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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 12.1903

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Carstanjen, Friedrich: Kunst und Kunst-Begeisterung, [1]
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47<3 Dr. F. Carstanjen—Nürnberg: Kunst und Kunst-Begeisterung.

JOSEPH SATTLER-BERLIN.

Aus dem Werke t>Ex librist.

Kunff und Kunff* Begeiferung,

So sehr uns auch schon der Begriff der
Entwickelung in Fleisch und Blut
übergegangen ist, so dass wir kaum
eine Erscheinung anders denn als Glied einer
ununterbrochenen Kette von Entwickelungs-
Momenten denken können, so zahlreich ist
doch noch die Gruppe derjenigen, welche
nicht festzuhalten vermögen, dass, wie über-
haupt jeder Zustand, so auch derjenige
unserer Kunst und Kultur unter dem Ent-
wickelungs - Begriff als ein Durchgangs-
Stadium zu betrachten ist. Sie nehmen trotz
der Kenntnis der Geschichte, welche allein
schon hinreichen sollte, hierüber aufklärend
zu wirken, immer das von unserer Zeit
Erreichte gedankenlos als einen Endpunkt
der Entwickelung an, ohne da-
rüber klar zu werden, dass
alles Gewordene nur
die Wurzel des Wer-

denden ist. Diese
Individuen können
nicht fassen, dass
unsere Kunst,
die Architektur,
Plastik, Malerei
unserer Tage,
einmalverlassen
werden könnte,
und dass einmal
ganz andere For-
men, Linien und
Rhythmen gefun
den werden könnten,
unter denen sich alle
Künste verändern, er-
neuen, verjüngen. Sie sehen
nicht, dass um sie her immer

JOS. SATTLER

wieder die Erde aufbricht und junge Kräfte
emporwachsen unter derselben alten Sonne,
aber unter unaufhaltsam sich ändernden
Verhältnissen. Sie sehen es nicht, weil diese
Änderung langsam vor sich geht, wie das
Wachsen unserer Kinder, und dem Einzelnen
in der kurzen Spanne seines Lebens nur
bemerkbar wird, wenn er in einer Muße-
stunde den Blick rückwärts wendet und
durch den Guckkasten der Geschichte sich
vor Augen führt, wie anders es früher war.

Die anderen Verhältnisse in Verbindung
mit den darin lebenden, neue Reize suchen-
den Individuen bedingen andere Gewohn-
heiten und Bedürfnisse, andere Geistes-
Übungen und Produkte. Und so prägt sich
jede Zeit ihren Karakter, wie eine
Münze, die sie ausgibt ohne
andere Rücksicht als
die des unmittelbaren,
praktischen Wertes.
DasEntstehn neuer
Kunst-Formen zu
bestimmten Zei-
ten ist unwider-
spr echbar e That-
sache, u. glück-
lich sollten wir
uns schätzen, in
einer Zeit zu
leben, die Zeuge
dieser Neugeburt
ist. Wir stehen
dabei vor einem der
merkwürdigsten und
rätselhaftesten Vorgänge
menschlicher Schaffens-
Fähigkeit. (Fortsetzung folgt.)
Aus »Nibelungen«.. VI. Gesang.
 
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