Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0058

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
42

Interesse der Kunst, oder die Leiter haben nicht die rechten
Mittel und Wege cingescklagen, um zum Ziel zu gelangen.

Was hat die Verbindung geleistet? Auf diese
Frage kommen wir daher immer wieder zurück. Sie hat
eine Reihe von Bildern anfertige» lassen oder in Folge
einer Konkurrenz gekauft, ausgestellt und verloost. Was
sind das für Bilder? Sind sie der Art, daß sie allge-
meines Interesse verdienen, packen sie durch die Größe
ihrer Ideen, durch die Bortrcfflichkeit ihrer Ausführung,
durch ihre volksthümliche Bedeutung den für alles Große
und Schöne offnen und empfänglichen Sinn der Nation?

Werfen wir zunächst einen Blick auf die beiden, de-
ren Ausführung von der „Verbindung" zuerst veranlaßt
wurde, mit denen sie — eine Lebensfrage für jeden An-
fang — debutirte. Es sind M. v. Sch wind's „Kaiser
Rudolph, der nach Speyer zum Sterben reitet" und A.
Menzel's „Friedrich II. und Kaiser Joseph in Neiße".
Daß die „Verbindung" gerade diese beiden, an den äußer-
sten Extremen der Möglichkeitsgrenzen dessen, was man
ein „historisches" Bild nennen kann, liegenden Werke wählte,
ja die Wahl dieser Künstler selbst schon spiegelt die Prin-
cipienlcsigkeit der Verdindung ab. Wer Schwind für einen
Historienmaler hält, kann unmöglich Menzel auch dafür
erklären, und umgekehrt. Sie sind es eben, im wahrhaften
Sinne des Historischen, als der Darstellung des Welthisto-
risch-Großen, alle beide nicht. Auch in Betreff dieser bei-
den Bilder sind wir in der glücklichen Lage, den Beweis
führen zu können, daß wir nicht etwa heute erst dieser An-
sicht geworden sind, sondern daß wir bereits im Jahre 1858,
als dieselben hier in Berlin ausgestellt wurden, eine ausführ-
liche Kritik darüber veröffentlichten, worin wir die Gründe
unsrer Ansicht auseinanderzusetzen versuchten. Da wahr-
scheinlich die meisten jetzigen Leser der „Dioskureu" von die-
sem Aufsatz nichts wissen, da er noch der früheren Ausgabe
des Journals augehört, so sehen wir uns veranlaßt, we-
nigstens die Hauptpunkte aus der damaligen Charakteristik
der genannten Gemälde hier mitzutheilcn, welche wir unter
dem Titel: „Ueber Idealismus und Realismus in der Hi-
storienmalerei" niedcrschrieben; umsomehr, als wir darin
auch im Allgemeinen das wahre Wesen und die wahre
Aufgabe der Historienmalerei zu erläutern versuchten. Wir
sagten darin unter Andere»! Folgendes:

In der Kunst ist es fast durchgängig der Gegensatz
zwischen Idealismus und Realismus, welcher, in
ihrem eigensten Wesen begründet und daher berechtigt,
doch zugleich nach der einen oder andern Seite hin einen
Abweg von der Wahrheit bestimmt. Ein solcher Fall näm-
lich tritt immer dann ein, wenn einer der beiden das künst-
lerische Produkt bildenden Faktoren, nämlich entweder der
ideelle Inhalt oder die reale Form, für sich allein
zur Geltung zu kommen sucht und demzufolge den andern
Faktor zu einem untergeordneten Moment herabsetzt, ja
wohl gänzlich zu unterdrücken versucht. Wenn nun zwar
letzteres auch nicht gänzlich möglich ist, so führt doch solche
dem wahren Zweck der Kunst widerstrebende Ileberhebung
des einen über das andere Element nothwendig zu einer
Verrückung ihres wahren und richtigen Verhältnisses, ja zu
einer Zerreißung jener Harmonie zwischen Inhalt und
Form, welche allein das wahre Wesen der künstlerischen

