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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 12.1903

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Müller, Hanna: Gedanken über Tracht und Stil, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6693#0132

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Gedanken über Urachf und Stil, IL

Ein Kleidungsstück, das in erster Linie
auf das Stillstehen berechnet ist, ist von
vorneherein verfehlt, nicht nur aus prak-
tischen Gründen, sondern vielmehr noch aus
künstlerischen. Bei dem Mode-Kleid ent-
steht beim Ausschreiten, beim Überbeugen,
bei den alltäglichsten
Bewegungen das, was
der Dekorateur in sei-
nem Fach sehr richtig
als »falsche Falten«
(d. h. unfreie, verzerrte)
bezeichnet. Eine jede
Falte, die nicht aus
dem natürlichen Fall
der Textilien in jedem
betreffenden Moment
hervorgeht, ist ein
Unding; und gerade
die unendliche Reihen-
folge solcher wech-
selnden Momente und
ihr Ausdruck in dem
Material der Kleidung
bietet den Hauptreiz
des Erstrebenswerten.
Ein Stoff, der nicht
»mitgeht«, ist völlig
verfehlt; noch mehr ist
es eine Falte, die sich
durch keine Verände-
rung ihrer Lage aus
der Fassung bringen
lässt. Es sind das
Dinge, die an unsere
veralteten Theater-Vor-
hänge erinnern, die
ihren ganzen pompös
aufgemalten Falten-
wurf in ungetrübter Seelenruhe in die Lüfte
schweben lassen! — Aber auch hier fordert
der Stil keineswegs, dass die Bewegung
mehr offenbart, als gewünscht wird. Nur das
Falsche, den Thatsachen Widersprechende,
ist ein Verstoss; im übrigen ist auch hier
die Persönlichkeit des Trägers allein maß-
gebend und lässt zweifellos Abstufungen
von lichtesten Stoffen bis zu schwerstem

f. nigg—berlin.

Faltenwurf zu. Jedenfalls ist der schwerste
Faltenwurf, selbst, wenn er viel verbirgt, bei
weitem echter und künstlerisch haltbarer
als ein faltenlos glattes Belegen von rein
imaginären Formen, wie es nicht nur der
glatte Rock bietet, sondern auch das
halb nach Facon ge-
schnittene Jacket und
auch manche Reform-
Kleider. Wo ein Stoff
platt liegt, vermutet
man mit Recht eine
feste Form darunter.
Da nun die Kontur
des weiblichen Körpers
von der Armhöhle zur
Hüfte eine leicht ge-
schweifte Linie auf-
weist, so müsste hier
der Stoff in erhöhtem
Maß jedem Beweg-
ungs - Moment Rech-
nung tragen und keine
»Facon«, sondern die
äusserste Freiheit im
Fall haben. — In der
Kleidung wartet somit
unser eine Aufgabe von
echt künstlerischer Be-
deutung , welche das
Zusammenfassen von
vielgestaltigen Grund-
Bedingungen fordert.
Menschliches, dann
Weibliches, dann Per-
sönliches, Karakterist -
isches, soll darin zum
Ausdruck gelangen.
Aber nicht nur diese
Dinge im körperlichen Sinn, sondern durch-
flutet, durchkreuzt oder öfter ergänzt durch
die Empfindungen, die das Wesen unserer
Zeit und des betreffenden Einzel-Menschen
ausmachen. Es genügt eben doch nicht,
nur die Vorzüge der Körper - Formen von
Rasse oder Geschlecht hervorzuheben, um
die Forderungen des Stils zu erschöpfen.
(Forts, folgt.) Hanna Müller—Friedenau.

Promenade-Kostüm. Lob. Erit
 
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