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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0082

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die Eigenschaft eines Historicngemäldes im eigentlichen
Sinne der Worts durchaus ab. Denn wenn wir auch
gern einräumen wollen, daß das Motiv weder in Rück-
sicht ans historische Bedeutsamkeit noch in kompositioneller
Beziehung allzu dankbar ist, so dünkt uns doch dies kein
genügender Entschnldigungsgrnnd für den Mangel an hi-
storischer Charakteristik, weil bei historischen Gemälden und
vorzugsweise bei solchen, deren Gegenstand der vaterlän-
dischen Geschichte entnommen ist, der Künstler vor Allem
die innere Bedeutsamkeit des Motivs und die dramatische
Gestaltungsfähigkeit der Handlung zu bemessen hat, ehe er
an die Ausführung des Bildes geht. Auch fehlt es in
dem Leben Friedrich's wahrlich weder an großartigen noch
an dramatisch-ergreifenden Momenten, um einen Künstler,
wie Menzel, zu veranlassen, gerade eine solche Situation
herauszngreifen, deren geschichtliche ebensowohl wie dra-
matische Bedeutsamkeit mindestens zweifelhaft ist. Denn
was war die Wirkung dieser von Friedrich's Seite aus
rein politischer Klugheit, von Joseph's allerdings ans dem
tiefen Gefühl der Bewunderung vor dem großen Könige
gewünschten Zusammenkunft in Reiste? Es wurde daselbst
keine einzige wichtige Frage zum Abschluß gebracht; Ehren-
bezeugungen, Truppenmusterungen, Festlichkeiten, Freund-
schaftsversicherungen füllten die ganze Zeit aus. Wichtiger
schon war die im folgenden Jahre ( 1770) stattfindende
abermalige Zusammenkunft der beiden Fürsten zu Neustadt
in Mähren, bei welcher Kaunitz, der schlaue österreichi-
sche Minister zugegen war. — Auch in dramatischer Be-
ziehung bietet die Handlung ebenfalls wenig Stoff dar.
Die beiden Fürsten begegnen sich, Friedrich in Begleitung
der königlichen Prinzen von oben herabsteigend, Joseph
seinen Begleitern vorauf ihm entgegeneileud, auf der In-
nern Treppe des bischöflichen Palastes, in welchem Frie-
drich abgestiegen war. Die Bewegung des damals erst
achtnndzwanzigjährigen Joseph ist hastig, fast leidenschaft-
lich; sein weißer Mantel sinkt ihm von den Schultern, so
daß die grüne Uniform sichtbar wird, während Friedrich,
welcher bereits siebennndfnnfzig Jahre zählte, ihm in einem
schwarzbranncn Rock freundlich entgegentritt. Hiermit ist
Alles gesagt, um die dargestcllte Handlung — wenn von
einer solchen überhaupt die Rede sein kann — zu erklären.

Allein sehen wir von dem Mangel an historischer Be-
deutsamkeit sowohl wie an dramatischem Interesse im Mo-
tiv ab, ja nehmen wir selbst Beides als vorhanden an,
um mit ganz vorurtheilsfreiem Blick die Komposition ein-
zig und allein von dem durch den Künstler gegebenen Stand-
punkt zu betrachte», so müssen wir doch unseren Ausspruch
festst alten, daß das Bild kein historisches sei. Zunächst
nämlich entbehrt die Komposition ebenfalls gänzlich eines
eigentlichen historischen Stils, aber wiederum in entgegenge-
setzter Richtung wie S chwind's „KaiserRudolph." Nament-
lich fehlt ihm eine gehaltvolle und berechtigte Jdea-
lisirung der dargestcllten Personen in ihrer äußern
Erscheinung als der Vertreter einer großen hi-
st o r i s ch e n I d e e, sowie die mit konkreter Lebendig-
keit und Naturwahrhcit sehr wohl vereinbare Würde
und Hoheit der Erscheinung. Aber nicht nur diese
den wahren historischen Stil bildenden Eigenschaften feh-
len ihm, sondern auch diejenigen, welche den Mangel jener
einigermaaßen ersetzen könnten, nämlich prägnante Jn-

