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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 27
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0586
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Heft 27 i
„Lassen Sie das! Und für diese Dienste bezahlte
mein Mann. Wieviel? Ich will auch da feststellen,
ob Sie rückhaltlos aufrichtig sind."
„Die Schulden meines Bräutigams. Sie be-
trugen über dreitausend Mark. Die Summe, die
Sie, gnädige Frau, vorhin nannten, war die Hälfte.
Die eine Hälfte sollten wir gleich, die andere am
Hochzeitstage erhalten."
„Auch das stimmt, denn der Scheck ist auf meinen
Hochzeitstag ausgestellt. Und nun das Letzte. Wie
wurden aus den fünfzehnhundert die fünftausend?"
Walli Leitner kämpfte schwer mit sich und brach
in Tränen aus.
Clemence ließ sie mit ihren Gefühlen fertig
werden. Nur wie beiläufig fragte sie: „Und haben
Sie niemals Gewissensbisse gehabt?"
Wie seltsam das zusammentraf! Die tränen-
feuchten Augen leuchteten in einem Trostschimmer.
„Ja, gnädige Frau, und gerade dadurch kam es so
mit den fünftausend! Am Hochzeitstage. Sie
waren in der Kirche, und ich befand mich in schreck-
licher Aufregung. Wenn Sie nicht glücklich werden
sollten, würde ich keine ruhige Stunde mehr haben,
sagte ich mir, und noch in diesem letzten Augenblicke
könnte ich mich Ihnen zu Füßen werfen und alles
bekennen. Wäre dann Ihre Liebe echt und groß
zu dem Verlobten, dann würden Sie über mein Vor-
gehen Hinwegkommen, meinte ich. Der Herr
Assessor kam, und ich sagte ihm, wie mir zumute
war und was ich wollte. Da zog er das Scheckbuch
hervor und schrieb zunächst die Restsumme auf ein
Blatt. Als ich aber bei meinen Gewissensängsten
beharrte, schrieb er fünftausend, und dieser Ver-
führung bin ich erlegen! — So ist's gewesen, gnä-
dige Frau."
„So wurde ich also verkauft!"
Eine lange, bange Pause verstrich.
„Und Sie werden Ihr Wort halten, gnädige
Frau?" begann Walli endlich. „Sie haben es mir
ja geschworen — beim Leben Ihres Sohnes!"
„Ich werde mein Wort halten."
„Ich komme nicht vor Gericht?"
„Nein!"
„Mein Mann erfährt nichts von den fünftausend
Mark?"
„Nein!"
Da faßte Frau Leitner nach Clemences Hand
und beugte sich auf sie herab. „Gottes Segen über
Sie für diese Großmut!"
Clemence zog die Hand fort. „Lästern Sie
Gottes Namen nicht — lassen Sie mich!"
Damit ging sie.
23.
Als Clemence nach Hause kam, schickte sie sofort
einen Rohrpostbrief an Arnulf.
„Ich erwarte Dich zu einer wichtigen und dring-
lichen Aussprache. Telephoniere mir, wann sie
stattfinden kann."
Und am Nachmittage schrillte die Glocke des
Fernsprechers. Clemence hatte sich niedergelegt,
fand aber keine Ruhe und fuhr hastig auf.
Arnulf fragte: „Um Gottes willen, Mama, du
bist zurück und willst mich sprechen! Was ist ge-
schehen? Bist du kränker geworden? Ist in Hägers-
hof etwas passiert?"
„Nichts. Es betrifft eine Angelegenheit zwischen
dir, Papa und mir. Wann kommst du?"
„Heute abend noch, und ich wäre schon früher
gekommen, wenn ich gewußt hätte, daß ich dich traf,
denn auch ich wünschte eine Aussprache mit dir. In
derselben Sache."
„Um so besser! Wann kommst du?"
„Gegen acht Uhr. Wird Papa an der Unter-
redung teilnehmen?"
„Nein — er ist verreist."
„Seit wann?"
„Seit gestern. Aber über all das mündlich!"
