Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

DOI Heft:
Heft 27
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0585
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
588

Das Luch für' Mle

lM 27

sonst da drin kein Wort sprechen können. Etwas
Aufregung kam ja auch noch dazu.
Endlich fühlte sie das Herz ruhiger pochen, die
beklemmende Hitze nachlassen. Ein Gedanke an
Michael — das war in letzter Zeit ihr Halt, und sie
läutete.
Die Tür öffnete sich spaltbreit, und in dem Spalte
kam ein Frauenkopf zum Vorschein — mißtrauisch
und vorsichtig.
Clemence stand mit dem Rücken nach dem Trep-
penfenster, und der Schleier ließ das beschattete Ge-
sicht noch undeutlicher werden.
Die Späherin fragte: „Wen sucht die Dame?"
„Frau Leitner," klang's zurück.
Bei dem Tone der Stimme trat in das Gesicht
am Türspalt eine eigentümliche, suchende Span-
nung. „Das bin ich selbst."
„Und ich bin Frau Clemence Leske. Ich denke,
jetzt erkennen wir uns beide -—"
Die Tür flog zurück, und zwei Hände streckten sich
dem Gaste entgegen: „Sie kommen einmal zu mir,
gnädige Frau — oh, welche Ehre!"
Die Freude war unecht, ein Unterklang der Sorge
übertönte den Jubel. Hier war etwas nicht in Ord-
nung, diese einstige Herrin heischte Auskunft, wenn
nicht Rechenschaft. Das böse Gewissen ist immer
hellhörig.
Clemence nahm keine der entgegengestreckten
Hände, sondern sagte kühl: „Guten Tag, Frau
Leitner. Ich wollte Sie um eine kleine Gefällig-
keit bitten —"
„Natürlich stehe ich mit großem Vergnügen zu
Diensten. Was ich irgend kann, soll geschehen.
Haben Sie die Güte, gnädige Frau, einzutreten."
Clemence schritt über die Schwelle. Wie pe-
dantisch sauber es hier aussah! Einfach, sehr einfach,
aber in peinlicher Ordnung, und der Tür gegenüber,
auf prahlerischer Einzelkonsole, stand die venezianische
Vase. Vom Fenster her fiel gerade das Sonnen-
licht auf die Pracht des Schliffs, und das zierliche
Gefäß glühte wie der heilige Gral.
Frau Leitners Blicke folgten denen ihres Gastes.
„Himmlisch, gnädige Frau! Zu dieser einen Stunde
ist es einfach himmlisch, wenn die Sonne kommt!
In der Woche sieht's mein lieber Gotthard nicht,
aber am Sonntag sitzt er vom ersten bis zum letzten
Strahle und staunt. Dann denken wir auch an Sie,
die gütige Geberin —"
„Wenn Ihnen die Gabe eine Freude macht, ist
mir's lieb, aber —"
„Aber Sie wünschten etwas von mir, gnädige
Frau? Darf ich bitten Platz zu nehmen."
Sie wies auf das braune Ripssofa, .und Cle-
mence folgte der Einladung.
Walli Leitner nahm auf einem Sessel daneben
Platz und faltete erwartungsvoll die Hände im Schoß.
Ihre Augen hatten ein mühsam unterdrücktes Fragen
und Harren.
„Mein Mann —" begann Clemence und stockte
schon nach diesen zwei Worten.
Walli half über die Pause weg. „Oh, der Herr
Gemahl? Ich vergaß ganz, nach ihm zu fragen. Er
befindet sich wohl — nicht wahr?"
„Mein Mann ist zurzeit verreist. Ich hoffe, daß
es ihm gut geht. Übrigens betrifft es ihn und Sie,
Frau Leitner, wenn ich hier bin."
Eine leichte Blässe flog über das inzwischen noch
spitzer gewordene Gesicht, das sich jetzt zu einem ver-
bindlichen Lächeln zwang. „Ich könnte sagen, ich
sei überrascht, aber Sie wissen, ich habe seinerzeit
für den Herrn eine so aufrichtige Bewunderung
empfunden und aus ihr kein Hehl gemacht, daß es
wohl begreiflich ist, wenn man uns nebeneinander
nennt."
„Das ist es. Um diese Beziehungen handelt es
sich."
„Beziehungen?"
„Ja."
„Ich höre wohl nicht recht! Das bloße Wort ist
schon eine Undenkbarkeit."
„Es war bis vor zwei Stunden auch mir eine
Undenkbarkeit, Frau Leitner, aber jetzt ist es ein
Problem geworden, das ich zu lösen entschlossen bin.
Deshalb kurz und bündig die Frage: Welche Be-
ziehungen hat es zwischen Fräulein Walli Fein-
schmidt und dem Assessor Leske gegeben?"
„Gnädige Frau!"
Die Entrüstung war nicht gemacht. Mit weib-
lichem Instinkt fühlte Clemence das und lenkte ge-
schickt ab.
„Sie geben dem Worte eine falsche Auslegung,
Frau Leitner. Es mag vielleicht die übliche sein,
ich aber frage ganz im allgemeinen: Welche Be-
ziehungen hat es zwischen Ihnen beiden gegeben?"
„Keine!" erklärte Walli scharf und energisch.
„Sie kennen meine Ergebenheit, gnädige Frau,
aber so weit geht sie nicht, daß ich mich von Ihnen
beleidigen lasse."

