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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 44.1919

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Roessler, Arthur: Wiener Künstlervereinigung "Freie Bewegung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0092

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ENTW. U. AUSF: OTTO JANDER BERLIN.

»ADRESSEN-KASSETTE [N SILBER«

WIENER KÜNSTLERVEREINIGUNG »FREIE BEWEGUNG«

ZU DEN ABBILDUNGEN SEITE 26-36.

Wenn nicht gewisse Zeichen trügen, dann
ist die Zeit nicht mehr fern, in der die
Menschen vom Künstler begehren werden, daß
er nicht länger mehr eitel Fähigkeiten, Gelerntes
undGeschautes verantwortungslos in sogenannte
„edle Genußmittel" umgewandelt zur Schau
stelle und dafür Ehre und Gold einheimse, daß
er nicht mehr anderen und sich selbst „was
vormache", sondern daß er mit der Kraft
inbrünstigen Glaubens und dem Glauben an
die Kraft seines reinen Willens in sinnfälligen
Ausdrucksformen von seinen Forderungen und
Überzeugungen gleichsam eidesstattliches Zeug-
nis gebe wie vor einem Gericht, das über Leben
und Tod beschließt. Wer von den Künstlern
nicht so wird tun können oder mögen, der
wird für eine entgeistigte Nachkommenschaft
Nutzloses hervorbringen, die möglicherweise
auch dann noch und gewissermaßen außerhalb
der menschlichen Gemeinschaft vegetiert. Der
neuen Gesellschaft, die sich in unseren Tagen
zu entwickeln beginnt, wird 0 berf lächenbetrach-
tung und Genußwunschbefriedigung durch die
Wiedergabe altbeliebter Gefallsamkeiten vor-
handener Naturschönheiten nicht mehr genügen.
Im Kunstwerk wird wieder Geist sein müssen,
Geist und Liebe und Güte, die beseelten Mächte,
die den Menschen wahrhaft beglücken. Und
zwar wird mehr noch von Liebe und Güte als
von Geist darin sein müssen, weil sich der
Mensch nicht glücklich denken, nur glücklich
fühlen kann; was auch Friedrich Schlegel er-

kannt hatte, der seinem Bruder August Wilhelm
schrieb: „ Wenn ich beten könnte, würde ich Gott
nicht um Verstand, sondern um Liebe bitten."

Kunst als menschliche Leistung, die bewußt
mehr und höheres als ästhetische Parteipolitik,
die moralisches Erdendasein verwirklichen will,
strebt vielleicht — ich sage ausdrücklich nur:
vielleicht! — die neue Wiener Künstlergruppe
„Freie Bewegung" an. Ihre erste, rasch im-
provisierte Ausstellung in einem Notlokal läßt
keine bestimmtere Aussage zu, denn sie ver-
anschaulichte keine große und starke Bewegung,
nur den Anfang einer Bewegung überhaupt.
Die in der „Freien Bewegung" zusammenge-
schlossenen jungen Künstler und Künstlerinnen
mögen sich innerlich mehr innig als heftig bewegt
fühlen, und zwar von dem sehnsüchtigen Ver-
langen, die Malerei, die zeichnenden Künste
und die Bildhauerei zu einer geistig initiativen
allgemeinmenschlichen Angelegenheit zu machen.
Sie scheinen die Macht der von ihnen ange-
strebten Wirkung nicht in den technischen
Mitteln zu suchen, mit denen man Naturformen
zu imitieren vermag, sondern in der Kraft
geistiger Gestaltungen, in der Verwirklichung
von Überzeugungsformen bewußt gehegten
Glaubens undauf reine Ziele gerichtetenWollens.

Zu den verheißungsvollen Trägern dieser
Wunschgefühle und Gedanken gehören inner-
halb der sich stetig vergrößernden Gruppe
Janka Großmann, H. Funke, F. Salvendi, K.
Zirner und Richard Dillenz. Das, was einmal

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