„Gut, ich komme!" —
Es war genau acht Uhr, als Arnulf eintraf. Er
sah blaß aus. Sein Blick war unstet, und seine ganze
Haltung hatte etwas Fahriges. Seine Nachtruhe
war schlecht gewesen. Immer wieder hatten ihn
schwere Ängste und Zweifel aufgeschrcckt, was er
tun solle. Seit Wochen hatte er die Mutter nicht
mehr gesehen und von dem Vater immer nur gehört,
sie kränkele ohne Gefahr, sei mißlaunig und brauche
Schonung, Ruhe, Einsamkeit. Ob Armand Leske
Mutter und Sohn planmäßig einander ferngehalten
hatte? Arnulf kam jetzt, da er den Stand der väter-
lichen Angelegenheiten kannte, immer mehr zu der
Überzeugung, daß das der Fall sei, und wollte nur
die Rückkehr der Mutter aus Hägershof abwarten,
um sie aufzusuchen. Dann mochte es sich entscheiden,
ob sie die Wahrheit vertrüge oder nicht, ob er aus
Rücksicht auf die Kranke zum Lügner, zum Mit-
schuldigen werden müsse.
Diese Erwartungsqual hatte schwer auf ihm ge-

— Vas Luch für Mle —
legen. An Onkel Michael hatte er gedacht und dort
Rat einholen wollen, aber dessen rauhe Art kannte
kein Erbarmen. Der würde zupacken mit feinen
harten Fäusten, ohne zu fragen, was sie zerbrächen.
Vom väterlichen Zartsinn aber lebte in Arnulf zu
viel. So auf eine Karte das Schicksal der Mutter
zu setzen, vermochte er nicht, und deshalb wartete er
mit bangender Seele.
Als er die Mutter nun im Arme hielt, schien es
ihm mehr, viel mehr, als ein Wiedersehen nach
Wochen — ein Lebenswiederfinden.
Clemence bemerkte die heftige Erregung des
Sohnes und fand sie unerklärlich. Noch wußte er
ja, wie sie meinte, nichts.
„Gott sei Dank, Mama," begann er, „daß du da
bist. Ich brauche dich —"
„Du mich? Ich rief dich, weil ich dich brauchte! —
Komm!"
Und sie zog ihn neben sich. Wieder saßen sie bei-
einander wie damals, als sie ihm unsicher und zögernd
von der Änderung ihrer Lebensverhältnisse sprach,
ihm, dem Fünfzehnjährigen. Das war nun sechs
Jahre her. Er war älter, reifer geworden, und sie
hatte nach ihrem Gefühl so Schicksalsvolles erlebt,
daß es ihr seitdem ebensoviele Jahrzehnte zu sein
schienen. Aber jener Vergangenheitstunde dqchte sie.
Er wußte nicht, wie er am besten begänne, und
sagte sondierend: „Dich betrifft es also, Papa und
mich?"
„Ja."
„Er ist verreist? Wohin?"
„Nach Lothringen zu den Verrisons. Was er
dort will, weiß ich nicht. Während ich noch fort war,
ist er abgereist mit Hinterlassung dieser Zeilen."
Sie zog den Brief hervor, und er las ihn. Dabei
betrachtete sie sich das müde, bleiche Gesicht, das sie
kaum wiedererkannte.
„Du siehst schlecht aus, Arnulf!" sagte sie besorgt.
Er wich aus: „Wir wollen nicht von mir reden,
Mama, oder wenigstens jetzt noch nicht. Nachher
komme ich dran, und ich habe dir auch einiges zu er-
zählen. Wir waren bei der Abreise Papas, und
seinetwegen hast du mich gerufen."
„Ja, das habe ich. Du stehst sehr zärtlich mit
Papa. Ihr seid Freunde geworden — nicht wahr?"
„Liebe Mama, laß mich die Bitte wiederholen:
Jetzt nichts von mir! Wie ich mit Papa stehe, will
ich dir berichten, wenn du dich ausgesprochen hast."
„Aber vielleicht ist es bestimmend für den Grad
meiner Freiheit der Aussprache, wenn ich es vorher
weiß."
