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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0066

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viduum ZN thun: die Specialität ist hier gerade das Cha-
rakteristische; die Historie hat es mit dem Menschen als
allgemeinem, als Vertreter einer Zcitidee, als Repräsen-
tanten einer nationalen Entwickelungsphase zu thun; die
Specialität ist daher hier das Zufällige, dem historischen
Charakter Fremde, ihn Verwischende, dagegen das Allge-
meine allein das Charakteristische. Sofern also die an-
gemessene Darstellung des historischen Motivs von allen
Zufälligkeiten, individuellen Eigeuthümlichkeiten, falls sie
nicht zur Charakteristik der historischen Persönlichkeit als
solcher gehören, abstrahirt, kann man den historischen Stil
in gewisser Beziehung abstrakt nennen. Hier haben wir
nun die Extreme, wie sie in den Bildern von Menzel
-und Schwind zur Erscheinung kommen. Schwind ab-
strahirt guavck mSme, d. h. auch von den uothwendigen
Specialitäten, er vernichtet von vorn herein alles Indivi-
duelle, auch wenn es zum Charakter gehört. Seine Pferde
sind abstrakt historisch, denn sie heben die Realität selbst

auffallend und zugleich für den Standpunkt der „Verbindung"
charakteristisch genug, daß man zur Aufstellung eines solchen Ge-
dankens, welcher die Basis aller Wirksamkeit hätte sein und daher
ganz zu Anfang hätte erledigt werden müssen, sechs Jahre und
ebensoviel Generalversammlungen nöthig gehabt hat. Die sich
in diesem Mangel an Bewußtsein über die eigentlichen Zwecke
der Verbindung aussprechende Naivetät wird nur übertroffen
durch das Resultat der an jenes vom Professor Forchhammer
aufgeworfene Verlangen geknüpften Debatte, nämlich, daß man
sich nicht darüber zu vereinigen vermochte, was historisch sei,
und daß demzufolge die „Verbindung für historische Kunst"
den Versuch sich selbst zu definircn, nach vergeblichen Anstren-
gungen als fruchtlos aufgeben mußte. — Um aber eine Vor-
stellung von der Verschiedenartigkeit der im Schooße der Ver-
bindung zu Tage geförderten Ansichten über den Begriff des
Historischen zu geben, wollen wir der Kuriosität halber ans dem
Protokoll einige Stellen mittheilen. Nachdem Herr vr. Müller
als das wesentliche Merkmal eines historischen Gemäldes die
Eigenschaft bezeichnet, das es ein „Eklatantes" sei und in der
Ausführung „alte heidnische" sowie „sagenhafte" Gegenstände aus-
geschlossen haben wollte, bemerkte Prof. Forchhammer sehr
richtig, „das darzustellende Faktum müsse eine welthistorische
Bedeutung, einen großen Einfluß aus die Entwickelung des
Menschengeschlechts gehabt haben, dann trete der Gegenstand ans
dem Genre heraus. Der Künstler solle nicht ein historisches
Faktum darstellen, sondern ein Faktum, das diese Bedeutung
habe." Dagegen meinte Herr Friedländer, „der Begriff sei
nicht zu definiren. Ein Maler könne einen historischen Ge-
genstand malen, ohne damit doch ein historisches Bild zu schaffen.
Nach seiner Ansicht sei unter „historisch" zu verstehen, was die be-
treffende Zeit am besten charakterisire. Das Merkwürdigste brachte
in dieser Beziehung vr. Eggers vor. Nachdem er bedauert (I),
daß auf allen Versammlungen sich dieser Streit erhoben habe,
meinte er, die sämmilichen bisher vorgetragenen Ansichten hätten
ihre volle Berechtigung." Was seine eigene Ansicht be-
trifft, so sagte er: „Ein Gegenstand brauche gar nicht wahr
zu sein, und könne doch historisch sein." Nach dieser wun-
derbaren Bemerkung war es natürlich schwierig, noch Etwas
aufzustellen, was eine frappantere Wirkung hätte hervorbringen
können, und so lenkte denn ohne weitere Anstrengung der Strom
* der Debatte wieder in das alte seichte Geleise der praktischen
Abstimmung über den Ankauf der Bilder ein, und die Diskussion
über den Begriff des „Historischen" wurde selber als historisches
Faktum aä acta gelegt. D. R.

