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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 22.1908

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Michel, Wilhelm: Vom Monumentalen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7006#0395

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Vom Monumentalen.

VOM MONUMENTALEN.

VON WILHELM MICHEL.

Die subjektiven Bedingungen des Kunst-
schaffens sind immer und überall ge-
geben, die objektiven nicht. Das heißt
mit andern Worten: Künstler gibt es zu
jeder Zeit und unter jedem Volke, aber nicht
alle Zeiten sind künstlerische Zeiten insofern
als sie dem Produzierenden willig zum Stoffe
seiner Gebilde werden.

Die Kunst ist ein zeitlos Ding, sagen
manche Ästhetiker. Gewiß; sie ruht auf
ewigen Voraussetzungen. Die typische Situation
des Künstlers gegenüber dem Leben und der
Welt bleibt sich immer
gleich, kehrt immer
wieder. Die Grund-
gesetze des künstle-
rischen Schaffens lau-
ten ebenso beim Pfahl-
bauern, der unbehol-
fene Tierumrisse auf
Schiefertafeln ritzt wie
bei Millet, der den
»Frühling« malt. —
Der allgemeinen Form
nach ist das, was
der Künstler darstellt,
ewiger Natur. — Aber
dieses Ewige muß von
einem in der Zeit
gefangenen Menschen
jedesmal neu erlebt
werden. Nicht an
feste Formen und
Gestalten ist es ge-
bunden, wie etwa
die Anhänger der
früheren idealistischen
Kunst - Theorien ge-
glaubt haben. Erleben
muß es der Künstler,
der ein Kind seiner
Zeit ist, und in der
Sprache seiner Zeit
muß er es darstellen.
Die Erscheinung des
Ewigen wechselt pro-
teisch ihr Ansehen,

ALBIN MULLER.

Elfenbein-Schnitzerei ausgeführt von Otto Glenz—Erbach 1. O.
Montierung in verg. Silber: Juwelier Rieh. Müller—Darmstadt.

und diejenigen, die es am starrsten auffassen,
werden ihm am wenigsten gerecht.

Solange sich der Künstler nun begnügt,
seine reine sinnliche Empfindung zum Stoff
seines Schaffens zu nehmen, so lange läuft er
nur geringe Gefahr, das Ewige zu verfehlen.
Ein Stück Natur, mit frischen, kräftigen Sinnen
aufgefaßt und ohne viel Umschweife, ohne
Schnörkel und Grübelei dargestellt, das hat
zu jeder Zeit gültige, reine, ja hervorragende
Kunstleistungen ergeben. Selbst die radikalsten
Skeptiker bezweifeln heute nicht mehr, daß
unsere Leistungen auf
dem Gebiete der Land-
schaftsmalerei , der
Kleinplastik, des lyri-
schen Gedichtes Ewig-
keitswert besitzen. —
Ganz anders liegt die
Sache, sobald der
Künstler den Boden
der reinen sinnlichen
Empfindung verläßt,
sobald er es unter-
nimmt, Größeres dar-
zustellen als einfache,
konkrete Erlebnisse.
— Das größte Erleb-
nis ist für uns alle
die Zeit, das heißt,
jene große Vereini-
gung eigenartiger For-
men und Kräfte, die
wir in unserem inner-
sten Leben und im
Leben unserer Mit-
menschen wirksam
fühlen. Sie strebt, ihr
Ewiges unermüdlich
durch den Mund der
Künstler zu enthüllen,
und jeder, auch der
Kleinste, arbeitet an
der Ausführung dieses
Auftrages mit. Die
ideale Ausführung die-
ses Auftrages liegt

Tabernakel.

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