„Nun denn, ich glaubte, in ihm einen älteren
Freund zu besitzen. Er selbst hatte mir dieses stolze
Verhältnis angetragen. Ich glaube es nicht mehr,
ich weiß vielmehr heute, daß dieses Vertrauen zu
ihm bei mir tot und begraben ist."
Clemence nickte trübe. Wieder fiel ihr ein, wie
sie damals mit dem Sohne gesprochen hatte, als ihr
sein Empfinden für den Bewerber die letzte Ent-
scheidung sein sollte. „Du hast dich getäuscht — da-
mals, als ich dich fragte, ob ich mein Leben mit dem
dieses Mannes verbinden dürfte. Aus Liebe zu mir
hast du dich getäuscht! Getäuscht, wie ich mich selbst!"
„Mama!"
„Ja, mein Sohn, dir das zu sagen und es dir
dann zu begründen, rief ich dich, und nun scheint es,
wir sind in der gleichen Lage. Ohne Rückhalt, wie
ich damals mit dir sprach, will ich es auch heute tun,
die Enttäuschten gehören heute zusammen, wie vor
sechs Jahren die Gläubigen. Ich bin verkauft und
betrogen worden!"
Er hielt ihre Hand fest. „Mama, du bist leidend.
Wenn du es nicht verträgst —"
„Ich vertrage es, Arnulf. Seit ich weiß, wie die
Dinge stehen, bin ich stärker, fester geworden als je.
Zweifel und Unklarheit sind es, die uns Menschen
in tiefster Kraft untergraben. Ist man mit ihnen
fertig, dann wird man gesund. Ich fühl's, daß ich
genese. Daß ich dich endlich wieder bei mir habe,
fördert die Genesung, die in Hägershof begonnen
hat. Onkel Michael und ich sind einig, ganz einig.
In der Form Weichen wir ab, in der Auffassung nicht
mehr."
Nachdenklich meinte Arnulf: „Auch ich habe ihm
viel abzubitten. Er war klug und ich selbst ein —"
Er sprach das Wort nicht aus. Sie wußte ja
nicht, daß er den weltklugen, urwüchsigen Groller
von Hägershof einen Esel genannt hatte.
Dann fuhr er fort: „Gottlob, Mama, daß ich
dich so gefaßt, so entschlossen finde! Jetzt werde
auch ich reden dürfen. Aber zuerst sage du mir, was
ich wissen muß. Verkauft und betrogen — von
wem?"
Clemence erzählte von ihren Herzenszweifeln,
von Walli Feinschmidts listiger Beeinflussung, von
Armands schnödem Spiel und ihrer eigenen törichten
Eitelkeit, die es ihm so leicht gemacht hatte. Wieder
war es nicht der Sohn, sondern der vertraute Be-

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rater, dem sie ihr Herz öffnete, und jetzt war dieser
Berater selbst durch sein Leben und Erleben gereift.
In bitterer Aufrichtigkeit schloß sie: „Nicht mich,
sondern mein Geld begehrte er, und die Erkenntnis
ist schrecklich für eine Frau von Ehre und Selbst-
achtung, sie ist die härteste Strafe, die Eitelkeit je-
mals erleiden kann. Glaube es mir, auch wenn du
es nicht selbst zu fühlen vermagst."
Er hob den gesenkten Kopf und sagte fest: „Ich
glaube es nicht nur, ich brauche es nicht nur nach-
zufühlen, Mama, ich weiß es!"
„Du weißt es?"
„Ja, Mama, um dieser Wissenschaft willen suchte
ich dich, um dieser Wissenschaft willen bin ich mit
meinem Glauben an den ,väterlichen Freund" zer-
fallen. Ich weiß es, daß er ein Freibeuter ist, der
uns beide getäuscht hat, ein Glücksritter und nichts
sonst! Ich danke Gott, daß ich dich so finde, um dir
nun alles sagen zu können. Du bist nicht nur in
deinen Empfindungen betrogen, du bist es auch
materiell."
„Wie meinst du das?"
„Du hast dem, den du liebtest und dem du ver-
trautest, Vollmacht über dein Vermögen gegeben?"
