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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 44.1919

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Habicht, Viktor Curt: Paradoxe in der Kunstbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0215

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PROF. EMIL ORLIK—BERLIN. GEMÄLDE » BREST-LITOWSK t

PARADOXE IN DER KUNSTBETRACHTUNG.

Die Malerei ist plastisch, die Plastik male-
risch ; ägyptische Kunst ist gotisch, Gotik
ist barock; die Malerei ist eine Zeit-Kunst usw.
Die Verwirrung der Begriffe überstürzt sich.
Alles ist ein Brei. Feste Grenzen sind verpönt;
schwer errungene Erkenntnisse verlacht. Eine
ungeheure Sucht der Geistreichelei macht sich
breit. Die Epigonen eines Oscare Wilde sind
Legion. Die Paradoxe ist Trumpf. Die Be-
hauptung, daß die Wahrheiten von heute Para-
doxe von gestern sind, gibt bequemste Stütze.
Schließlich ist an Allem etwas Wahres. (Schwarz
ist weiß, heiß ist kalt, Eins ist All usw. Natür-
lich! Demonstrandum est. Relativität unserer
Erkenntnisse. Aber kein Grund, Staat damit
zu machen.) Also um Gotteswillen keine kla-
ren, brauchbaren Begriffe, sondern Ungewöhn-
liches, Aufblasen eines Begriffteilchens, Pars-
pro-toto-ismus bis zum äußersten, Denkbol-
schewismus um jeden Preis.

Anfangs war das Spiel ganz nett. Man sah
die Gründe und ließ gewähren. Der Wahn, daß

die Tatsachen abgeschlossen vorliegen, daß des
Sammeins und Materialbeschaffens genug sei,
daß es nun höchste Zeit wäre, synthetisch vor-
zugehen und den Kern des an sich riesig an-
gewachsenen Stoffes herauszuschälen, sind die
offensichtlichen Ursachen und Gründe. Man
glaubte der Kärrnerarbeit entwachsen zu sein.
Das konnte man. Nur war der Wahn, ihr ent-
raten zu können, falsch. Ich behaupte, daß der
Kunstgeschichte noch heute trotz ihres unge-
heuren Stoffes mehr mit Erschließung eines un-
bekannten Werkes als mit den geistreichsten
Interpretationen gedient ist. (Überdies gehört
mehr Geist, Findigkeit, Kunstverständnis dazu,
ein neues Bild von Grünewald etwa zu ent-
decken, als die geistreichste Abhandlung über
ihn zu schreiben.) Ich möchte damit die Be-
rechtigung kunstwissenschaftlicher ästhetisie-
render Betrachtungen nicht verneinen. Sie
haben sogar einen sehr großen Wert. Nur sollte
man nicht vergessen, daß sie letzten Endes
subjektive Geschmacksäußerungen sind (selbst

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