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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0330

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314

Bilder mit Fug und Recht in lebensgroßem Maaßstabe*)
und mit breiter, auf Wirkung in die Ferne berechneter
Pinselführung gemalt werden. Biöfvc hat seinen Figuren
sogar mehr als natürliche Größe gegeben. Mitten durch
Las Bild zieht sich, auf grün behangenem Tische stehend,
das Modell der farnesischen Brücke, jenes Wunderwerkes
der Kriegsbaukunst, durch welches Alexander Farnese im
Jahre 1585 dem belagerten Antwerpen die Zufuhr von
der See und den Beistand der Seeländer abschnitt, und
so die stolze Veste, das Bollwerk der nach Unabhängig-
keit ringenden Niederlande, zur Unterwerfung zwang. Be-
kanntlich hat Schiller in der zweiten Beilage zur Geschichte
des Abfalls der Niederlande eine meisterhafte Schilderung
dieser Belagerung und der Brücke insbesondere geliefert.
Schiller's Beschreibung ist ein Biöfve'sches Gemälde in
Worten, Biöfve's Gemälde eine Schiller'schc Beschreibung
in Farben. Und in der That, das Unternehmen war in
seiner Anlage, seiner Ausführung und seinen Folgen einer
solchen Beschreibung und eines solchen Gemäldes würdig.
Es war ein Triumph des menschlichen Geistes sowohl über
elementare Kräfte, wie auch über die edelsten, leider noch
uneinigen Gegcnbestrebungen. Um das Brückenmodell,
dessen Gradlinigkeit durch die Figuren so geschickt unter-
brochen wird, daß sie nichts Störendes hat, sind die
Häupter des spanischen Belagerungsheeres gruppirt, welche
den Landsleuten des Künstlers ohne Zweifel durch ihre
Aehnlichkeit nicht minder bekannt sind, als uns etwa die
Helden des dreißigjährigen Krieges, die Wallenstein, Tilly,
Gustav Adolf und Bernhard von Weimar. Ueberhaupt
trägt das Bild seine vollständige Erklärung in sich, so
daß es keines Kommentars bedarf. So sehr dies auch
eine selbstverständliche Anforderung an jedes Kunstwerk ist,
so wird doch vielfach dagegen gesündigt. Im Vorder-
gründe vor dem Modelle sitzen, im Gespräch begriffen,
Alexander Farnese selbst, der geniale Urheber des Planes,
und ein älterer General in voller Rüstung und majestä-
tischer Haltung. Der noch jugendliche Farnese mit dem
südlich gebräunten Antlitz, halb im Panzer, halb im Fürsten-
kleid , zeigt sich uns über den Widerstreit der im Rathe
schwankenden Meinungen erhaben. Er ist seiner Sache
gewiß. Behaupten wir zu viel, wenn wir sagen, daß des
Feldherrn sinnend Hanpt in olympischer Ruhe über dem
Ganzen schwebt? Von der linken Ecke her trägt ein Sub-
alterner den Plan des Kastells von Antwerpen herbei.
Hinter dem Tische wie zur Seite desselben stehen die Offi-
ziere und Räthe versammelt, die alten bereits mit dem
goldenen Vließe geschmückt, welches sich die jungen noch
zu erkämpfen hoffen. Alle aber sind von der einen Idee
getragen und durchdrungen — von dem großen Wagestück,
das die Schelde bändigen und ihr mächtiges Emporium
bezwingen soll. Wie das Licht in einem Prisma, so bricht
sich diese Idee in den verschiedenen Figuren und leuchtet
von ihren Gesichtern im verschiedensten Ausdrucke. Be-
denklichkeiten und Zweifel an der Möglichkeit des Gelin-
gens, Hoffnung und Siegesfreude, Unbekümmertheit und
tiefes Nachdenken — alles malt sich in den Zügen der
Rathschlagenden. Im Hintergründe steht hoch erhoben
der Ingenieur (vielleicht Plato, der seinem unsterblichen
Namen keineswegs Schande macht) und demonstrirt mit
lebhafter Bewegung auf dem Aufrisse au der Wand die
Konstruction der Brücke mit ihren Estacaden und vorge-
schobenen Vertheidigungsschiffcn. Wir können das Be-
dauern nicht unterdrücken, daß der Künstler diesem Jn-
cnicur nicht einen Ausdruck edlerer Geistigkeit und höherer
cbensstellung verliehen hat; wie er ist, will er uns zu
untergeordnet scheinen. Aber doch, wie lebenswahr, wie
individuell sind alle diese Gestalten, wie treten sie in pla-
stischer Rundung aus dem Bilde heraus! Es ist, als

*) Dieser praktische Grund dürfte es nicht allein sein, sondern
auch der innere, daß ideell große Motive nur in entsprechend
dimensionaler Größe zur wahren Wirkung kommen. D. R.