„Keine Beziehungen? Und wofür hätten Sie
dann Bezahlung erhalten, hohe Bezahlung sogar,
Frau Leitner?"
Wallis Augen wurden groß, ihre Finger krallten
sich in den Rips des Sessels. „Bezahlung--
Bezahlung!" stotterte sie tödlich verlegen. „Gnädige
Frau! — O mein Gott, was soll ich sagen?"
„Die Wahrheit, die volle Wahrheit, denn ich gehe
der Sache auf den Grund. Schonungslos. Ich rufe
die Gerichte an, und Sie kommen zum Eid, wenn
wir uns nicht hier friedlich und entgegenkommend
einigen. Soll ich von Schecken sprechen, soll ich noch
deutlicher werden?"
Clemence hatte sich ihren Feldzugsplan vorher
zurechtgelegt, Wort für Wort bedacht. Sie war mit
sich zufrieden und manchmal selbst erstaunt, welche
Energie in ihr steckte. Die mußte in ihr geschlummert
haben, ein Stück Verwandtschaft mit Michael, ein
nngehobener Schatz des Willens und Könnens, weil
sie bisher feiner nie bedurft hatte. Jetzt kam es mit
einer ungeahnten Zuversicht über sie. Wie ein Feld-
herr überschaute sie das gewonnene Terrain.
Walli Leitner fragte zitternd: „Von Schecken?
Der Herr Assessor hat gesprochen? Warum sagt er
dann nicht alles, warum soll ich da noch in ein Be-
kenntnis hineingezogen werden? Er ist doch an
allem schuld, von dem Sektgelage an — an allem!
Es ist leicht, arme Leute mit Geld zu kaufen, die
Reichen sind die Gewissenlosen! Wenn Sie alles
wissen, gnädige Frau, um Himmels willen, weshalb
wollen Sie mich noch vernichten? Ein Fleckchen
Glück im Leben habe ich mir gerettet, vielleicht auf
einem kleinen Umweg, aber ich hab' es nun, und ich
geb's nicht her, ich wehre mich!"
Clemence jubelte im stillen. Die Angst hatte red-
selig gemacht. So viel hatte sie nach stundenlangem
Verhör nicht zu erlangen gehofft, wie ihr die erste
Minute bescherte.
„Ihr Fleckchen Glück sollen Sie behalten, wenn
Sie mir rückhaltlos erzählen, wie alles kam, wie Sie
mich betrogen, denn von einem Betrug —"
„Aber Sie wissen doch alles schon von ihm? Wozu
soll dann ich —"
„Um festzustellen, wer jetzt noch zu lügen versucht."
„Ich nicht, ich ganz gewiß nicht! Wenn ich mir
mein bißchen Glück auf Erden sichern kann, will ich
alles sagen."
„Es soll Ihnen gesichert bleiben, ich schwöre es
