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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0406

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bis er die Urelemente gefunden zu haben glaubt; Jenen
interessirt mehr der Geist, Diesen die sinnliche Natur, Jenen
der Himmel, Diesen die Erde, Jenen der Schöpfer, Diesen
die Schöpfung. Jener betrachtet lieber die intellektuelle
Seite des menschlichen Geistes, den Gedanken, an sich, und
als dessen Offenbarung das Wort (Myog), Dieser hat die
Thätigkeit des Erkenntnißvermögens einer Anzahl Katego-
rien als Grundformen des Denkens untergeordnet; Jener
huldigt der Kunst und gehorcht dem Gesetze der Schönheit,
Dieser will die Natur beherrschen und ringt nach Wahr-
heit; Jener verschmäht, behufs gefälligen, lebhaften Vor-
trages seiner Ideen, nicht die Einkleidung derselben in
dialogische Form und eine allegorische Bildersprache, Dieser
schreitet gleichmäßig fort in nüchterner, verständiger Prosa.
Aber jede dieser beiden Richtungen ist in ihrer Einseitig-
keit mangelhaft und unzuverlässig; erst in ihrem gegen-
seitigen Zusammenwirken können sie das angestrebte Ziel
erreichen, wie ja im Gebiet der Poesie auch Schiller und
Göthe diese Erfahrung an sich selbst gemacht zu haben
geständig sind. Und so scheint denn der Umstand, daß
Raphael dem Aristoteles grade die Ethik, dem Plato aber
den Timäus, Len einzigen gewidmeten Diolog, in die Hand
gegeben hat, ei» williges Eingehen ans die Ideen des Geg-
ners und eine entgegenkommende Verständigung zwischen
beiden Philosophen anzuzeigen.

Der Streit zwischen den Platonikern und Aristotelikern
dauerte nach dem Tode ihrer Anführer unvermittelt fort
und hielt die Scholastiker des Mittelalters in zwei große
Heerlager getheilt. Sogar die Päpste mischten sich in diese
Streitigkeiten und entschieden gewöhnlich zu Gunsten des
Aristoteles. Als aber bei dem Vordringen der Türken
nach Europa und den Versuchen, die griechische Kirche mit
der lateinischen zu vereinigen, mehrere gelehrte Griechen*')
nach Italien kamen, fand besonders in Florenz bei den
Mediceern das Studium des Plato günstige Aufnahme.
Cosinus von Medicis ließ den Sohn seines Leibarztes
Marsilius Ficinus außer der Medicin in der platonischen
Philosophie gründlich unterrichten und stiftete dann mit
Hülfe desselben in Florenz eine Akademie aus Anhängern
und Beförderern des Platonismus, welche noch zu Raphael's
Zeit in Blüthe stand und außer anderen den Enkel des
Cosmus, den edlen Lorenzo, nebst seinem frühreifen Sohne
Johann, dem nachherigen Papste Leo X., vor allen aber
den gelehrten Grafen Pico von Mirandola als Mitglieder
zählte. Auf dem Gemälde sind die genannten fünf Per-
sonen vor Plato so neben einander aufgestellt, daß Ficinus
den äußersten Flügel einnimmt, sein Nachbar Cosinus
dem Freuude die rechte Hand traulich auf die Schulter
gelegt hat und mit der Linken auf Plato als den Gegen-
stand seiner Wünsche zeigt. Da Ficinus als Arzt viel
Hause sein muß, so ist er gegen die schädlichen
Einflüsse des Weges und der Witterung mit Sandalen
versehen. De» mittelsten Platz nimmt ein der Graf Pica
von Mirandola, auch Fürst von Eoncordia genannt; er
ist mit einer -tiaca oder einem Barett bedeckt und hat,
während er lebhaft demonstrirt, an dein nicht schönen, aber
großgestalteten Lorenzo und seinem kleinen Sohne Johann

*).3u merken sind besonders Michael Chrisoloras und Pletho.

aufmerksame Zuhörer.*)

