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Bickell, Ludwig [Hrsg.]
Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel (Band 1): Kreis Gelnhausen: Textband — Marburg, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.13326#0155

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Birstein.

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Plänen und unter der Leitung des hanauischen Baudirektors und Stuckmajors Herrmann durch einen Neubau
ersetzt werden musste, welcher noch vorhanden ist. Am 11. Juni 1733 wurde „mit Procession und Ceremonien
in dem geplatteten Höfchen" der Grundstein gelegt. Die Akten des Archive« wurden während des Baues mit
dem Verwaltungssitz nach Offenbach gebracht, und nur die wichtigsten Urkunden in dem dazu hergerichteten
Rondel VI aufbewahrt. Der Kanzleibau hat den aus dem Situationsplan Tab. 202, ö ersichtlichen Grundriss
im Erdgeschoss, und oben läuft ein der Scheidewand links entsprechender Corridor durch denselben. Bei aller
constructiven Tüchtigkeit und bei guten Verhältnissen sind die Formen die denkbar einfachsten. Nur das Einfahrts-
thor ist mit einer bescheidenen Pilastergliederung geschmückt, und über der Mitte des Mansardendaches erhebt
sich der durch ein niedriges Zwischengeschoss ausgezeichnete Mitteltheil mit einem allseitig abgewählten Abschluss.

Das Wachthaus von 1745.

Im Jahre 1745—47 endlich entstand das Wachthaus I, ein einstöckiger Massivbau mit Mansardendach,
in dessen Erdgeschoss nach dem Platz zu eine offene von schlichten, gedrehten Holzsäulen getragene Halle liegt.
Nach der Mediatisirung der regierenden Grafen, später Fürsten, und Auflösung der bewaffneten Macht des Landes
wurde das nun unnütze Gebäude als Sitz des neugebildeten Amtsgerichtes verwendet, für welches jetzt an der
gleichen landschaftlich bevorzugten Stelle ein Neubau in Aussicht genommen ist, welcher leider die Harmonie
des Ganzen sehr stören wird.

Der Neubau des Hauptflügels von 17 64.

In den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts müssen sich in dem alten wiederholt veränderten Haupt-
Hügel des Schlosses (H), bauliche Schäden bemerklich gemacht haben, da der Nassau-Üsingensche Baumeister
Faber in Biebrich, welcher damals das gräfliche Bauwesen besorgte, eine Reparatur des Hirschsaales für
erforderlich hielt. Sein Kostenananschlag fiel aber so gepfeffert aus, dass 1764 10.12. ein landesherrlicher Erlass
des Fürsten Wolfgang Ernst ankündigte, „dass wir gnedig gewillt sind, unser hiesiges Residenzschloss nach
und nach in einen besseren Stand zu setzen1'. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass es sich bei
Baumeister wie Bauherr nur darum handelte, ein neues zeit- und standesgemäßes „fürstliches" Residenz-
Italais an Stelle der alten malerischen, aber vielfach wegen mangelnder Corridorverbindung und enger Treppen
unbequemen Burg zu setzen.

Noch in demselben Jahr begann der Abbruch des alten Hauptbaues und die Anlage eines neuen, nach
den Plänen Faber's, obgleich weitere in dem Archiv bewahrte Projekte beweisen, dass man auch andere Künstler
zu Rath gezogen hatte.

Die Vorzüge des genehmigten Projektes liegen wesentlich in der geschickten Raumvertheilung, welche
sich für eine prunkvolle Hofhaltung eignet, während die formale Ausbildung, der plastische Schmuck desselben,
den bescheidenen künstlerischen und materiellen Kräften entsprechend, eine nur geringe ist.

Der Bau ist auf Tab. 203 im Grundriss, auf 204 in der Hauptansicht, 216 von der Seite dargestellt,
aus welchen Darstellungen sofort ersichtlich ist, dass er nie vollendet wurde, dass ihm der für die Wirkung
der Facade wesentlich breite Altan vor dem Mittelrisalit, sowie der veranschlagte sculpirte Schmuck des Giebel-
feldes fehlen, sodass seine Erscheinung jetzt eine höchst unerfreulich nüchterne ist. Das Innere bietet, abge-
sehen davon, dass die gegen den äusseren Hof um ein Stockwerk höhere Lage des inneren Hofes, die Ver-
bindung mit den alten Flügeln, und die Beibehaltung des alten Treppenthurmes (als Wartthurm) eine räumlich
befriedigende Gestaltung des Treppenhauses und Vestibüles unmöglich machte, ein charakteristisches Beispiel
des einfachen damaligen Palaststyles. Stukdecken und gut protilirte sparsam geschnitzte Täfelungen geben
den meisten Räumen eine behagliche und doch nobele Eleganz, wobei nur zu bedauern ist, dass sich von der
echten ursprünglichen Ausstattung mit Möbeln nur so wenig erhalten hat, obgleich die Rechnungen manches
Interessante anführen. Die meisten Stücke sind im Beginn des 19. Jahrhunderts durch moderne, und diese
wieder in den 80er Jahren durch imitirte oder antiquarisch beschaffte Rococomöbel ersetzt worden.

Von besonderem Interesse ist die freitragende St ein treppe, deren Construktion auf den ersten Blick
riithselhaft erscheint, aber sich vollkommen bewährt hat. Die Rechnungen lösen das Räthsel. Auf Empfehlung
des Baumeisters Faber hat der Zimmermeister Wolff von Usingen, welcher wohl schon anderwärts ähnliche

Kunststücke geleistet hatte, die Treppe für 950 fi. ausgeführt, indem er sie ganz wie eine Holztreppe mit

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