Dein Harry dreht sich aus die andere Seite, wenn
sie erfahren, was Du mit Deinem nichtsnutzigen
Assessor für Zicken machst!"
Sie ließ das Blatt sinken.
Sie zitterte vor Empörung. Michael war immer
grob gewesen, aber diese schimpfliche Beleidigung
ihres Mannes duldete sie nicht — bestimmt, ganz
gewiß nicht. Nachdem sie zu diesem Entschlüsse
gekommen war, las sie weiter:
„Zum Februar komme ich nach Berlin, zur
Landwirtschaftlichen Woche, weißt Du? Na, Tin-
chen, da freu' Dich, da wollen wir uns mal ordent-
lich miteinander ausklavieren. Was Dein ver-
rückter Fachmann der Nationalökonomie aus Cannes
ist, so kann sich der gratulieren, daß er nicht dabei
ist, und daß ihn, wie Du schreibst, bald die Schwind-
sucht holt, sonst hätte ich selber ihn geholt — aber
IIIIIIIII"""" II V35 Ruch fül° Mle 1—.1.1111 "
Deinen Geldbeutel werde ich gegen Schwindsucht
kurieren, darauf verlaß Dich, und es soll mir lieb
sein, wenn der Assessor auch was von der Medizin
nimmt, er scheint mir's zu brauchen.
Also, auf Wiedersehen Anfang Februar! So
was ist mir zum Schreiben viel zu dumm und zu
langstielig, so was mache ich mündlich!
' Die Bengel schreien vor Weihnachtserwartung
so, daß ich mein eigenes Wort beim Schreiben nicht
verstehe, aber natürlich wünschen sie Dir und dem
Vetter ein vergnügtes Fest. Ebenso Adelheid, der
übrigens der Striezel sitzen geblieben ist. Sie be-
hauptet, Tillmann hätte sie mit der Hefe an-
geschmiert. Die Kaufleute werden ja immer
raffinierter.
Also auch das noch!
Ich aber freue mich auf unser Wiedersehen,
auf das Großreinemachen mit meinem Tinchen,
und bin in festlicher Erwartung
Dein getreuer Bruder
Michael."
Clemence hielt ihrem Bruder viel zugute, sie
kannte ihn ja. Aber das ging ihr über alles erlaubte
Maß. Er war verbohrt und verbauert. Im engen
Kreis verengert sich der Sinn, er war also vielleicht
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dazu verurteilt, es zu sein; aber das gab ihm kein
"Recht, seine Beschränktheit für Tugend, weiteren
Blick für Verbrechen zu halten, um in solchem
Dünkel beleidigend zu werden.
Zudem, sie war fünfunddreißig Jähre. Welch
Recht maßte er sich an, ihr Vormund zu sein?
Wirbelnd ins Blut aber schoß ihr das Wort von
„Deinem nichtsnutzigen Assessor". Das war eine
Frechheit, die sie sich und ihrem Manne nicht bieten
ließ. Jetzt sollte Michael sie auch kennen lernen.
Armand durfte natürlich von diesem Briefe
kein Wort wissen. Wozu ihn, den Wehrlosen,
kränken lassen, er hatte genug ihr zuliebe hin-
genommen. Sie dankte es ihm immer wieder
cm stillen. Die Begegnung im Februar durfte
überhaupt nicht stattfinden. Michael war und
blieb ein Flegel. Also mied man ihn.
Sie sann. nach.
Das Klavierspiel hatte aufgehört, Armand mochte
sie vermissen. Sie schloß Michaels Brief fort und
kehrte in den Salon zurück.
„Armand," sagte sie innig, sich in seinen Arm
hängend, „weißt du, wozu ich diesmal eine wahre
Sehnsucht Hütte?"
„Nein, Schatz, wie soll ich das ahnen!"
Phot. A. Grohs, Berlin.
Der kriegshafen von 6enug. (5. 526)
„Den Karneval am Rhein möchte ich einmal
sehen."
„Wenn es weiter nichts ist — machen wir!"
„Aber vom ersten Geigenstrich an und aus-
kosten."
„Soll geschehen. Also, von wann?"
„Von Anfang Februar, wenn dir's recht ist."
„Natürlich ist mir's recht, und Arnulf beurlaubt
uns — was?"
„Ach ja — Arnulf!" — Sie wurde verlegen.
