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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 44.1919

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Bendemann, Eduard: Die "Freien" Künstler
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Gleichen-Rußwurm, Alexander von: Zu den Ketzereien über Malerei, [1]: ein Nachwort
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https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0328

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Die -»freien«. Künstler.

Cezanne, van Gogh, Hodler haben zweifellos
auf die neue Architektur und das neue Kunst-
gewerbe ausschlaggebend eingewirkt. — Alle
diese für sich schaffenden und suchenden Künst-
ler nun wurden zu dem, was sie sind, nicht in
gehorsamer Unterordnung unter einen bestehen-
den Stil — sie haben sich wohl wie Puvis de
Chavanne und Hodler bei Wandmalereien mög-
lichst in die gegebene Architektur eingefügt, doch
nur so weit, als sie dabei dem Prinzip der Fläche
überhaupt gehorchten — sondern dadurch, daß
sie ihre eigene künstlerische Individualität aus-
bildeten, oft genug im Gegensatz zu dem herr-
schenden Stil. Dies geschah stets im unmittel-
baren Kontakt mit der Natur, die neu zu sehen
und zu gestalten sie sich bemühten. Sie sind
das eigentliche Auge der Menschen, sie formen
das Sehen, auf dem alle bildende Kunst beruht.
Denn auch die Architektur und das Kunst-
gewerbe sind zuletzt abhängig von der Art, wie
gesehen wird, ob linear oder malerisch, ob
flächenmäßig oder tief, ob „klar" oder „unklar",
um die Kategorien Wölfflins anzuwenden.

Auch bei der jetzigen Stilbewegung handelt
es sich wiederum um eine solche Umstellung
des Sehens, nämlich um eine Rückkehr zum
Linearen, Flächenmäßigen, Tektonischen. Ge-
rade wie in der Zeit um 1800, an die die heutige
Bewegung stark erinnert, werden damit auch
innere Motive verknüpft: in der Klarheit,Reinheit
undStrenge der Formen werden zugleich ethische

Qualitäten gesehen; der strenge Stil wird nicht
nur als Stil katexochen, sondern auch als sitt-
liche Pflicht hingestellt. Aber gerade wie damals
kommen auch heute die freien Künste in die
Gefahr, von ihrem Wesentlichsten opfern zu
müssen, wenn sie ihre eigenen Probleme zu
Gunsten des Gesamtstiles vernachlässigen. Wie
damals durch den Klassizismus droht heute der
Malerei durch den „neudeutschen Stil", so viel
Gutes dieser auch sonst mit sich gebracht hat,
die Gefahr, von ihrem Lebenselement, der
Natur, abgeschnürt zu werden. Damit aber
würde die bildende Kunst des lebenspendenden
Faktors beraubt werden, des einzig erneuernden
und vorwärtstreibenden Prinzips. Jeder Stil
würde sich totlaufen, die Kunst würde in einen
Zustand der Starre geraten, wenn nicht von
Zeit zu Zeit aus der Natur selbst den Formen
neues Leben zugeführt würde. Dies aber
geschieht durch die großen Einsamen, die Auge
in Auge mit der Natur kämpfen, nicht durch
die Schulen und Werkstätten, in denen der
Stil bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet und
propagiert wird. Daher ist auch das Suchen
und Ringen der Einzelnen, auch wenn es noch
so losgelöst vom Ganzen erscheint, nichts
Egoistisches, sondern letzten Endes etwas
eminent Soziales. Das Wort „Kunst für die
Kunst", auf das die kleinen Begabungen sich
gewiß nicht berufen dürfen, bedeutet für die
Schöpferischen: Schaffen für das Ganze.

ZU DEN KETZEREIEN ÜBER MALEREI.

EIN NACHWORT VON A. V. QLEICHEN-RUSSWURM.

In seinem Aufsatz über die „Freien" Künstler
hat Ed. v. Bendemann meine Anregung auf
genommen und einiges über den Unterschied
zwischen großer und kleiner Begabung gesagt,
was ich vollkommen gerechtfertigt finde. Die
große Begabung steht über der Regel, in der
Kunst wie auf jedem anderen Gebiet. Wenn
ein Lionardo „Kunst für die Kunst" treibt, um
Probleme zu lösen, bedeutet es gewiß „Schaffen
für das Ganze". Darin gebe ich Bendemann
unbedingt Recht. Aber es ist meines Erachtens
wirklich eine Verirrung, wenn die Gesamt-
richtung einer Kunst darauf ausgeht, künst-
lerische Probleme zu lösen. Die gesamte Jugend,
die noch nichts kann und die gesamte Durch-
schnitts-Reife, die genug kann, um unter Führung
Erfreuliches zu leisten, aber sich selbst über-
lassen nur aus dem Grund problematisch ar-
beitet, weil sie nicht praktisch arbeiten kann,
diese Gesamtrichtung darf nicht in das Zweck-
lose schaffen, ohne die Kraftzuhaben, aus diesem
Zwecklosen einen innerlichen Zweck, ein künst-

lerisch bleibend Wertvolles zu kristallisieren.
Wir haben ein zahlreiches Kunstproletariat, das
ich dahin lenken möchte, im Dienst der großen
Sache, der Allgemeinheit tätig zu sein. Dies
kann es nur im Dienst der Architektur, die
übrigens dem Maler in Bezug auf Flächenbe-
handlung vollständig freie Hand läßt und der
Phantasie genug Spielraum gewährt, wenn die
betreffenden Maler den Geschmack besitzen,
sich einzustellen in den leitenden Baugedanken.
Man denke nur an die vatikanischen Zimmer,
man denke an die französischen Stilarten des
17. und 18. Jahrhunderts, man denke selbst
an den Biedermeierstil, wo er als vollendete
Innendekoration ins Auge tritt.

Daß auchdieseStilevonKünstlernschöpferisch
durch eine neueingestellte „Kunst des Sehens"
befruchtet und beeinflußt wurden, ist ebenso
selbstverständlich, wie daß jene künstlerischen
Führer „Kunst für die Kunst" treiben mußten,
ehe ihr Versuch des Neuen zum vollgestalteten
Werk werden konnte.....(schluss sehe 339.)
 
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