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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0350

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behandeln. Im Allgemeinen werden neutestamentlicke Mo-
tive, sei es nun daß sie dogmatischen oder daß sie faktischen
Inhalt haben, zur religiösen Malerei im engern Sinne
gerechnet werden können, vorausgesetzt daß im letztern Falle
die dogmatische Tendenz das Historische darin überwiegt,
während alttestamentliche Sujets meist der Historie zuge-
theilt werden müssen.

Ueber diese, ohne Zweifel wichtigen Unterschiede geben
sich jedoch die Künstler selten genaue Rechenschaft. Und
doch hängt von der Betrachtungsweise eines Sujets die
ganze Weise der Darstellung ab; nicht nur in Betreff
der Komposition, welche in der religiösen Malerei mehr
stilvolle Einfachheit, ruhigere Haltung und eine mehr nach
Innen zu gewandte Tiefe der Empfindung besitzen muß,
sondern auch im Kolorit, das, entsprechend diesem Cha-
rakter der Komposition, ebenfalls einfacher, so zu sagen
keuscher sein, weniger durch drastische Farbenkontraste als
durch harmonische, milde Gesammtbetonnng zu wirken
suchen muß. Diese Unterschiede der Technik begründen
sich durchaus auf die Besonderheit des Inhalts, und sind
deshalb naturgemäß. Aber wenn wir selbst von der
specifischen Besonderheit des Inhalts in beiden Klassen der
malerischen Darstellung ganz absehen und nur auf die
kompositionclle und koloristische Behandlnngsweise der Mo-
tive achten, so dürfte der Unterschied zwischen dramati-
sch er Behandlung für das Historiengemälde und ly-
risch er Behandlung für das religiöse Gemälde wohl
als charakteristich festgehalten werden können; jedoch mit
der Beschränkung, daß wenn auch keine strenge Ausschlie-
ßung, sei cs des Lyrischen von der Historie, sei es des
Dramatischen von der religiösen Malerei, gefordert werden
darf, doch diese Momente den andern Hauptmomenten in
den betreffenden Darstellungen unterzuordnen sind.

Die Geschichte ist vor Allem That, die Religion Em-
pfindung. Hierauf beruht der Unterschied in der Auffas-
sung und Behandlung der Motive, welche aus den beiden
Gebieten geschöpft werden. Dieser Unterschied bestimmt
die ganze Charakterverschiedenhcit beider Kunstarten, d. h.
jedes einzelne Werk muß dies besondere Gepräge in Wahl
und Auffassung des Sujets, in der kompositionellen wie
koloristischen Ausarbeitung desselben zum klaren Ausdruck
bringen. Was insbesondere die technische Behandlung
betrifft, so folgt aus jenen principicllen Charakterunter-
schieden die Forderung, daß die Historienmalerei nicht nur
überhaupt in der Komposition wie im Kolorit mehr Energie
und dramatische Lebendigkeit entwickeln muß, sondern man
kann an sie — unbeschadet der Großartigkeit in Stil und
Stimmung — entschieden die Forderung einer realistische-
ren Behandlung stellen, während gcgcntheils die religiöse
Malerei, welche ihrem Begriff nach auf eine übersinnliche,
außergeschichtliche Idealität tendirt, keinen größeren Fehler
begehen könnte, als den, realistisch aufzutreten. Selbst
im Stofflichen, überhaupt in der Lokalfarbe, hat sie die
Naturwahrheit vom realistischen Schein zu entkleiden, d. h.
das bloß Reale stets dem idealen Schein, welcher durch
die Gesammtbetonung bedingt ist, untcrzuordnen. Deshalb
ist beispielsweise Gallait nach dieser Seite hin ausge-
zeichnet als historischer Kolorist; ob er aber ein religiöses
Gemälde zu malen im Stande sei, bezweifeln wir. Um-

gekehrt hat Rapha cl sein der religiösen Malerei so wun-
derbar kongruentes Kolorit öfters auf die allerdings von
ihm meist allegorisch behandelte Historie übertragen. Wir
bewundern daran — auch wenn wir von dem Gedankeninhalt
der Motive absehen — die Komposition, das idealistisch
großartige, harmonicvolle Kolorit, aber es ist dennoch in
dem Sinne, wie wir es hier fassen, darin keine dramatische
Behandlung der Geschichte in ihrer realen Wahrheit.

