Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 44.1919

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Grundloser Optimismus
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0116

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
GRUNDLOSER OPTIMISMUS.

Das Wort vom „grundlosen Optimismus" hat
sich erhalten, seine Entstehung ist dem
Bewußtsein Vieler entschwunden. Hieronymus
Lorm war sein Schöpfer; es steht als Titel über
einer seiner persönlichsten Schriften. Als er
sie schrieb, war er stumm, taub und blind, in
grauenvoller Weise (grauenvoll wenigstens für
die Einfühlung) von der Außenwelt abgeschlos-
sen, die er als Dichter lieben und ersehnen
mußte. In denkerischer Hinsicht war er über-
dies gleich seiner ganzen Zeit mit der hart-
pessimistischen Stimmung der Schopenhaueri-
schen Philosophie belastet. Von ihr ging er
aus, und sie schwingt noch fühlbar durch das
genannte Buch, selbst durch seinen Titel, der
den in tapferster Seelenarbeit errungenen Op-
timismus als einen unbegründbaren, rein intel-
lektuell nicht zu rechtfertigenden hinstellt. So
unwiderlegbar schien dieser Zeit Schopenhauers
kritische Weltverzweiflung, diese harte, mate-
rialistisch gestimmte Gnosis, die aber gerade
wegen dieser Härte das einzig zulängliche Werk-
zeug war, die blinde, ungeistige Verlorenheit

dieser Zeit an die äußere Welt zu bestreiten.
Eben dadurch wird Lorms „Grundloser Opti-
mismus" zu einem der tapfersten Bücher des
letzten Jahrhunderts. Gegen einen Widersacher
von riesiger Kraft stellte er eine optimistische
Weltbewerfung auf, obschon diese durch sein
eigenes grausames Geschick zehnfach widerlegt
schien. Wir, die wir mehr vom Wesen des
Menschen zu wissen glauben, sehen sofort eine
Erklärung: Vom Äußeren abgeschlossen, geriet
Lorm in den Bereich des inneren Schäuens
und Hörens und da fand er unausweichlich das
wieder, was die Vernunft zu zerstören unter-
nommen hatte: Vertrauen, Einblick in die
wesentlichen Werte, Liebe zum Geschick. Un-
beweisbar, gewiß; aber als unumstößliche Tat-
sache dem inneren Schauen gegeben; grundlos,
unbegründbar, aber auch unwiderleglich.

Dem Kultur-Pessimismus, der sich heute mit
mehr Recht als je aufdrängt, besonders mit
Hinblick auf die deutschen Zustände, möchte
ich das Bildnis des alten Hieronymus Lorm ent-
gegenhalten. Man sieht da einen Kopf mit
 
Annotationen