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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 23.1905

DOI Artikel:
Beck, Paul A.: Der Junggesindemarkt (das Hütkinderwesen) in Oberschwaben - ein Kulturbild, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.18110#0145

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137

Dizinger war nämlich (von 1810 bis
1813) der erste württembergische Oberamt-
mann von Ravensburg (und vorher in gleicher
Stellung zu Biberach a.d. N. in Oberschwaben
gewesen) und somit zu einem Aussprnche
wohl in der Lage »uv berufen. Er schreibt
a. a. O.: „> . . . Eine weitere Folge des
zu Anfang dieses Jahrhunderts im Oberamt
Ravensburg eingetretenen Verein-
ö d u n g ö s y st e m s war der zu Ravens-
burg stark besuchte sogenannte Men schen-
markt. Im Frühjahr waren nämlich
mehrere 100 ledige Burschen uuo Mädchen
aus dem Appenzeller Land und aus andern
benachbarten Schweizerkantonen in Ravens-
burg ') eingetroffe». 20 bis 30 der
jüngeren waren von einem ältere» Manne
angeführt worden, der sie dann für die
Frühlings-, Sommer- und Herbstzeit an
die Bauern auf dem Lande verdingte und
sie dann vor dem Winter mit dem aus-
gemachten Lohne wieder abholte und in
ihre Heimat zurückführte. Die älteren
hingegen hatten sich, und zwar öfters auf
längere Zeit, als Knechte und Mägde ver-
dingt." In der Tat weiß man vor
dem 19. Jahrhundert nichts von
d i e s e r m e rkw ür d i ge n Ers ch ei n u n g
auf dem Gebiete des Gcsinde-
wesens und davon e r st seit
ca. dem Jahre 1810; es fallen
somit das V e rein ö d ungssystem
und dieser fremde Gesindczuzug
zeitlich fa st z u s a m m c n. Wahrschein-
lich ist derselbe zur bayerischen Zeit,
d. h. solange Tirol-Vorarlberg (von 1805
bis 1815) und auch die Scebezirke Ravens-
burg - Tettnang (von 1802 bis 1810)
bayerisch waren, entstanden; vielleicht
wäre in bayerischen Amlsregistratnren noch
etwas darüber zu finden? Zwischenhinein
warfen freilich der Tiroler Freiheitskrieg
und in Verbindung damit die Vorarlberger
Insurrektion von 1809 ihre Schalten bis
lief nach Oberschwaben hinein und wird
wohl über diese kritische Zeit der Watlder-
zng, wenn er überhaupt vorher bestand,
') Hier verwechselt Dizinger wohl das
Appenzeller Land mit Vorarlberg-Tirol. Wenn
auch in den ersten Zeiten dieser Dienstkinder-
Auswnnderung an derselben auch jugendliche
Kräfte aus dein Appenzeller Land teilgeuominen
haben mögen, so kam doch der Hauptzuzug aus
Tirol-Vorarlberg und hörte der aus der Schweiz
bald aus.

geruht haben. In den Registraturen des
württembergischeu Amtsgerichtes und des
württembergischcn Oberamtes Ravensburg
ließ sich nichts darüber finden ; ein größerer
Faszikel in letzterem mit der lleberschrift:
„Alte Akten betr. Belästigung der Be-
völkerung durch auswärtige Hirten-
knaben bezw. denn Angehörige ». s. w."
(ohne Jahr), welcher vermutlich einiges
zur Sache enthielt, ist im Jahre 1898
auSgeschieden und nngtstampft worden.
Daß sich diese Einrichtung, wenn auch
iu mehr oder weniger modifizierter Form,
bis auf den heutigen Tag erhalten hak,
! ist ein Beweis für ihre Lebensfähigkeit
und daß sie einem wirklichen Bedürfnis
entspricht; heutzutage bei dem immer mehr
zunehmenden Mangel au ländlichen Arbei-
tern und bei der herrschenden Landflucht
und Lenlenot vielleicht noch mehr denn
früher. Bei der Art des Betriebes der
Landwirtschaft im Oberlaude, zumal ans
den zahllosen Einödhöfen, ist mau jüngerer,
nicht so teurer Leute zum Hüten des
Viehes (weniger mehr gegen früher znm
„Treiben" der Tiere beim Pflügen) be-
nötigt. Im Laufe der Zeit hat sich auch
die ökonomische Lage der Hütkinder,
welche übrigens nie eine schlimme war,
sehr znm Besseren gewandt. Insbesondere
sind die Ansprüche bezw. Preise gegen
den Anfang und früher nach und »ach
immer mehr enorm, fast um das Drei-
bis Vierfache, ja nicht selten noch mehr,
gestiegen. Der Loh», der für die sieben
Monate bezahlt wird, richtet sich nach
dem Alter und Geschlecht, »ach der
Größe und Stärke und danach, ob sie
schon einmal auswärts gewesen und ihr
Geschäft, die »öligen Hantierungen u. s. w.
kennen n. s. w. Während noch vor ca. 70
Jahren 5— 12— 15—20 fl. bezahlt wurden,
erkält heutzutage z.B. ein l Ojähriger Hülbnbe
120 M. Lohn, das übliche Gewand (Häs),
3 Dt. Haftgeld, 2 Dt. am „Blntfreüag"
und freie Station. Die Nachfrage ist eben
seit geraumer Zeit eine erheblich stärkere
geworden, während der Zuzug ans dem
längst zum Fabrikland gewordenen Vorarl-
berg gegen früher etwas zurückgegangen
ist und der ans der Schweiz längst anf-
gehört hat.
(Schluß folgt.)
 
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