beim Leben meines Sohnes!"
Tief, wie aus Erlösung, atmete Walli auf. „Dann
kann ich reden. Denn, gnädige Frau, ich bin ver-
loren, wenn Sie mir das nicht gelobten. Mein
Mann ist der beste, treuste und gutmütigste Mensch,
als Darlehen wollte er's damals nur, und ich habe
meine Mühe gehabt, ihn zu überzeugen, daß es ein
Kauf sei, ein richtiger Kauf, für den das Geld sein
ehrlich erworbenes Eigentum wurde. Den Über-
schuß würde er als Erpressung angesehen haben, und
ich gab ihn deshalb als mein Erbe von einer Ver-
wandten aus. Wir brauchten es, um uns dies kleine
Heim zu bauen. Nun haben wir's, nun dürfen Sie
es uns nicht nehmen! Mein Mann aber schlüg's in
Trümmer und jagte mich vor die Tür, wenn er
wüßte, wie ich's bekam!"
Clemence lauschte begierig. Manches verstand
sie noch nicht, aber Spuren boten sich überall. Ihnen
brauchte sie nur Schritt für Schritt nachzugehen.
„Bisher stimmt alles," sagte sie, „und ich schwöre
Ihnen nochmals, wenn Sie mir rückhaltlos die Wahr-
heit sagen, werde ich dafür sorgen, daß Ihnen selbst
nichts geschieht, daß Ihr Mann nichts erfährt. Er
ist doch nicht hier?"
„Bewahre, gnädige Frau! Er sitzt in seinem
Bureau und kommt erst nach Stunden zurück."
„Nm so besser. Also, die Wahrheit — der Reihe
nach! Ich prüf' es nach."
Sie öffnete ihr Handtäschchen, nahm aus diesem
ein kleines Buch und aus dessen Blättern den blauen
Scheck.
Wallis Augen hafteten an dem Schein. Ob und
wie Clemence in dessen Besitz gekommen war, blieb
ihr zu enträtseln weder Nachdenken noch Ruhe. Der
Scheck war da und jedes Leugnen Gefährdung für
sie selbst.
„Wie hoch war der Scheck?" fragte Clemence.
„Fünftausend Mark."
Clemence hielt die Augen auf das Blatt gesenkt,
das war ein unvorhergesehenes Glück für sie, denn
sonst würde Walli Leitner ihr lebhaftes Befremden
nicht entgangen sein. Rasch folgte die übereifrige
Aufklärung der Verhörten, die sich entlasten zu
können meinte.
„Das heißt, gnädige Frau, davon ging die fällige
zweite Rate ab, sie betrug, glaube ich, über fünfzehn-
hundert Mark."
Clemence las ab: „Fünfzehnhundertdreiundsech-
zig Mark, fünfzig Pfennig."
„Ganz recht, gnädige Frau. Oh, Sie wissen

