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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 44.1919

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Gurlitt, Cornelius: Neueste Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0042

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Aretieste Kunst.

selbständige Kräfte geweckt, die Großes ge-
leistet und andere befruchtet haben. So erging
es auch bei uns. Die jüngste Kunstbewegung
ist stark geworden in einer Zeit des Abge-
schlossenseins von allem Fremden. Trotzdem
lebt sie und breitet sich aus.

Und sie erreicht dies, weil sie Großes will.
Dies zu leugnen, wäre eine Ungerechtigkeit.
Vielleicht will sie zu Großes, wenigstens wenn
man den Worten ihrer Verteidiger glauben will.
Man sehe dabei hinweg über manche Über-
treibungen, über die Versicherungen, daß nun
zum ersten Mal die echte Kunst gefunden, das
nie Erreichte endlich zu kommen bereit sei.

In einem ist die junge Schule freilich neu,
in der Ablehnung der Naturwahrheit. Neu auch
gegenüber der Frühkunst der Germanen, die
eine ganz andere Stellung zur Natur und ihrer
Wiedergabe durch die Kunst hatten: Sie schufen
mit „Phantasie", das ist ein Begriff, der viel
klarer durch Einbildungskraft übersetzt wird.
Das heißt: sie bildeten in das Abbild der Natur
nicht Vorhandenes hinein. Sie sahen in grauen
Weiden die Töchter des Erlkönigs. Und sie

versuchten das Märchenhafte mit zur Darstellung
zu bringen, nicht bloß Natur, sondern zugleich
ihre Traumgesichte wollten sie geben.

Ganz anderes will die jüngste Kunst. Auch
sie will zwar nicht schöne Natur wiedergeben,
sondern einen frei empfangenen Gedanken.
Und diesen will sie von denErscheinungsf ormen,
von den Äußerlichkeiten der Natur los lösen
und in reiner Gestalt zur Erkenntnis bringen.
Die höchste menschliche Freiheit sieht sie in
der Bindung an das Unbedingte, von anderen
nicht Verursachte, Wesenhafte. Die zufällige
Erscheinungsform in der Natur ist ihr Neben-
sache, lenke nur vom Gedanken, von der vom
Alltäglichen befreiten Vorstellung ab. Das sind
im Grunde nicht neue Gedanken, sondern die
des Plato und seiner Lehre von der Idee als
der erhöhten Vorstellung der Dinge, die allein
dem Künstler als Ziel gelten dürfe. Die Zeit
nach Winckelmann und Lessing lebte in den
gleichen Gedanken. Jahrzehnte lang haben die
Künstler und Kunstfreunde älterer Richtung ihr
Ach und Wehe über den einbrechenden Realis-
mus gerufen und die Wiederkehr des Idealismus
 
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