Einen Augenblick hatte sie ihren Sohn vergessen
können.
„Da es Mama Freude macht, selbstverständlich.
Es sinä ja auch nur ein paar Wochen."
„Also alles in Ordnung!" schloß Armand. —
Michael bekam eine kurze Antwort:
„Lieber Bruder!
Auf Deinen Brief gehe ich nicht ein. Er ist mir
zu grob und zu unverständig. Deine Bevormundung
verbitte ich mir ein für allemal, und Dein Kopf-
wäschen hat keinen Zweck.
Clemence."
Auch noch „Clemence" unterzeichnete sie. Mochte
er sich ärgern!
16.
Michael Theiner war in der Tat wütend.
Eine solche Auflehnung Tinchens ließ ihn starr
werden. Aber er kannte seine Macht. Die Weiber
blieben ewig unmündig, und das war gut so, denn
sie sollten sich um Strickstrumpf und Kochtopf
kümmern. Dort gab es reichlich für sie zu tun,
und dort waren sie nun einmal unersetzlich.
Das Weib in seinem Kreise ließ er gelten. Was
darüber hinauswollte, war ihm ein Sünder an
Welt- und Menschenordnung. Wieviel Mannes-
egoismus in dieser brutal rückständigen Auffassung
steckte, wußte er gar nicht. Egoist in diesem Sinne
war er immer gewesen, es lag sozusagen in seinen:
Blute, und Adelheid, seine ihm fürs Leben angelobte
Gefährtin, konnte ihm keine höhere Meinung bei-
bringen. Die wimmerte sich durch den Tag, lehrte
die Mädchen und wehrte den Knaben sehr unvoll-
kommen, aber man verlangte nicht mehr von ihr.
Sie blieb ein lebendes Beispiel für die natur-
gesetzliche Unterordnung des Weibes unter den
Mann — und war so auf Hägershof ganz am
Platze.
Daß in Michaels Schwester sein Blut, sein eigen-
sinniges Selbständigkeitsgefühl, Pochte, bedachte er
nicht, hätte es auch einfach nicht gelten lassen.
Wollte sie das alles dürfen, so Hütte sie eben als
Junge auf die Welt kommen müssen. Er konnte
nichts dafür, daß sie ein Mädel geworden war und
brauchte dies ihr Schicksal nicht zu verantworten.
Das ist die Stellung vieler Männer, und sie
kommen sich dabei wie wahlberechtigte Hüter der
Zucht und der Ordnung auf Erden vor. Wer nicht
nachdenkt, ist bedenkenlos. Sie sind in ihrer Art
dabei sogar wohlmeinend.
So war er denn wütend gewesen über den
kurzen Brief, der für ihn Aufruhr und Hochverrat
bedeutete. Aber auf weitere Schreiberei würde
er sich nicht einlassen. Er liebte briefliche Ausein-
andersetzungen sowieso nicht, und hier vergab er
sich mit jeder solchen etwas.
Mochte die Sache bis zur Landwirtschaftlichen
Woche bleiben. Bei dieser kam dann schon der kurze
und gründliche Prozeß.
Und nun das!
Nun wurde er noch viel wütender.
Daß die Jalousien des Hauses geschlossen waren,
als er dort vorfuhr, hatte er nicht beachtet. Auf
der Straße zankteu gerade zwei Rollkutscher nm
jener Rückhaltlosigkeit des schnoddrigen Berliner-
tums, das in ihm verwandte Seelenklänge nach-
schwingen ließ. Wenn einer dem anderen versprach,
er werde ihm auf den Schädel schlagen, daß er
Plattfüße bekäme, so amüsierte ihn, den Zuhörer,
das nachhaltig, und er schmunzelte noch, als er die
Treppe hinaufstieg und die Flurglocke erschallen ließ-
Dort klirrte die Kette, und aus der Türspalte
erkundigte sich ein zerzauster Mädchenkopf nach
seinem Begehr.
Ob die Herrschaften daheim wären?
„Nee, natürlich nich, wenn man in Köln znns
Maskenball muß, kann man nich in Berlin sein!
guwno — weißt Du's noch aus Deiner Polacken-
zeit? Na, Du weißt schon: Mist! Erst war ich
Dein Bruder, und dann kam die neumodische Er-
findung: Spekulieren und Generalvollmachten aus-
zustellen. Also mach' ich Krach!
