Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 18.1906

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Ein moderner Kunstsalon in München
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8554#0142

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EIN MODERNER KUNSTSALON IN MÜNCHEN.

Mancherlei ist in den letzten Jahren über
die Aufgaben und Reformbedürftigkeit
des Kunsthandels theoretisiert worden. Ich
habe heute von einem Unternehmen zu
reden, das die Frage des Kunsthandels ihrer
idealen Lösung praktisch einen guten Schritt
näher bringt. Der Kunstsalon Brackl (in
Firma: Moderne Kunsthandlung) ward selbst
in München, das doch schon eine ganze
Reihe ähnlicher Etablissements besitzt, als
ein Ereignis empfunden und begrüsst. Die
Press-Stimmen, die bei seiner Eröffnung vor
wenigen Monaten laut wurden, legen davon
hinlängliches Zeugnis ab. Der Eigentümer,
Kammersänger F. J. Brackl, der frühere ge-
feierte Tenor und Direktor des Gärtnerplatz-
Theaters, hat mit der so oft gehörten Forde-
rung, dem Publikum nur Gutes zu bieten,
zum erstenmale völlig Ernst gemacht, und
das gibt seinem Unternehmen das vornehme
und im höchsten Grade gediegene Gepräge.
Es war wie gewöhnlich das Ei des Kolumbus.
Bisher hielt sich der Kunsthandel in München
für verpflichtet, trotz der zweifellos vor-
handenen besseren Einsicht auch dem min-

190G. IX. 1.

der differenzierten Geschmacke entgegenzu-
kommen. Er passte wenigstens teilweise
sein Angebot der Nachfrage an und war
beherrscht von dem Grundsatze der »Be-
dienung des Marktes«, der überhaupt den
deutschen Handel kennzeichnet und neben
grossen Vorzügen auch eine Reihe von
Nachteilen im Gefolge hat. Die Kunsthändler
wagten es nicht, ihr Publikum, ihren Kunden-
kreis freiwillig zu beschränken, wie das
zunächst jeder tut, der in erster Linie den
idealen Standpunkt, in zweiter Linie das
Streben nach grösstmöglichem Absatz zum
Worte kommen lässt. Der Kunstsalon Brackl
hat diese Beschränkung vorgenommen, eine
Beschränkung, die doch auf die Dauer von
den besten geschäftlichen Folgen begleitet
sein kann und muss. Denn was das minder
gebildete Publikum abstösst, zieht die fort-
geschritteneren Volkskreise an. Beschränkung
ist nicht bloss Negation, sondern Auslese,
und so kann es sehr wohl kommen, dass
der weitsichtige Geschäftsmann, der sich
von der sinnlosen Tyrannei der Nachfrage
befreit, gerade deshalb diejenigen, für die

537
 
Annotationen