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Siebern, Heinrich [Hrsg.]; Brunner, Hugo [Hrsg.]
Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel (Band 3): Kreis Grafschaft Schaumburg: Textband — Marburg, 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.15582#0189
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Obernkirchen.

Die Stadt Obernkirchen, Sitz eines Amtsgerichts und Hauptort der gleichnamigen Klasse, liegt am Geschichte,
südwestlichen Abhänge des Bückeberges, dessen reiche Schätze an Sandstein und Steinkohle die
Haupterwerbsquelle der Einwohner sind, deren Zahl sich gegenwärtig auf 4211 beläuft. Die Lage
der Stadt ist frei und anmutig und gewährt einen herrlichen Ausblick in die hier beginnende nord-
deutsche Ebene.

Die chronikalische Überlieferung gibt unserm Ort ein hohes Alter. Ihr zufolge soll hier bereits Stift.
815 Kaiser Ludwig der Fromme eine Niederlassung von Benediktinernonnen ins Leben gerufen haben, und
Obernkirchen würde damit nicht nur die älteste Klostergründung zwischen Leine und Weser, sondern eine
der ersten klösterlichen Stiftungen auf altsächsischem Boden überhaupt sein. Als erstes Kloster der Diözese
Minden wird sie ausdrücklich von Hermann Lerbeck in seiner Chronik der Bischöfe von Minden (s. u.)
bezeichnet. Die Tradition erzählt dann weiter, daß am Tage Felicis et Adaucti, den 30. August 936, die
Magyaren auf einem ihrer Streifzüge ins nördliche Deutschland das Bethaus überfallen und verwüstet und
die meisten der Insassen, 129 an der Zahl, hingemordet hätten. Eine fromme Gräfin Merwinde habe dann
das Kloster aus ihren eigenen Mitteln wiedererbaut. (Lerbeck, Chron. ep. Mind. bei Leibniz, Scr. rerum
Brunsv. II, S. 164. — Chron. incerti auct. bei Meibom, Scr. rerum Germ. I, S. 558. — Dolle, Bibl. Schb. III,
S. 289. — Piderit S. 29 u. 188). Auch soll damals eine der heil. Maria geweihte Kapelle erbaut worden
sein (Mooyer, Mind. Sonntagsbl. 1852).

Allen diesen Nachrichten fehlt die urkundliche Beglaubigung. Gleichwohl sind die Angaben nicht
kurzerhand in das Reich der Fabel zu verweisen, zumal die Nachricht von der Verwüstung des Klosters
durch die magyarischen Horden, wenn sich auch über die Richtigkeit des Jahres streiten läßt und die
Erzählung von dem heroischen Ende einer schönen Klosterjungfrau, die den Tod der Schmach vorzog,
eine spätere Legende sein mag (vgl. Piderit, Geschichtl. Wanderungen 2, S. 38), doch mit solcher Bestimmt-
heit auftritt, daß sie schwerlich aus der Luft gegriffen sein kann, und die zudem durch die Tatsache gestützt
wird, daß in den benachbarten Stiftern, in Möllenbeck laut Eintrag im dortigen Nekrologium am 30. August
(Wigands Archiv V S. 367), das Andenken der Opfer feierlich in der Kirche begangen wurde.

Wie in vielen andern Klöstern oder klösterlichen Niederlassungen ältester Zeit scheinen auch in
Obernkirchen Männer und Weiber in Gemeinschaft sich zum Gottesdienste zusammengefunden zu haben1).
Eine eigentliche und strenge klösterliche Verfassung hat hier wie vielfach anderwärts von vornherein
schwerlich bestanden, da alle urkundlichen Nachrichten über eine regelrechte Klostergründung fehlen.
Nach der Zerstörung soll die edle Merwinde sich an dem Orte niedergelassen und auch Jungfrauen zum
Dienste Gottes um sich gesammelt haben (Lerbeck a. a. O, S. 164. Wippermann, Bukkigau S. 360).

In dieser losen Form wird die Niederlassung fortbestanden haben. Auch mag ein neues Brand-
unglück im Jahre 1150 ihr schweren Schaden zugefügt haben und so die Veranlassung geworden sein,
daß Bischof Wernher von Minden sich zu einer Neugründung entschloß. Die Urkunde, abgedr. in Erhards
Cod. dipl. II S. 105 Nr. 338, durch welche der Genannte am 10. Februar 1167 der Niederlassung festere
Form und Gestalt gab, so daß er später wohl mit Recht als „fundator loci" bezeichnet werden konnte,
betont ausdrücklich, daß schon vor der Zeit seines Priestertums in Obernkirchen ein vom bischöflichen
Stuhl in Minden abhängiges Gotteshaus bestanden habe, zu dessen Dienst ein Priester genügend gewesen sei.
Und ebenso erfahren wir, daß Nonnen daselbst schon vor diesem Zeitpunkt vorhanden waren, daß sie nur

i) Im Möllenbecker Nekrolog lautet der Eintrag: Memoria fratrum nostrorum, qui ab Ungro occisi sunt.

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