Himmeldonnerwetter! Vater Theiner dreht sich
im Grabe um, trotzdem ihm, wie ich immer gesagt
habe, der Sarg zu eng angemessen wurde, und
Dein Harry dreht sich aus die andere Seite, wenn
sie erfahren, was Du mit Deinem nichtsnutzigen
Assessor für Zicken machst!"
Sie ließ das Blatt sinken.
Sie zitterte vor Empörung. Michael war immer
grob gewesen, aber diese schimpfliche Beleidigung
ihres Mannes duldete sie nicht — bestimmt, ganz
gewiß nicht. Nachdem sie zu diesem Entschlüsse
gekommen war, las sie weiter:
„Zum Februar komme ich nach Berlin, zur
Landwirtschaftlichen Woche, weißt Du? Na, Tin-
chen, da freu' Dich, da wollen wir uns mal ordent-
lich miteinander ausklavieren. Was Dein ver-
rückter Fachmann der Nationalökonomie aus Cannes
ist, so kann sich der gratulieren, daß er nicht dabei
ist, und daß ihn, wie Du schreibst, bald die Schwind-
sucht holt, sonst hätte ich selber ihn geholt — aber
IIIIIIIII"""" II V35 Ruch fül° Mle 1—.1.1111 "
Deinen Geldbeutel werde ich gegen Schwindsucht
kurieren, darauf verlaß Dich, und es soll mir lieb
sein, wenn der Assessor auch was von der Medizin
nimmt, er scheint mir's zu brauchen.
Also, auf Wiedersehen Anfang Februar! So
was ist mir zum Schreiben viel zu dumm und zu
langstielig, so was mache ich mündlich!
' Die Bengel schreien vor Weihnachtserwartung
so, daß ich mein eigenes Wort beim Schreiben nicht
verstehe, aber natürlich wünschen sie Dir und dem
Vetter ein vergnügtes Fest. Ebenso Adelheid, der
übrigens der Striezel sitzen geblieben ist. Sie be-
hauptet, Tillmann hätte sie mit der Hefe an-
geschmiert. Die Kaufleute werden ja immer
raffinierter.
Also auch das noch!
Ich aber freue mich auf unser Wiedersehen,
auf das Großreinemachen mit meinem Tinchen,
und bin in festlicher Erwartung
Dein getreuer Bruder
Michael."
Clemence hielt ihrem Bruder viel zugute, sie
kannte ihn ja. Aber das ging ihr über alles erlaubte
Maß. Er war verbohrt und verbauert. Im engen
Kreis verengert sich der Sinn, er war also vielleicht
-lM 24
dazu verurteilt, es zu sein; aber das gab ihm kein
"Recht, seine Beschränktheit für Tugend, weiteren
Blick für Verbrechen zu halten, um in solchem
Dünkel beleidigend zu werden.
Zudem, sie war fünfunddreißig Jähre. Welch
Recht maßte er sich an, ihr Vormund zu sein?
Wirbelnd ins Blut aber schoß ihr das Wort von
„Deinem nichtsnutzigen Assessor". Das war eine
Frechheit, die sie sich und ihrem Manne nicht bieten
ließ. Jetzt sollte Michael sie auch kennen lernen.
Armand durfte natürlich von diesem Briefe
kein Wort wissen. Wozu ihn, den Wehrlosen,
kränken lassen, er hatte genug ihr zuliebe hin-
genommen. Sie dankte es ihm immer wieder
cm stillen. Die Begegnung im Februar durfte
überhaupt nicht stattfinden. Michael war und
blieb ein Flegel. Also mied man ihn.
Sie sann. nach.
Das Klavierspiel hatte aufgehört, Armand mochte
sie vermissen. Sie schloß Michaels Brief fort und
kehrte in den Salon zurück.
„Armand," sagte sie innig, sich in seinen Arm
hängend, „weißt du, wozu ich diesmal eine wahre
Sehnsucht Hütte?"
„Nein, Schatz, wie soll ich das ahnen!"
Phot. A. Grohs, Berlin.
Der kriegshafen von 6enug. (5. 526)
„Den Karneval am Rhein möchte ich einmal
sehen."
„Wenn es weiter nichts ist — machen wir!"
„Aber vom ersten Geigenstrich an und aus-
kosten."
