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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 44.1919

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Schulze, Hanns: Erich Waske, Berlin
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Michel, Wilhelm: Über die Natur im Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0035

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Erich Waske Berlin.

Mondscheibe im Hintergrunde noch etwas Kon-
ventionelles und am Individuellen haftendes
besitzt, ist das Bild seiner Frau vor dem See
absoluter, klarer und reiner gestaltet.

Stärker aber noch als in seinen Porträts zeigt
sich bei Waske sein ausgeprägt expressioni-
stisches Kunstwollen in seinen Landschaften,
von denen eine, und zwar eine der reifsten,
eine „Landschaft aus Pommern" soeben die
Berliner National-Galerie als eines der ersten
neueren Bilder erwarb. Diese Landschaften,
von denen die abgebildete „Elblandschaft" ein
ausgezeichnetes Beispiel ist, sind klar und groß
komponiert. Alles Überflüssige ist weggelassen
und nur der starke Natureindruck als solcher
zur malerischen Darstellung gebracht.

In der letzten Zeit hat sich Waske vornehm-
lich mit religiösen Themen beschäftigt. Ein
„Gottvater über den Wassern" zeigt eine ins

Expressionistische übertragene Anlehnung an
Michelangelo; eine großfigurige „Kreuzigung"
ist trotz sehr gelungener Einzelheiten und tiefer
Empfindung als Ganzes nicht vollkommen. Die
Eindrücke der russischen Revolution verdich-
teten sich ihm zu einem Riesenbilde „Chaos ,
das in fast unerträglicher Drastik die Schrecken
des Bruderkrieges zu bannen sucht. Eine Reihe
sehr gelungener Zeichnungen zu den Offen-
barungen Johannis, die in Buchform erscheinen
sollen, sind die letzten Arbeiten des jungen
Künstlers. Sie zeigen ihn noch klarer, be-
wußter auf dem Weg zur Monumentalität als
in seinen letzten Bildern.

Wird Waske noch letzte Schwächen der Ko-
loristik ablegen, wird er zu größerer Geschlos-
senheit und Einheit gelangen, so können wir
in ihm einen der hoffnungsvollsten der Berliner
jüngeren Künstler begrüßen.........h. sch.

ÜBER DIE NATUR IM KUNSTWERK.

VON WILHELM MICH EL.

Mit dem Worte „Synthese" hat der Mün-
chener Kreis um Kandinsky vor etwa acht
Jahren sein neues künstlerisches Ziel umschrie-
ben. Das Wort ist inzwischen verschwunden,
aufgesaugt von dem sinnfälligeren und streit-
bareren Begriffe „Expressionismus", der die
Unterscheidung vom Impressionismus deutlicher
hervorhob. Namen sind nun freilich in solchen
Fällen kaum mehr als Symbole, an denen sich
die Geistesverwandten erkennen. Sie sind
Schlachtzeichen, um die sich die Gesinnungen
scharen. Doch darf daran erinnert werden, daß
„Synthese" eine Grundoperation des Expres-
sionismus, die Verschmelzung der Naturgege-
benheit mit geistigen Elementen im Kunstwerk,
sehr eigentlich und treffend benennt.

Das dem Laien Auffallendste am expressio-
nistischen Kunstwerk ist zweifellos das ge-
spannte Verhältnis zum Naturvorbild. Die Ab-
weichungen, die das Kunstwerk davon aufweist,
sind ihm zunächst unverständlich und scheinen
ihm willkürlich. Er kennt die Quelle nicht, aus
der die gewaltsame Umdeutung der Formen
fließt. Er sieht in der Nüchternheit, die wir ihm
als Recht zubilligen müssen, die Naturgegeben-
heit so eindeutig vor sich, daß er sie für das
absolut Sichere hält. Umformung durch künst-
lerische Vision verwirrt ihn, weil sie ihm den
bisher gewohnten Ausgangspunkt raubt.

Dem Laien fehlt die Erkenntnis, daß Natur
in ihrem gewaltigen, menschenfremden An-
Sich nur dann in das Kunstwerk emdringen
kann, wenn zunächst einmal die Buchstabhch-

keit der Erscheinung wegfällt. Natur wird im-
mer für den Künstler eine große Sache sein.
Aber je mehr er erkennt, was Natur an sich ist,
desto klarer wird er auch das Störende, Wesen-
verdunkelnde ihrer buchstäblichen Einzelform
erkennen. Denn Treue der Einzelform im Kunst-
werk täuscht eine falsche Vertrautheit vor. Sie
wiegt uns in eine durchaus unbegründete Fa-
miliarität mit der Natur ein und läßt uns gerade
dadurch das Entscheidende, das Uralte und
Menschenfremde ihres Wesens, illusionistisch
mißkennen. Je buchstäblicher ich eine Einzel-
form einfange, desto sicherer entgleitet mir ihr
Geist. „Darum, wer den Geist zu buchstabie-
ren meint, der buchstabieret zuverlässig etwas
anderes", heißt es bei Jacobi.

Dem echten Naturfreund ist damit freilich
kaum etwas Neues gesagt. Je näher wir als
Menschen der Natur kommen, je inniger unser
Gefühl die Linien der veilchenfarbenen Berge
nachzeichnet oder das Untermusikalische eines
Baumrauschens empfindet, desto mehr weicht
das alles ins Unerkennbare und Unzugängliche
zurück. Es ist dies freilich alles andere eher
als eine kalte oder abstoßende Unzulänglich-
keit. Es ist die Fremdheit des Heiligen, die
Entlegenheit des Paradieses, die wohl die bür-
gerliche Vertraulichkeit entfernt, aber dafür
Pforten zur Urheimat öffnet. Denn auch wir
selbst kommen aus Unerkennbarem und sind
ihm innerlich tiefer verwandt als dem familiären
und berechenbaren Schein. Soll also Natur
wirklich vom Menschen gegeben werden, so

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