Schwerer ist es, die dem Aristoteles zugehörige Gruppe
zu bestimmen. Sehen wir uns nämlich dieselbe genauer
an, so sind, die erste Person abgerechnet, alle übrigen zu
zweien geordnet und eine oder zwei wie Frauen gestaltet.
Unstreitig gebührt der nächste Platz bei Aristoteles seinem
berühmten Schüler und Nackfolger, dem vom Meister selbst
so genannten Theophrast. Aber nach diesem entsteht eine
Lücke von 1300 Jahren, ehe sich ihm ei» nennenswerther
Genosse an die Seite stellen läßt. Den» während in den
Jahrhunderten vor und nach Christi Geburt aus der Ver-
mischung orientalischer Religionsshsteme mit platonischer
Enianationslehre sich der Neoplatonismus bildete und in
Alexandrien mit theils eklektischer theils mystischer Richtung
zur Herrschaft gelangte, lag das Studium der aristoteli-
schen Schriften darnieder, bis es zuerst von den Arabern
wieder ausgenommen wurde und seit Karl dein Großen
in den Klosterschulen einen integrirenden Theil des Unter-
richts — der sogenannten sieben freie» Künste — ausmachte.
Da nun im Mittelalter die Philosophie im Dienste der
Kirche stand und in den Schulen die Gestalt der Scholastik
annahm, so muß diese jedenfalls berücksichtigt werden; je-
doch gehören die Scholastiker nicht als Theologen hierher,
nur insofern sie sich als Dialektiker ausgezeichnet oder um
das Studium des Aristoteles verdient gemacht haben. Sonach
dürften neben Theophrast auf den zweiten bis siebenten
Platz die meisten Ansprüche haben Lanfranc und sein Schü-
ler Anselmus, Abälard und Heloise, Albert der Große
und sein Schüler Thomas von Aquino, wie sich aus Fol-
gendem »och genauer ergeben wird. Die bedeutendsten

Schulen im nördlichen Frankreich, welche der nachhaltigen
Wirksamkeit des ehrwürdigen Engländers Beda ihre Ent-
stehung und Berühmtheit verdankten, waren die von Al-
kuin gestiftete zu Tours und das Kloster Bec in der Nor-
mandie. In beiden wurden die Schriften des Aristoteles,
wenn auch nicht in der Ursprache, fleißig gelesen. Ueber-
hanpt gewann Aristoteles im Mittelalter eine solche Be-
deutung, daß er, obgleich ein Heide, divus genannt wurde,
philosophus allein ihn bezeichnet,: und seine Werke eine
der Bibel gleiche Autorität genossen. (Schluß folgt.)

*) Bisher hat inan auf Gerathewohl angenommen, daß
unter den fünf vor Plato stehenden Personen die vorderste
Alexander der Große (!), die mittelste Marsilins Ficinus, die vor-
letzte ein scholastischer, die letzte ein mystischer Mönch sei. Aber
was hat denn, um von den übrigen nicht zu reden, Alexander,
wenn er unter den Philosophen paradiren sollte, bei Plato zu
suchen? Als dieser starb, war der Königssohn erst acht Jahre alt
(geb. 356), Erzieher desselben aber (seit 343) Aristoteles. Folglich
würde Alexander vielmehr zu den Aristotelikern, als zu den Pla-
tonikern gehören, llnds wie paßt die Gelassenheit des Blickes
und der Stellung für den feurigen, hochstrebenden Alexander?
Andere gingen in ihrem blinden Eifer für den Alexander soweit,
daß sie den Aleibiades auf dem Gemälde zum Doppelträger bei-
der Rainen machten. Wir aber können uns überhaupt nicht für
die Ausnahme des maeedonischen Heldenkönigs in die Zahl der
Philosophen erklären, wenngleich bereits Plntarch (Moral. I, 298
ed. Reiske) den Antrag dafür gestellt und die arabischen Ge-
lehrten demselben Folge geleistet haben. S. aseh-Schahrastäni
Religionsparteien und Philosophenschulen, übersetzt von Haar-
brücker.
 
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