Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0098

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
82

Kriegen, welche der Reformation folgten, lagen viele Kir-
chen ganz oder theilweise in Trümmern; das geistige Le-
ben der Nation war zerrissen, und mit ihm war die Kunst
dahin. Auf dem Gebiete der Architektur hatte man, wie
natürlich, nur Sinn für das Allernothwendigste.

Im achtzehnten Jahrhundert richtete sich zwar der Blick
wieder auf die öden verfallenen Gotteshäuser; aber zugleich
entstand auch eine allgemeine Kunstkalamität, die sich über
ganz Deutschland verbreitete, das war die restauratorische
Sitte des sogenannten „Aufputzens". Es gab dafür ein
förmliches Schema: geweißte Wände mit gelb und blau
gestreiften Rippen und „hübsch bunte" Chöre mit bausbacki-
gen, trompetenden Engeln. — Diese Sitte hat viel Wür-
diges und Werthvolles vernichtet; in ihren Schöpfungen
hat sich die charakterloseste Epoche der Architektur verewigt.

Als nun in dem Bunde zwischen Göthe und Schiller
dem deutschen Volke das ideelle Centruin einer einheitlichen
nationalen Gestaltung erschien, da wandte sich derselbe
auch wieder jenen Kunstwerken des Mittelalters zu, welche
den Geist des Deutschen mit Stolz und Bewunderung
erfüllen.

So blickte auch Schinkel auf die gothischen Dome des
Mittelalters. — Zwar ist ihm häufig der unvorsichtige
Vorwurf gemacht worden, er habe die Gothik gar nicht
verstanden; ja, im Hinblick auf die „Werder'sche Kirche"
in Berlin hat man sogar die Behauptung ausgestellt, er-
hübe das Princip dieser Bauweise nicht einmal genügend
erforscht. Darauf genüge vorläufig die Antwort, daß
gerade diese Kirche in künstlerischer Durchführung die erste
ist, welche unser Jahrhundert in Deutschland entstehen sah;
wie das Innere einem Gotteshause würdig ausgestattet
ist, so bezeichnet die äußere Architektur den bedeutungs-
schweren Uebergang in den Ziegelrohbau. — Demnächst
verdanken wir Schinkel die Wiederherstellung des Kölner-
Doms, sowie den Weiterbau dieses großartigen Monu-
ments. Uebcrhaupt, wer seine Pläne gesehen hat, bestimmt,
die dauiederliegcnden gothischen Kathedralen wieder in's
Leben zu rufen, dem kann es nicht zweifelhaft bleiben, daß
er über das ganze Gebiet der Kunstformen jenes phan-
tastischen Stiles unumschränkter Herrscher war. — Und
diejenigen, welche ihm vorgeworfen haben, daß sein im
Hellenenthum aufgegangener Geist ihn in einer ungerechten
Würdigung der gothischen Baukunst gefangen gehalten
habe, sie dokumentiren dadurch nur ihre vollständige Ver-
kennung des Meisters und der Dinge. Wir wissen, wie
sehr der jugendliche Schinkel jene allgewaltige Begeisterung
für die Monumente unserer romantischen Vorzeit getheilt;
auch er hat romantisch geschwärmt und gebildet; er hat
das Mittelalter mit der ganzen Wärme seines Herzens
durchlebt, aber er hat es auch mit seinem Geiste durchdrungen.

Das beweisen seine baukünstlerischen Erfindungen, in
ihnen hat er dargethan, daß die Kirchenbaukunst unserer
Tage, d. h. die evangelische, sich der Tradition durchaus
kritisch gegenüber stellen müsse. Als Kriterium dienen vor
Allem die wesentlich verschiedenen kirchlichen und gottes-
dienstlichen Bedürfnisse und dann die technischen Errungen-
schaften der Neuzeit, die modernen Konstrukt!onsgedankeu.

In beiden Beziehungen hat Schinkel selbsteignen Geistes

die Bahnen eröffnet, — wir erkennen, daß er begonnen
hat, dem evangelischen Kirchenbau den Grundstein auf-
zurichteu. Fragen wir nun, wie weit jenes ablehnende Ver-
hältnis' Schinkels zur Tradition der Gothik sich erstreckt, so
können wir, als die wesentlichsten, nur folgende Momente
bezeichnen.

Zuerst fällt uns die Vermeidung des Chorschlusses mit
Umgang und Kapellenkranz auf. Wenngleich der Chor-
schluß im ganzen Mittelalter vielfachen Modifikationen
unterworfen war, so wurde doch die Polygone Anlage stets
konsequent durchgeführt. In den Kloster- und Kapitel-
kirchen sehen wir das Mittelschiff immer über die Seiten-
schiffe hinansgeführt, höchstens begleiten sie dasselbe —
welches dann zu einem stattlichen Chore ansgebildct ist —
als sogenannten Chorumgang, indem sie oftmals einen
Kranz kleiner Kapellen bilden. Diese imposanten, für den
Prunk der hohen Geistlichkeit bestimmten Anlagen — der
profanen Bestimmung des Langhauses durch einige Stufen
entrückt und vom Schiffe durch prächtige Schranken ab-
geschlossen — hingen zu sehr mit dem katholischen Gottes-
dienste zusammen, als daß Schinkels künstlerisches Gewissen
denselben irgend welche Zugeständnisse machen durfte. An-
dererseits näherte er sich der Tradition wieder darin, daß
er alle drei Schiffe durch neben cinanderliegcnde Polygone
schloß, ein Prineip, welches das Mittelalter schon in seinen
Pfarrkirchen kannnte.

Hieraus klingt uns die Mahnung entgegen, daß cö
durchaus, der natürlichen Entwickelung der Dinge zufolge,
nothwendig sei, der Tradition gerade da frei gegenüber
zu treten, wo sie in blendender Erscheinung vor uns tritt.

Blicken wir ferner auf die großartigen Thurmanlagen
der Hochgothik, so müssen wir unbedingt bekennen, daß sie
oft wundersam schön in den lebendig pulsirenden Organis-
mus dieser begeisterten Bauweise eingreifen und demselben
einen sprechenden Ausdruck verleihe». Aber wenn wir uns
erinnern, daß die ältere Kultbedeutnng des Thurmes als
ideales Schutz- und Schirmdach der im Altäre ruhenden
Reliquien unserer Kirche fremd ist, so dringt sich uns auch
die Ueberzeugnng auf, daß jene immense, in allen Details
himmelanstrebende Höhenentwickelung nicht mehr der zei-
tigen Kirchenbaukunst geziemt.

So ließ auch Schinkel der Bestimmung des Thurmes
als Glockenträgers, vielleicht auch als kirchlichen Repräsen-
tanten — der diese versteinerten Rhythmen gleichsam wie
in einem gemeinsamen Schlußakkorde zusammenfaßt —
vollständige Gerechtigkeit widerfahren, wenn er eine Mil-
derung dieses so phantastisch und fremdartig in unsere
Zeit hineinragendeu Baugliedes erstrebte.

Wenn er aber andererseits jenen hohen, prachtvollen
spitzbogigen Portalen, durch welche die Gläubigen cin-
und auswandeln, und dem seit Urzeiten heiligen Tympanon
— dem Symbol der Einheit in der Dreiheit — das le-
bendige Recht der Tradition zuerkannte und naiv aufnahm,
so sehen wir darin nur die Erfüllung einer Forderung,
welche die Stätten des Kultus seit Anbeginn der mensch-
lichen Kunst gemacht haben und stets verlangen werden.

(Schluß folgt.)
 
Annotationen