Unsrer Ansicht nach macht man der heutigen religiösen
Malerei mit Unrecht den Vorwurf, daß sie hinter den For-
derungen der Zeit zurückbleibe; im Gegenthcil möchten wir
grade tadeln, daß sie diesen Forderungen nur zu sehr
Rechnung trägt. Denn wenn die Gegenwart auf das
Reale tendirt, ja vielleicht nur allzusehr zum Materiel-
len hinneigt, so erscheint vielleicht ein Verlangen, dieser
Neigung zu huldigen, der Historienmalerei gegen-
über gerechtfertigt. Denn die Geschichte ist ihrem Inhalt
nach Das, als was sie vom Standpunkt der Gegenwart
betrachtet wird, sie wird mehr und mehr ab- und aufge-
klärt, mehr und mehr in ihrer allgemeinen, wahren Be-
deutung gefaßt und unterliegt deshalb im Stoff wie in
der Behandlung der geläutcrteren Anschauungsweise der
Gegenwart. Hier also ist ein Fortschritt nicht nur mög-
lich, er isi sogar nothwendig. Denn die Kunstanschauung
muß mit der kulturhistorischeu Anschauung Schritt halten.
Wenn die Geschichte mit Recht ein Spiegel der Gegen-
wart genannt wird, so ist mit nicht minderem Recht die
Gegenwart ein Spiegel der Geschichte. Und in diesem
Spiegel muß der Historienmaler die dramatische Entwicke-
lung der Zeiten studiren, wenn er sie verstehen und mit
Verständniß darstellen will. Was nun die technische Be-
handlung betrifft, so ist einleuchtend, daß das richtigere
Verhältnis; des Gedanken- und Stoffinhalts der Geschichte
auch zu einer klareren Einsicht in die wahren Forderungen
des Stils — denn der wahre Stil ist nur der Wiederschein
des Gedanklichen in der Gestaltung - und, nach der realen
Seite hin, des Kolorits sowie des ganzen Exterieurs füh-
ren muß. Dieser Fortschritt geht bis in's kleinste Detail
des Kostüms hinab, welches heutzutage überall, selbst von
mittelmäßigen Künstlern, realer, wahrer, geschichtlicher dar-
gestellt wird, als es selbst die größten Meister, wie Albrecht
Dürer und Raphael vermocht — aus dem einfachen
Grunde, weil wir es heute besser wissen.

Ganz anders verhält es sich mit der religiösen Ma-
lerei. Hier kann von einem Fortschritt in dem angedeu-
teten Sinne deshalb nicht die Rede sein, weil Das, was
den eigentlichen Inhalt des Dogmas ausmacht, ganz außer-
halb der Zeitanschauung und, durch den ihm unterliegenden
Grundbegriff des Wunders, gradezu aller blos geschicht-
lichen Anschauung gegenüber steht. Hier ist also von keiner
Aus- und Abklärung des Inhalts die Rede. Im Gegcn-
theil führt hier eine etwaige Aufklärung zur Auflösung
des Dogmas überhaupt und damit zur Vernichtung der
ganzen religiösen Malerei. Oder hält Jemand etwa im
Sinne der Lichtfrcunde und Deutschkatholiken — und wie
diese Sekten sich nennen mögen — religiöse Gemälde, die
diesen Namen verdienen, für möglich? Schon der luthe-
rische Protestantismus, weil er viele der poetischen An-
schauung zugehörendcn Punkte des Dogmas dem Verstände
 
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