Schönheit ausmacht. Wir sagen „Harmonie", nicht Gleich-
heit, denn die Harmonie beruht keineswegs in einer
quantitativen Gleichstellung der beiden Faktoren, sondern
in ihrer qualitativen Verhältnißmäßigkeit. Es kommt da-
bei also gänzlich auf den Gegenstand der Darstellung an,
ob das eine oder andere Moment, das ideelle oder das
formelle, darin die Hauptrolle zu spielen habe. Im erste-
ren Falle wird sich in der Darstellung ein mehr idealisti-
scher Charakter, im zweiten ein mehr realistischer ausprä-
gen. Nur wenn die Unterordnung des einen unter das
andere Element bis zu einer einseitigen und darum un-
berechtigten Abstraktion fortgeht, entsteht jene Differenz
zweier extremen Richtungen, in denen der berechtigte Idea-
lismus zum abstrakten Spiritualismus, der berechtigte
Realismus zmn abstrakten Materialismus wird. Die
Wahrheit aber liegt eigentlich nicht in der Mitte, sondern
in der Einheit der Gegensätze; sie ist keine Abstraktion
von den Extremen, sondern eine Verschmelzung ihres wesent-
lichen Inhalts. Weder jene Idealisten also, welche das
wahre Wesen der Kunst in der Abstraktion von dem blos
Realen, noch jene Realisten, welche es in der ängstlichen
Vermeidung alles blos Natur unwahren suchen, haben
Recht, sondern beide haben Recht und Unrecht. Recht
in dem Bruchtheil Wahrheit, welches in der Ansicht jeder
Partei liegt, Unrecht, weil sie dieses Bruchtheil für.die
ganze Wahrheit halten. Die ganze Wahrheit aber ist
einzig und allein die, daß jede Kunstrichtung wie jedes
Kunstwerk vor Allem die Einheit von Natur und
Ideal zur Erscheinung zu bringen habe und daß allein
die graduelle Erreichung dieser Einheit den Maaßstab für
die Benrtheilung des künstlerischen Werthes abzebe.

Gedanke und Gestaltungsform sind also die
beiden Elemente des Kunstschaffens, gleichsam die Seele
und der Leib des Werkes, welches geschaffen wird. Schein-
bar einander widerstrebend und entgegengesetzter Natur,
weil verschiedenen Sphären angchörend, sollen sie doch
in eine Einheit zusammenfließen, um jene Harmonie zur
Erscheinung zu bringen, welche das Wesen des Schönen
ausmacht. Dieses Zusammenfließen aber ist keine unter-
schiedslose Vermischung, sondern ein Aufgehen des Einen
in das Andere: der Gedanke, das Motiv, die Idee soll
durch die konkrete Gestalt verkörpert, die Gestalt durch
die in ihm lebendig wirkende Idee beseelt erscheinen. Durch
diese doppelte und doch an sich einfache Verschmelzung
der beiden Elemente stellt sich die Wahrheit der Kunst,
d. h. die Schönheit, einerseits der Wahrheit der Wis-
senschaft andrerseits der Naturwahrheit gegenüber.
Die Wissenschaft hat es nur mit dem Gedanken zu thun,
sofern die wissenschaftliche Gestaltung desselben für sich
keinen andern Zweck haben soll, als jene Wahrheit zu
Tage zu bringen, die Natur dagegen hat es nur mit der
Gestaltung zu thun, indem die darin liegende Idee ganz
und gar in die Form aufgeht und nur als Form Existenz
hat, die Kunst dagegen strebt nicht dahin, die Idee der
Form oder die Form der Idee überzuordnen, sondern
beide zu einer auf Gleichberechtigung beruhenden harmoni-
schen Versöhnung zu bringen.

Wenn wir diese allgemeine Begriffsbestimmung auf eine
einzelne Kunstsphäre, z. B. auf die Historienmalerei
 
Annotationen