also auch das! — Ich will ja die ganze Wahrheit
sagen, nichts will ich verschweigen, wenn Sie mir
nur verzeihen!"
„Das habe ich Ihnen unter dieser Bedingung
zugesagt. Mso, gehen wir einmal der Zeit nach.
Wie und wo fing es an, das — das Abkommen mit
meinem Manne?"
„Ahnungslos war ich! Der Versucher ist zu mir
gekommen, damals im Gartenrestaurant von Kisten-
macher."
„Wie konnte er Sie finden?"
„Das weiß ich nicht — bei meiner Seligkeit, das
weiß ich nicht und habe auch nachher nie gefragt."
„Weiter!"
„Zu reden wußte er, so herrlich nach dem Munde
zu reden, zu schmeicheln, zu blenden — aber, gnä-
dige Frau, das kennen Sie ja."
Hart und rauh wie ein Urteilspruch klang es:
„Das kenne ich! Weiter!"
„Ein feines Abendbrot spendete er und Sekt. So
liebenswürdig, so freundschaftlich — und kein Wort
fiel, daß er mich, daß er uns, nein —- nur mich
brauchte — und mein Bräutigam hatte Schulden,
so daß wir an eine Heirat nicht denken konnten! Da,
in der Sektlaune gingen wir darauf ein, daß ich bei
Ihnen für des Herrn Assessors Werbung nachhelfen
möchte, so gut ich könnte. Und das habe ich dann
getan —"
„Das haben Sie getan! — Weiter!"
„Aber gnädige Frau, ich habe Ihr Glück gewollt
und Ihrem Glücke zu dienen geglaubt. Der Ver-
lockung habe ich ja nachgegeben und an mich gedacht,
aber daß Sie dabei glücklich würden, glaubte ich auch!
Und nun —"
„Und nun?"
„Ist das aus! Lassen Sie sich scheiden! Sonst
würden Sie ja nicht zu mir kommen, mir alles das
sagen und mich fragen!"
Wie eisig diese Worte die Hörerin anmuteten.
Gewiß hatte sie den Gedanken erwogen, als sie heute
früh des schnöden Vertrauensbruches inne wurde,
den Armand an ihr begangen hatte, aber ein stilles
Geheimnis ihres Herzensunglücks war es gewesen.
Und nun sprachen fremde Lippen es laut und
schonungslos aus.
Scheiden! Also so weit war's! — Sonst würde
sie nicht zu dieser Fremden kommen, ihr nicht alles
das sagen, sie nicht so fragen! Also, unwiderruflich
war's? Beschlossene Sache?
Im aufwühlenden Grimme ihrer Seele tat es
ihr einen Augenblick Wohl, mochte der Bruch un-
widerruflich sein, wo das Vertrauen fehlte, gab es
keine Liebe mehr, und er hatte sie damals mit List,
mit Geld erschlichen. -— Und da! Ein Gedanke
flammte auf: Vielleicht doch aus Liebe, vielleicht
war nur eben diese Liebe so besinnungslos toll ge-
wesen, daß sie alle Mittel gelten ließ. Gab es dann
nicht doch noch ein Verzeihen?
Laut sagte sie: „Ich rechte jetzt nicht mit Ihnen,
Frau Leitner, ich will nur die Wahrheit über das,
was geschah."
„Aber wenn Sie sich scheiden lassen, wenn die
Sache vor Gericht kommt, werde ich unter Eid ver-
nommen, Sie drohten mir das vorhin schon an
und —"
„Das drohte ich bei dem geringsten Versuche des
Leugnens. Bis jetzt haben Sie diesen Versuch nicht
unternommen, und wenn Sie weiter bei der Wahr-
heit bleiben, werden Sie auch bei etwaiger Scheidung
nicht behelligt werden."
„Dann ist's gut!"
„Was taten Sie für das Geld?"
„Des Bewerbers Partei nahm ich, wenn Sie
mir Gelegenheit gaben, gnädige Frau, und anfangs
hatten Sie so viele Bedenken —"
„Ja, Sie nahmen seine Partei! Ich hatte nie-
mand sonst als Sie und ließ mir von Ihnen meine
Bedenken ausreden. Weiter!"
„Die Lektüre wählte ich —"
„Und wie durchtrieben — ich denke noch daran!
Oh, wie durchtrieben!"
„In telephonischer Verbindung blieb ich mit ihm
und meldete unsere Spaziergänge. So kam es, daß
er uns immer traf."
„Das Schicksal!" Bitter sagte sie es für sich, im
Selbstspott.
„So auch beim Schlosse Bellevue. Er hatte ver-
langt, daß ich daheim blieb — ich mußte mich krank
melden."
„Ah!"
Walli Feinschmidt also war die Vorsehung ge-
wesen, der sie sich nicht widersetzen durfte, ohne das
Schicksal zu erzürnen. Umgarnt von Lüge war sie
gewesen! Und nichts hatte sie geahnt! Vertrauens-
voll hatte sie an Gott, an ihr Herz geglaubt, wo Men-
schen sie gängelten, wie sie wollten!
„Gnädige Frau, als Sie dann zurückkamen und
so frisch und froh waren —"
 
Annotationen