„Soll geschehen. Also, von wann?"
„Von Anfang Februar, wenn dir's recht ist."
„Natürlich ist mir's recht, und Arnulf beurlaubt
uns — was?"
„Ach ja — Arnulf!" — Sie wurde verlegen.
Einen Augenblick hatte sie ihren Sohn vergessen
können.
„Da es Mama Freude macht, selbstverständlich.
Es sinä ja auch nur ein paar Wochen."
„Also alles in Ordnung!" schloß Armand. —
Michael bekam eine kurze Antwort:
„Lieber Bruder!
Auf Deinen Brief gehe ich nicht ein. Er ist mir
zu grob und zu unverständig. Deine Bevormundung
verbitte ich mir ein für allemal, und Dein Kopf-
wäschen hat keinen Zweck.
Clemence."
Auch noch „Clemence" unterzeichnete sie. Mochte
er sich ärgern!
16.
Michael Theiner war in der Tat wütend.
Eine solche Auflehnung Tinchens ließ ihn starr
werden. Aber er kannte seine Macht. Die Weiber
blieben ewig unmündig, und das war gut so, denn
sie sollten sich um Strickstrumpf und Kochtopf
kümmern. Dort gab es reichlich für sie zu tun,
und dort waren sie nun einmal unersetzlich.
Das Weib in seinem Kreise ließ er gelten. Was
darüber hinauswollte, war ihm ein Sünder an
Welt- und Menschenordnung. Wieviel Mannes-
egoismus in dieser brutal rückständigen Auffassung
steckte, wußte er gar nicht. Egoist in diesem Sinne
war er immer gewesen, es lag sozusagen in seinen:
Blute, und Adelheid, seine ihm fürs Leben angelobte
Gefährtin, konnte ihm keine höhere Meinung bei-
bringen. Die wimmerte sich durch den Tag, lehrte
die Mädchen und wehrte den Knaben sehr unvoll-
kommen, aber man verlangte nicht mehr von ihr.
Sie blieb ein lebendes Beispiel für die natur-
gesetzliche Unterordnung des Weibes unter den
Mann — und war so auf Hägershof ganz am
Platze.
Daß in Michaels Schwester sein Blut, sein eigen-
sinniges Selbständigkeitsgefühl, Pochte, bedachte er
nicht, hätte es auch einfach nicht gelten lassen.
Wollte sie das alles dürfen, so Hütte sie eben als
Junge auf die Welt kommen müssen. Er konnte
nichts dafür, daß sie ein Mädel geworden war und
brauchte dies ihr Schicksal nicht zu verantworten.
Das ist die Stellung vieler Männer, und sie
kommen sich dabei wie wahlberechtigte Hüter der
Zucht und der Ordnung auf Erden vor. Wer nicht
nachdenkt, ist bedenkenlos. Sie sind in ihrer Art
dabei sogar wohlmeinend.
So war er denn wütend gewesen über den
kurzen Brief, der für ihn Aufruhr und Hochverrat
bedeutete. Aber auf weitere Schreiberei würde
er sich nicht einlassen. Er liebte briefliche Ausein-
andersetzungen sowieso nicht, und hier vergab er
sich mit jeder solchen etwas.
Mochte die Sache bis zur Landwirtschaftlichen
Woche bleiben. Bei dieser kam dann schon der kurze
und gründliche Prozeß.
Und nun das!
Nun wurde er noch viel wütender.
Daß die Jalousien des Hauses geschlossen waren,
als er dort vorfuhr, hatte er nicht beachtet. Auf
der Straße zankteu gerade zwei Rollkutscher nm
jener Rückhaltlosigkeit des schnoddrigen Berliner-
tums, das in ihm verwandte Seelenklänge nach-
schwingen ließ. Wenn einer dem anderen versprach,
er werde ihm auf den Schädel schlagen, daß er
Plattfüße bekäme, so amüsierte ihn, den Zuhörer,
das nachhaltig, und er schmunzelte noch, als er die
Treppe hinaufstieg und die Flurglocke erschallen ließ-
Dort klirrte die Kette, und aus der Türspalte
erkundigte sich ein zerzauster Mädchenkopf nach
seinem Begehr.
Ob die Herrschaften daheim wären?
„Nee, natürlich nich, wenn man in Köln znns
Maskenball muß, kann man nich in Berlin sein!