dividualisirung und edle Naturwahrheit. Wer,
der nicht auS der Geschichte weiß, daß Friedrich im Jahre
1769, als diese Zusammenkunft stattfand, bereits hoch in
Fünfzigern stand, während Joseph ein junger Mann von
noch nicht 30 Jahren war, könnte in diesem würdelosen
alten Herrn mit deni nichtssagenden Lächeln auf dem run-
den Gesicht, das allzufreundlich ist, um wahrscheinlich zu
sein, den alten Fritz mit seinen Adleraugen wieder erken-
nen? Joseph zeigt viel mehr Aehnlichkeit mit Friedrich,
natürlich in des Letzteren jüngeren Jahren, als Friedrich
selbst. Sein lebhaftes Wesen, mit dem er die Treppe
hinauseilt, seine enthusiastische Freude, als er endlich seinen
langjährigen Wunsch, den großen Helden von Angesicht
zu Angesicht zu sehen, erfüllt sieht, spricht, wenn auch in
etwas zu genremäßiger Weise geschildert, doch ungleich
mehr an, als der gekrümmte alte Herr mit den obligaten
schmutzigen Stieseln. Dazu hat die Stellung der beiden
Figuren etwas Unnatürliches und Forcirtes, namentlich
durch die allzugroße Nähe, in welcher bie beiden Gesichter
sich befinden. Es ist geradezu unmöglich, daß sie einander
— wie es doch beabsichtigt ist — aublicken können, ohne
Augenschmerzen zu bekommen, da sich zwischen ihren Na-
senspitzen höchstens 1 Zoll Zwischenraum befindet. Wahr-
scheinlich ist dies auch der Grund, warum Joseph nicht
sowohl in das Auge Friedrichs, sondern oben nach seiner
Stirn schaut, während Friedrichs Blick etwas StiereS und
Zielloses im Ausdruck hat. —

Mcnzel's ungemeines Talent für scharfe Prägnanz
in der konkreten Jndividualisirung seiner Figuren ist zu
bekannt, als daß man ihm nicht in diesem Falle eine ge-
wisse Sorglosigkeit bei der Eutwcrfnng seiner Komposition
zum Vorwurf machen könnte. Das Bild ist, wie schon
bemerkt, meisterhaft gemalt, ausgezeichnet im Kolorit, vor-
züglich in dem ganzen äußerlichen Arrangement, aber es
läßt doch kalt, da cs weder hinlängliche Bedeutsamkeit des
Motivs noch besondere Originalität der Anfsassnng, noch
endlich genügsame Treue der Darstellung besitzt, um ein
näheres Interesse zu erregen. Weit gelungener als die
Hauptfiguren sind die Nebenfiguren. In dem den Kaiser
zunächst folgenden österreichischen General vermuthen wir
London, der bekanntlich Joseph nach Neisse begleitete. Zwar
waltet in ihm das Genrcmäßige ebenfalls etwas vor, aber
hier hat cs schon mehr Berechtigung. Dagegen ist die
Lebendigkeit des Ausdrucks, in der sich lebhafte Neugierde
abspiegelt, sowie die Entschiedenheit in der Bewegung
und Haltung des Körpers aufs Höchste anznerkennen. Hin-
ter Friedrich erblickt man mehrere Prinzen des königl.
Hauses, die er nach Neisse zum Empfang des Kaisers cin-
geladcn hatte, zunächst die stattliche Figur des Prinzen
Heinrich, weiterhin den jungen Kronprinzen u. s. w. Es
sind nur untergeordnete Figuren, aber vortrefflich sitnirt
und gruppirt. Hierin zeigt sich Menzel in seiner wahren
Stärke. Aber im klebrigen, d. h. was die Hanptscene
betrifft, scheint er entweder aus inneren Gründen nicht
von seiner Aufgabe recht durchdrungen gewesen zu sein,
oder das Motiv selbst bot ihm einen allzu ungünstigen
Stoff für die Komposition dar.

Wir kommen nun in der Frage über „Realismus und
Idealismus in der Kunst" zum Schluß.

(Fortsetzung folgt)
 
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