„Dies Vertrauen ist schwer getäuscht worden.
Dein Vermögen ist aufs schwerste gefährdet."
„Arnulf, woher weißt du das?"
„Ich habe das Bekenntnis von ihm selbst. Und
mich wollte er zu einer Schurkerei verleiten, die mir
endlich völlig die Augen geöffnet hat."
Clemence hatte sich gefaßt. „Mein Vermögen
schwer gefährdet? Mag's so sein. Es wäre das
ärgste nicht. Vorhin, ehe du kamst, war ich zu Plänen
gekommen, die mir meinen Besitz so nichtig machen,
so gleichgültig! Ich habe die Welt da draußen über-
schätzt. Das Beste an ihr bleibt das, was man Hei-
mat nennt. Erst im Vergleich hab' ich's erfahren.
Mit Onkel Michael bin ich klar, ihm kann ich nützlich
sein, des Bruders Rauheit werde ich ertragen, seit
ich weiß, wie treu und verläßlich sie in all den Lügen
des Daseins ist. Hägershof aber ist das Stück Erde,
das ich Heimat nenne! Wozu da Geld! Mag er's
gefährdet haben — er hat mehr in mir gefährdet!"
„Nun gut, Mama, ich finde dich freier und stärker,
als ich zu hoffen wagte. So will ich dir die volle
Wahrheit sagen: Dein Vermögen ist — verloren!"
Sie erschrak nun doch. „Alles verloren?" fragte
sie beklommen.
„Alles."
„Ich habe wertvollen Schmuck. Ich werde ihn
verkaufen und mein Taschengeld von den Zinsen
haben."
„Liebe Mama, vor allem bin ich doch da, und in
vier Wochen verfüge ich selbständig."
„Also wäre ich ohne Sorge. Was mich jetzt be-
schäftigt, ist der einzige Gedanke: Wie breche ich eine
unwürdige Kette! Wenn er mein Vermögen ver-
geudete, bin ich nicht ohne Schuld. Torheit war's,
ihm das Recht und die Macht zu geben, mich zu
schädigen."
„Das weiß er, darauf beruft er sich!"
„Daran zweifle ich keinen Augenblick." Ihr
Sinnen kehrte plötzlich zu einem Worte zurück, das
vorhin nur wie ferner Schall an ihr Ohr geschlagen
hatte. „Aber Arnulf, was war das von der Schur-
kerei?"
Er trommelte mit der Hand auf dem Knauf des
Säbels, der ihm im Schoße lag. „Na ja — also
ganze Arbeit! Papa —- der Mann, von dem wir
in dieser Stunde sprechen, hat nicht nur dein ganzes
Vermögen in Spekulationen verloren, sondern auch
Depotscheine versetzt."
„Depotscheine von was?"
„Von Kapitalien, die ihm nicht gehörten, sondern
mir. Gelder, über die ich in wenigen Tagen ver-
fügen sollte. Dir als Nutznießerin war ein Teil
dieser Depotscheine anvertraut. Mit deiner von ihm
eigenmächtig überschrittenen Vollmacht hat er sich
darauf Geld verschafft und auch das verschwendet.
Mich aber wollte er bewegen, selbst zum Wucherer
zu gehen, damit man die Depotscheine einlösen und
bei der Regelung des Nachlasses vorlegen könne."
„Das ist —"
„Das ist Betrug! Reif für staatsanwaltliches
Eingreifen. Aber er wußte, daß wir es zu diesem
Ärgernis nicht kommen lassen würden, er fühlte sich
sicher —"
„Mein Gott, Arnulf, das hat er getan?"
„Ich weiß es von ihm selbst, so viel Ehre seines
väterlich-freundschaftlichen Vertrauens erwies er
mir, als die Erbschaftsregelnng heranrückte und er
nicht mehr ein und aus wußte!"
„Und was hast du geantwortet?"
„Nichts Entscheidendes, Mama, weil ich an dich
dachte."
„An mich?"
„Ja, wenn dein Herz noch an ihm hing, hätte ich

XXVII. ISIS.
 
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