im Charakteristischen der Natur ans. Nie hat ein Pferd
solche Nase, solche Augen gehabt, wie auf dem Schwind'-
schen Bilde. Doch dies ist nur eine beispielsweise Acußer-
lichkcit. Bei Menzel findet das Gegentheil statt. Er, ein
Feind aller Abstraktion, kümmert sich um das Allgemeine
gar nicht; er malt nur das Besondere, Persönliche, In-
dividuelle, Zufällige — mit ungemeiner Drastik, das ist
wahr, aber ohne Spur von jener höheren Charakteristik,
welche in der betreffenden Person den Vertreter einer hi-
storischen Idee ahnen läßt. Er geht in seiner konkreten
Schilderung bis zur Liebhaberei des Häßlichen; ein be-
schmutzter Stiefel ist für seine Art der Charakteristik wich-
tiger als die Andeutung enes ideellen Monicnts, um das
es sich handelt. Beschmutzte Stiefel aber kann auch ein
Gassenkehrer tragen, ein Friedrich der Große wird dadurch
schwerlich charakterisirt. Zwar Delaroche's „Napoleon
in Fontainebleau", welcher, zerschmettert von dem furcht-
baren Unglück, das jetzt von allen Seiten über ihn zusam-
menbricht und woraus er keinen Ausweg mehr findet, in
sich versunken, den starren Blick vor sich hin auf den Bo-
den richtend, dasitzt, hat auch beschmutzte Stiefel — aber
welche Tragik liegt in diesen beschmutzten Stiefeln, welche ,
tiefe Charakteristik! Wie erinnern sie an seine ruhelose
Hast, au seine furchtbaren Anstrengungen, au seine körper-
liche ebenso sehr wie geistige Ermattung! Er hat das
Acußerste versucht, durch Moräste und kothige Straßen
ist er gesprengt, um die letzten Trümmer seiner glänzenden
Armee zu sammeln und zu ordnen, sie zu neuem Kampfe, zu
neuem Siege zu führen: Alles vergebens. — Aber bei Mcn-
zel's Friedrich, was sagen sie uns hier! Nichts, als daß sic
seit drei Monaten nicht geputzt sind, und daß cs mindesten
unartig sei, den jungen Kaiser in solchem Aufzuge zu em-
pfangen. Gehört das zur Charakteristik Friedrich's? Doch
hierüber werden wir später unsere Ansicht aussprechen.
Wenden wir uns zum Schwind'schen Bilde.

„Kaiser Rudolph, der gen Speyer zum Sterben reitet"
ist ein Werk, dessen Charakterisirung deswegen nicht so
einfach ist, wie man von einem einseitigen Standpunkt
aus wohl glauben mag, weil bei seiner Beurthciluug Alles
eben auf dieBcstimmuug des Standpunktes ankommt. Giebt
man überhaupt die ästhetische Berechtigung dieser Richtung
zu, so wird man vieles Bedeutende und Tiefe in dem
Bilde finden, bestreitet man sic, so zerfällt das Ganze,
Komposition wie Technik, in ein leeres Nichts. Wir glau-
ben in diesem Falle, wo es sich um einen Meister von
unbestreitbar hohem Verdienst handelt, doppelt vorsichtig
und gewissenhaft zu Werke gehen zu müffen, um nicht —
nach welcher Seite hi» es immer sei — ungerecht und
parteiisch zu werden. Schwind ist seiner ganzen Richtung
nach Spiritualist und muß also auch als solcher beur-
thcilt werden. Wenn nun auch der Spiritualismus an
sich und im Gegensatz zum Materialismus in der Kunst
eine gewisse Abstraktion als Bedingung enthält, so kann
es doch keine Frage sein, daß der Spiritualismus sich der
wahren und höheren Bestimmung deö Kunstschaffens viel
mehr nähert, als der Materialismus.

Die Kunst ist entweder viel mehr oder viel weniger
als die Natur. Betrachtet sie die Naturwahrheit als das
Höchste, was sie erreichen kann, so dregadirt sie sich selber,
 
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