hätten wir den langen Reiterhauptmann persönlich ge-
kannt, der im rothen Mantel und den Reiterstiefeln von
Büffelleder im Vordergründe rechts vom Herzoge steht,
— oder den alten Rath im Sammettalar hinter ihm, der,
die Augen mit der Hand überdachend, mit durchdringen-
dem Blicke nach dem Aufriß hinaufschaut. Das sind we-
der aufgeputzte Modelle noch gemalte Abstraktionen, es
sind wirkliche, leibhaftige Menschen. Es ist mit einem
Worte der gesundeste Realismus, der in jedem Huge aus
dem Bilde spricht, ein Realismus, der jedoch nicht ohne
eine geistige, ideelle Unterlage denkbar ist. Die Verschmel-
zung des geistigen und realen Elements bildet einen Haupt-
vorzug des Gemäldes. Es ist wahr, Biöfve neigt zur
dekorativen Seite der Malerei, er ist ein Meister in der
Behandlung prächtiger Kostüme und Stoffe und gefällt
sich in der Entfaltung dieser Meisterschaft. Allein wo
uns ein so bedeutender geistiger Inhalt entgegen tritt, kann
uns das reiche Beiwerk nur willkommen sein, so lauge es
den erstern nicht beeinträchtigt. Und einen solchen Vor-
wurf würden wir dem Bilde mit Unrecht machen. Der
Reichthnm des Kostüms ist nur der naturgemäße Nach-
hall des vielgestaltigen, reichen und gesättigten Lebens,
welches sich während des Mittelalters in den Niederlan-
den in so schöner Fülle entwickelt hat. Die gegenwär-
tige belgische Kunst stellt in dieser Hinsicht gleich dem bel-
gischen Volke eine glückliche Mischung deutscher und fran-
zösischer Elemente dar. Welche Richtung die bestimmende
ist, deutet sinnbildlich die deutsche Trikolore an, welche
als anerkanntes nationales Banner über Belgien weht.
Auch im Biöfvc'schen Bilde finden wir das deutsche Ele-
ment in dem sittlichen Ernst, der würdevollen Haltung,
wie im ganzen Gedankeninhalt wieder. Wie in der bel-
gischen Kunst überhaupt, ist ein großartiger, selbstbewußter
Stil darin, ein Stil, in dem sich das Gefühl ausspricht,
einem Volksstamme anzugehören, welcher mithandelnd mit-
ten in der Geschichte, und nicht bloß zuschaucnd und re-
flektirend außerhalb derselben steht. Und das ist freilich
ein Selbstbewußtsein, welches die Germanen nur in ihren
zur politischen Selbständigkeit durchgedrungcnen Tochter-
ländern entwickelt haben.

Biöfve's Kriegsrath ist in jeder Beziehung ein natio-
nales Bild, das daher nur in seinem Vaterlande volle
Würdigung und Theilnahme finden kann, Nichtsdesto-
weniger könnte dem Künstler der Vorwurf gemacht wer-
den, daß er einen anti-nationalen oder vielmehr unpatrio-
tischen Gegenstand gewählt habe, insofern er die Besie-
gung seiner Landsleute durch ihre spanischen Tyrannen
dargestellt hat. Ein solcher Borwurf ist jedoch nur schein-
bar. Die Eroberung Antwerpens durch Farnese ist von den
Belgiern so vollständig überwunden worden, daß heutzu-
tage gewiß Niemand mehr mit einem Gefühle der Bitterkeit,
des Schmerzes oder der Scham daran zurückdenkt. Von
der Uebermacht überwunden zu werden, ist überhaupt keine
Schande. Die Befreiung Belgiens und die Herstellung
seiner nationalen Unabhängigkeit hat zwar seitdem noch
schwere und blutige Kämpfe gekostet, ist aber endlich so
glorreich durchgeführt worden, daß die Bürger des Landes,
im Vollgenusse ihrer jetzigen politischen Wohlfahrt, auch
auf die Siege der Spanier nur mit dem befriedigenden
Gedanken zurückblicken können, daß ihnen die Befreiung
von der Fremdherrschaft am letzten Ende glücklich gelungen
ist. Die Eroberung Antwerpens hat in dem öffentlichen
Bewußtsein der Belgier keinen Stachel zurückgelassen, wie
etwa der Verlust Straßburgs im Bewußtsein des deut-
schen Volkes. ^

Noch ein Punkt muß hervorgchobcu werden. Es springt
in die Augen, daß eine so außerordentliche Gewandtheit
in der Komposition, eine solche Sicherheit der Zeichnung,
und eine solche Harmonie der Farbengebung eine lang-
jährige Studienlanfbahn voranssctzen._ Ein um so grö-
ßeres Verdienst des Bildes ist daher seine Unmittelbarkeit.
Unter diesem Ausdrucke verstehen wir hier die Thatsache,
 
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