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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

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Utitz, Emil: Das Persönliche im Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0134

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Dr. Emil Utitz—Prag:

PROF. ADOr.K HENGELER—MÜNCHEN.

»Die Isar«, Gemälde im Treppenhaus, Haus Brakl.

niemals sein wird!" Es ist die höchste und
schwerste Aufgabe des Künstlers, denn sie ist
unlernbar, wo die Grundbedingungen fehlen:
die große Persönlichkeit.

Ich sage absichtlich: „große Persönlich-
keit". Denn was man heute „persönliche Note"
nennt, ist häufig nur ein Bestreben, durch
Seltsamkeit aufzufallen und durch originell-
sein-sollendes Gehaben über die innere Ar-
mut hinwegzutäuschen. Der kleine Künstler
bleibt entweder im zufällig Individuellen
stecken oder verliert sich in die blassen Schat-
ten abstrakter Schemen; dem großen Schaf-
fenden aber vertieft und erweitert sich sein
Erleben, indem er es ausdrückt ; es entkleidet
sich aller Nichtigkeit und steigert sich zu
ruhiger Hoheit. Oder in anderen Worten: aus
dem kleinen Künstler hallt immer nur sein Ich;
aus dem großen aber die ganze Welt. Und in
dieser Steigerung zum Typisch-Allgemeinen,
das greifbar und faßbar, unmittelbar uns er-
greift, offenbart sich das künstlerische Tem-
perament in stärkstem Maße; allerdings nicht
ungebändigt, wie das Dahintollen eines Wild-

baches, sondern auch geformt und geadelt,
mit dem Ewigkeitszuge in sich. Und so über-
dauert das Erleben einer Stunde den Zug der
Jahrhunderte, und immer und immer wieder
strömt es wonniges Genießen aus, erwärmen-
des Nachfühlen.

Töricht war es, das künstlerische Schaffen
auf bestimmte Motive beschränken zu wollen,
indem man manche als „erhaben" anpries,
andere als „niedrig" verwarf. Nicht im Motiv
liegt Erhabenheit oder Niedrigkeit, lediglich
im Künstler, der sich seiner bemächtigt und
es darstellt. Eichendorff wagt es — mit Recht
— zu behaupten, nichts in der Welt entbehre
der inneren Poesie, die nicht vom Künstler
zum Leben erweckt werden könnte:
„Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort."

Und dieser Zauberer mit der Wünschelrute
in der Hand ist der Künstler, der dort Wasser
findet, wo andere nur dürren Sand vermuten.
Und die Wunder seiner Wünschelrute wirken

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