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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Michel, Wilhelm: Goethe und die bildende Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0075

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zwischen Eberlein und Rodin zu wählen hat,
gibt er dem ersteren den Vorzug. Literarisch hat
er verschiedentlich dasselbe getan.

Es ergibt sich also: Von den Bedingungen des
Kunstschaffens, von dem Bestandteil »Aus-
druck«, der in allem Kunstschaffen steckt, weiß
der theoretisierende Goethe nichts. Wenn der
Künstler äußere Natur in seine Werke brachte,
da fühlte er sich wohl sympathisch berührt.
Deshalb jubelte er den Niederländern zu. Dem
Streben, innere Natur, innere Wahrheit in das
Kunstwerk zu tragen, stand er fast verständnislos
gegenüber. »Wahr«, »Schön« sind für ihn ob-
jektive Kennzeichnungen, die sich lediglich auf
das Stoffliche des Bildwerkes beziehen. Unange-
fochten von jeder Bedenklichkeit der Erkenntnis-
kritik, dem psychologisch - secierenden Streben
geradezu feindlich gesinnt, weiß er die durchaus
subjektive Artung des ästhetischen Verhaltens
nicht zu würdigen. Junge Künstler, »selbst
solche, die in Italien gewesen sind«, beleidigen
sein Auge in ihren Landschaften durch grelle,
harte Farben-Zusammenstellungen. Und wenn
er sie fragt, warum sie das tun, so sind sie
kühn genug, ihm zu antworten, sie sehen die
Natur genau auf diese Weise. So schreibt er
das in seinen »Sprüchen« hin, ohne Kommentar,
die Antwort der jungen Naturalisten nicht einmal
einer Widerlegung würdigend. Er sah nicht das
Verdienstliche, das fortschrittliche Prinzip in
diesem Streben nach unakademischer Naturwahr-
heit. Er sagte sich nicht, daß dieses Streben
jedenfalls tausendmal hoffnungsvoller war als die
sklavische Nachahmung älterer Muster. Ihn be-
leidigten die Farbenzusammenstellungen, und des-
halb lehnte er das Prinzip ab, das ihnen zu
Grunde lag. Es ist kaum möglich, Dinge der
Kunst äußerlicher aufzufassen, als es hier von
Goethe geschieht. Ihn beleidigte auch das Stoff-
liche in Schillers »Räubern«. Er findet in
ihnen nur die moralischen Paradoxen zu tadeln,
von denen er sich zu reinigen gestrebt hatte, wird
aber von der künstlerischen Kraft, dem Feuer
der Gestaltung, die darin toben, keinen Augen-
blick sympatisch berührt. Sein Urteilsstandpunkt
ist nie und nimmer der artistische, sondern
stets nur der menschlich-ethische. Das ist ein
Anzeichen gewaltiger, ehrfurchtgebietender Öko-
nomie, ein Anzeichen von großartiger Hygiene,
aber nicht von einem wirklich kritischen Geist,
nicht von echtem, tiefem Erfassen der Grundlagen,
auf denen die Kunst beruht. — Was von der Antike,
die Goethe in Italien suchte und fand, zu halten sei,
hat kürzlich Arthur Moeller van den Bruck im
6. Bande seines Werkes >Die Deutschen« tempera-
mentvoll und richtig ausgesprochen. Da Goethes Be-
 
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